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Immer wieder läuft ein glitzerndes Paar Schuhe über das Eingangsparkett. Über den Schuhen ein langer Rock, verhaltene Farben, ein freundliches älteres Gesicht. Dazwischen dunkle Anzüge, lässige Jeans, ein blaugrünes Abendkleid. Das Publikum, das sich zur Weltpremiere von “I Feel Love”, ein Musical mit den Disco-Hits von Giorgio Moroder, am Freitagabend im Bozner Stadttheater einfindet, zeichnet sich vor allem durch eines aus: Jung ist es nicht. Auch wenn die vereinzelt anwesenden Kinder den Altersdurchschnitt senken, stellen die Besucherinnen und Besucher unter 50 wohl eher eine Ausnahme als die Regel dar.
Dabei war die Intention des deutschen Autors Stefan Vögel eine ganz andere: Anstatt eine Retroshow auf die Bühne zu bringen, hofft er, Giorgio Moroders Songs einer jüngeren Generation nahe zu bringen. Daher auch die jungen Rollen im Stück und das Format einer modernen Castingshow, das als Handlungsstrang dient. Ob das gelingt?
Nackte Beine, die gen Himmel ragen. Disco-Music, die aus den Lautsprechern dröhnt – und in diesem Fall von einem überzeugenden Haydn Orchester unter der Leitung von Stephen Lloyd live gespielt wird. Und junge Frauen und Männer, die in knappen, enganliegenden Glitzerkostümen über die Bühne wirbeln. Die Anfangsszene lässt Gutes hoffen, der Beat stimmt.
Wir befinden uns in Giulio’s Cave, einem Disco-Club über dem Mittelmeer, der schon seit Jahren nicht mehr richtig läuft. Giulio, ein älterer Herr und Besitzer der Disco, will seinen Discotraum nicht aufgeben. Seine Frau Hannah, die von einer eigenen Masseria – einem landwirtschaftlichen Anwesen – träumt, und der gemeinsame Sohn Sohn Raffaele, der hauptsächlich fürs Bodenwischen zuständig ist, haben genug von Giulio’s Cave. Die Disco samt ihrer Retromusik hat ausgedient.
Aber Giulio hat eine Idee: Er lädt zehn junge Talente aus aller Welt zu einer Castingshow ein, um seine alten Discohits neu zu interpretieren und wiederzubeleben. Giulio’s Idee schließt nahtlos an das Vorhaben des Musicalautors Stefan Vögel an, der es auf diese Weise schafft, Moroders Songs – von “Un’estate Italiana” bis “Togheter in Electric Dreams” – miteinander zu verknüpfen und in die heutige Zeit zu transportieren.
Aber was sind das, modern times? Glaubt man dem Stück, so ist das eine Welt, in der sich junge Leute vornehmlich vegan ernähren, Social Media alles ist und der Unterschied zwischen Mann und Frau weitgehend verschwimmt. Zu alldem wird zwar eine ironische Distanz gewahrt; das durch die Komik angesprochene Publikum bleibt aber ein älteres.
Trotzdem: Was nach Klischee und Kuchen klingt, entwickelt sich vor allem nach der Pause zu einer mitreißenden Performance. Das Publikum wird unter der Regie von Andreas Gergen immer und immer wieder von der Energie der einzelnen Stücke mitgerissen, die Blicke haften an den tanzenden Körpern, die Rücken straffen sich. “Hot Stuff”, “Bad Girl”, “Tom’s Diner”. Ein Hit folgt dem nächsten, immer wieder bohrt sich ein neuer Ohrwurm ins Gehör. Cornelia Mooswalder und Masha Karell geben “No more tears”, ein Original von Donna Summer und Barbra Streisand zum Besten und Merle Hoch läuft in “Call me” von Blondie zur Hochform auf.
Die einzelnen Hits und die Performances der Darsteller und Darstellerinnen heben sich dabei reliefartig vom narrativen Strang, der im Hintergrund abläuft, ab. Das Narrativ schafft es zwar, die Spannung immer wieder aufzubauen, lässt diese mit dem nächsten Hit, sowohl inhaltlich als auch emotional, aber genauso schnell wieder fallen. Dialoge und emotionale Ansprachen – Sammys Outing als heterosexuelle Drag Queen zum Beispiel – bleiben irgendwo zwischen der gewahrten ironischen Distanz und den die Geschichte begleitenden Emotionen hängen.
Die Stimmung ist dennoch gut, vor allem unter jenen jungen Menschen, die Moroders Hits (dank mangelndem Vorwissen) auch in abgeändert-stilisierter Form und ohne die schwergewichtigen Stimmen von Blondie, Donna Summers und Berlin – übrigens exzellent interpretiert durch Peter Lewis Preston – genießen können. Und Giorgio Moroder selbst? “Man munkelt ja”, flüstert jemand noch vor der Vorstellung hoffnungsvoll in die Dunkelheit, “dass er hier sein soll.”
Und hier war er, der Disco Gott. Ganz still und leise saß er unter einer lässig bis über die Ohren hochgekrempelten Mütze in der vordersten Reihe versteckt, nahm aufmerksam am Schauspiel teil, bedankte sich höflich und schritt nach den obligatorischen Fotos in die frische Herbstnacht hinaus.
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