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Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 08.03.2023
LebenKommentar zur Generation Z

Die Welle des Lebens

Veröffentlicht
am 08.03.2023
Unsere Autorin hat sich für ihre Masterarbeit nach Portugal ins Surferparadies verzogen. Ein Privileg der Generation Z. Oder doch nicht?
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Seit der Pandemie begleitet mich der Wunsch, wieder etwas „Echtes“ zu erleben, ein Abenteuer. Ich will Neues sehen, Realität fühlen und Gutes wie Schlechtes wahrnehmen, einfach leben. Ich bin auf der Suche. Einer Suche nach den besten Wellen zum Surfen und einer Art des Lebens, die sich für mich richtig anfühlt. So nistet sich immer mehr der Gedanke in meinem Kopf ein: Eine Masterarbeit kann man überall schreiben.

Gedacht, getan: Job gekündigt, Koffer gepackt und ab nach Portugal. Nein, ganz so einfach war das natürlich nicht. Zweifel, Unsicherheiten und Angst, oder wie wir Gen Zler sagen würden: anxious durch und durch! Anxiety ist aber kein neues Gefühl für mich, sondern viel eher ein konstanter Begleiter meines Lebens. Er wird immer dann laut, wenn ich dazu tendiere, irgendwo „anzukommen“, einen geregelten Alltag zu haben und mich wohlzufühlen. Ein Gefühl, das mir Ankunft verweigert und neue Wege ermöglicht. Viele bezeichnen das als mutig. Ich würde das aber nicht unterschreiben. Ich bin rastlos: rastlos, aber frei. Dennoch stellt sich die Frage, warum ich immer wieder meine sichere Komfortzone verlasse.

Generationsforscher Simon Schnetzer würde wohl sagen: Typisch Gen Z, die entscheidungsunfreudigste Generation aller Zeiten. Schnetzer ist sich im Generationenvergleich sicher, dass Zufriedenheit nicht durch ein mehr an Auswahl zustande kommt, sondern durch Entscheidung. Mit der Entscheidung kommt Zufriedenheit und Sicherheit. Solange man keine Entscheidungen trifft, bleibt man ruhelos. Ich verlasse meine Komfortzone also aus Gründen des Privilegs einer Generation, die grenzenlos frei ist und unendliche Möglichkeiten besitzt. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass alle Jahrgänge ab 1995 dazu verdammt sind, rastlos zu sein? Immer mobil, niemals gesettelt, keine Konstanten im Leben. Na großartig!

Anstatt eines überfälligen Bettenstopps, fördert die Politik weiter den boomenden Surftourismus. Tja, da fühlt man sich als Südtirolerin doch gleich daheim.

Aus fraglichen Gründen, die laut Forschung ein Erkennungsmerkmal meiner Generation sind, geht’s für mich also nach Portugal. Um genau zu sein, nach Ericeira, ein malerisches Fischerstädtchen an der Westküste Portugals. Der Ort mit den bekanntesten Surfspots Europas, atemberaubenden Sonnenuntergängen und vielen alten, zunächst etwas schroff und abweisend wirkenden, aber sehr herzlichen Fischern.

So toll und harmonisch das alles klingen mag, meine utopische Traum-Realität sieht für die lokale Bevölkerung recht getrübt aus. Es leben nämlich mehr Expats (ausländische remote Arbeitende) als Einheimische in Ericeira, und diese haben durch ihre hohen Löhne die Lebenskosten und Mietpreise in die Höhe schießen lassen. Das hat zur Folge, dass Locals auch mit zwei Jobs noch um ihre Existenz bangen müssen, während Berliner Slow Food-Cafés an jeder Ecke der Stadt wie Pilze aus dem Boden schießen. Anstatt eines überfälligen Bettenstopps, fördert die Politik weiter den boomenden Surftourismus. Tja, da fühlt man sich als Südtirolerin doch gleich daheim. Aber schließlich darf ich mich nicht beschweren, ich bin ja Teil des Systems und füttere diese soziale Ungerechtigkeit. Wie ich das mit mir vereinbaren kann? Vermutlich gar nicht. Aber mein Herz folgt einer Sportart, die ich nur hier ausleben kann: das Surfen.

Unsere Autorin Teresa Putzer in Ericeira

Das Wellenreiten ist für mich einer der wenigen Momente, in denen ich mich ganz und gar angekommen fühle. Angekommen, wild und frei. Die Weiten des Ozeans, das Warten im unendlichen Blau, die starken, mächtigen Wellen, der Kampf gegen Strömungen und das wortwörtlich Verschlungen- und wieder Ausgespuckt-werden von tobendem Wasser. Jede gebrochene Zehe, genähte Platzwunde, leichte Gehirnerschütterung und geprellte Rippe zahlt sich für den Endorphin-Overload am Surfboard aus. Dass sich das für manche masochistisch und ungesund anhört, ist mir bewusst. Für mich ist Surfen aber eine Lebensweise, die sich am Positiven orientiert. Es ist Gratistherapie, Alltagspause, Lebensbejahung ohne Wenn und Aber und vieles andere mehr. Das, was ich hier in wenigen Worten, zu beschreiben versuche, nennen Insider das Surfer-Mindset.

Jeder Mensch, egal ob er surft oder nicht, kann sich vorstellen, dass das Surfen einer Welle, das Fliegen und Reiten des Ozeans, ein großartiges und befreiendes Gefühl sein kann. Was aber nur Surfer:innen verstehen, ist, dass zu jedem Surf auf einer Welle das Rauspaddeln, das Gefühl von Nässe und Kälte, die vielen Wipe-Outs (Anm. d. Red. Surfsprache für schwerer Sturz vom Board) und das Gefangensein im Strudel von Wellen-Sets, dazu gehört. Wenn man dann endlich angekommen ist, wo man sein muss, um Wellen zu catchen, heißt es, das Meer im Auge zu haben, zu observieren und zu warten, warten, warten. Nicht jede Welle kann man surfen und nicht jede Welle will gesurft werden. Der Ozean hat seine eigene Dynamik. Das Schöne am Surfer-Mindset ist nicht nur die Genügsamkeit, einen stundenlangen Tanz mit dem Meer für die wenigen Sekunden am Board auf sich zu nehmen, sondern das Verstehen, Akzeptieren und Genießen des Gesamten: das Paddeln, das Ringen um Luft, das Warten, das Scheitern und das Siegen. Surfer:innen wissen, dass erst der ganze Aufwand rund ums Surfen einer Welle, diese eine Welle so lohnenswert macht. Sie genießen das alles: das Mühsame, das Kräftezehrende und das Scheitern, im Wissen, dass immer eine nächste Welle kommen wird.

Diese Sicht aufs Leben kann zur Bewältigung von Hürden im Alltag von Vorteil sein und fehlt uns Jungen oftmals.

Diese Sicht aufs Leben kann zur Bewältigung von Hürden im Alltag von Vorteil sein und fehlt uns Jungen oftmals. Die Generationsforschung spricht in diesem Zusammenhang von einer Generation im „Dauerkrisenmodus“. Das ist aber nicht – wie oftmals vermutet – die Schuld einer arbeitsunfähigen und zukunftspessimistischen Jugend, die sich nicht mehr die „Hände schmutzig machen“ will. Das Problem liegt an fehlenden Perspektiven für junge Menschen, für die sich alle Hürden, der ganze Struggle, das Warten auf die perfekte Welle auszahlt. Wir alle sollten in unserem Leben ein Surfer-Mindset entwickeln und ein Ziel vor Augen haben, für das sich jedes Wipe-Out lohnt. Wir wollen Zukunftsaussichten, flexible, mobile und gut bezahlte Arbeit, eine Work-Life-Balance und die Möglichkeit, uns weiterzuentwickeln und immer wieder neue Wege einzuschlagen.

Viele vergleichen meine Schwärmereien fürs Leben an der Küste des Atlantiks mit dem Frisch-verliebt-sein. Demnach nehme ich alles durch eine rosarote, nein, eher wohl eine ozeanblaue Brille wahr und idealisiere die Umstände. Es stimmt. Je mehr Zeit ich hier verbringe, umso mehr Vertrautes und Heimisches finde ich im Neuen: Die Natur, das Landleben, eine kleine Dorfgemeinschaft. Viele Dinge erinnern mich an Südtirol und einmal mehr wird mir die Hassliebe zu meiner Heimat bewusst. Das portugiesische Pendant zum Südtirolerischem Mhm, jojo, lautet pois é. Ich verwende die zwei kleinen Wörter in Portugal täglich, während sich mir in Südtirol der Magen umdreht, wenn ein Gespräch mit Mhm jojo beendet wird. Den Vinschger Wind finde ich blöd, nervig und unnötig, aber Wind an der Küste ist toll. Wind bedeutet Wellen und Wellen bedeuten Surfen. Das Landleben in Südtirol ist fad, aber hier ist es idyllisch. Eine reine Idylle. Der Dorftratsch eine Katastrophe … „aber warte mal, ist das nicht der portugiesische Nachbar, der gestern noch eine andere Frau hatte?“

Furchtbar heuchlerisch? Ich weiß. Anscheinend sind aber auch diese widersprüchlichen Emotionen, das Überreflektieren von Situationen und die Doppelmoral in den eigenen Handlungen etwas ganz Typisches für junge Erwachsene, die als digital natives mit einer Dauerflut von Online-Vergleichen und Dauerkrisen in der Welt großgeworden sind.

Ich weiß jetzt, dass mein Gedankenchaos, die vielen noch anstehenden Entscheidungen, unangenehmen Gefühle und schmerzhaften Abschiede von Bekanntem dazu gehören.

Nach sechs Monaten neigt sich meine Zeit in Ericeira vorerst dem Ende zu. Viel entscheidungsfreudiger bin ich deshalb noch nicht geworden, aber dankbarer. Dankbar für die abenteuerreiche Zeit, die vielen Sonnenuntergänge am Strand, die unzähligen Surfeinheiten im Sonnenschein, Regen und Sturm, die magischen Wanderungen an steilen Küstenklippen und für ein neu gewonnenes Stückchen Heimat. Einige Fragen an mich selbst und meine Zukunft haben sich geklärt, andere sind dazugekommen: Was kommt als nächstes? Wohin mit mir?

Da ist er wieder, mein vertrauter Begleiter: anxious. Sogar für ihn bin ich mittlerweile dankbar. Ich weiß jetzt, dass mein Gedankenchaos, die vielen noch anstehenden Entscheidungen, unangenehmen Gefühle und schmerzhaften Abschiede von Bekanntem dazu gehören. Nur so kann die Welle, die sich Leben nennt, letztlich erfolgreich gesurft werden.

In diesem Sinne, pois é

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