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Den Sarner bis oben hin zugeknöpft, den zu großen, alten Hut weit ins Gesicht gezogen und einen Schal um den Mund gewickelt. Gerade einmal die Nase der Kindergruppe kann man erkennen. Als sie sich auf den Weg macht, dämmert es bereits. Einer der Buben trägt auf dem Rücken einen kleinen Korb, ein anderer hält einen Stock in der Hand. Sie sind aufgeregt, murmeln leise die einstudierten Sprüche vor sich hin, während ihr Atemhauch in der kalten Luft Kreise zieht.
Es ist der Abend des 31. Oktobers: Halloween. Nicht nur in Amerika, auch hierzulande ziehen Kinder von Haus zu Haus um Süßes zu erbeuten. Im Ultental folgen die Kinder am heutigen Tag aber noch einem anderen, uralten Brauch, der sogar bis in die Jahrhundertwende zurückgeht: dem Krapfenlottern.
Entstanden ist die Tradition bei den Kausen, mittellosen Leuten, die bei den Bauern unentgeltlich in sogenannten Kausenhütten wohnten. Sie kamen aufgrund ihrer Armut nicht in den Genuss frischer Krapfen. Da ihnen das Betteln unangenehm war, beschlossen sie:„Iaz gian mir Krapfen lottern.“ Vermummt, um nicht erkannt zu werden, marschierten sie daraufhin jedes Jahr in der Nacht vor Allerheiligen von Haus zu Haus und sagten Sprüche auf, um Krapfen geschenkt zu bekommen. Ihnen machen es bis heute noch dutzende Kinder nach. So wie die drei Ultner Geschwister im Alter von sechs bis 14 Jahren.
Mit kalten Händen und Füßen stehen die Krapfenlöitrvor der ersten Haustür, nicht weit von ihrem Elternhaus. Bekleidet mit Sarner, Hemd, Hut und blauem Schurz, auf dem Rücken ein alter Rucksack für die Beute, in der Hand – etwas ungewöhnlich für Kropfnlöitr – eine Zieharmonika, auf der sie zwischen dem Aufsagen der Sprüche spielen. Durch die matte Scheibe des Hauses dringt warmes Licht nach draußen und erhellt die kleinen Gestalten. „Mir kemmen fa Proveis, iber Schnea und Eis, iber Stial und Bänk und sein grennt bis ze enk“, beginnt einLöitrmit dem ersten einstudierten Spruch. Seine Schwester macht es ihm nach:„Muaterle, Voterle geb mir a Krapfl i bin so an orms Zapfl …“ „Oder a Leffele voll Fill, nor bin i gschwing still“, beendet der Dritte im Bunde den Lotterspruch.
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Als sich langsam ein Schatten der Haustür nähert, senken die drei nicht wie die anderenLöitr gewöhnlich schnell den Kopf, um nicht erkannt zu werden. Ihnen sei das egal, deswegen seien sie auch nicht so vermummt, sagen sie. Die Aufregung der Kinder steigt aber, als sich die Tür öffnet. Eine Frau mittleren Alters steht lächelnd auf der Türschwelle. Sie freut sich über die Kinder und hält bereits eine handvoll selbstgemachter Mohnkrapfen bereit. Die legt sie jetzt vorsichtig in den Rucksack. Zum Dank folgt die Danksagung. „Vergelt’s Gott, Pater Stelzgott, Pater Stuankofl, nächsts Mol no sovl“, murmeln die drei im Chor und laufen weiter durch den kalten Abend.
https://api.soundcloud.com/tracks/174537053
Den ersten Krapfen lassen sie sich schon nach dem ersten Haus schmecken. Dann geht es weiter zum nächsten. Hier bekommen sie einige Bonbons, denn längst werden nicht mehr in jedem Haushalt Krapfen gebacken. Deswegen landen neben Mohn- und Preiselbeerkrapfen auch etliche Süßigkeiten und sogar einige Euros im Korb. „Ich mag am liebsten die Süßigkeiten“, sagt einer der drei, während er sich ein Bonbon in den Mund steckt. Die anderen finden die Mohnkrapfen dann doch besser.
Immer wieder begegnet ihnen eine Gruppe von teilweise vermummten Buben und Mädchen. Einige hört man keine Sprüche aufsagen, sondern „Süßes oder Saures“ rufen. Für die drei Geschwister käme das nicht in Frage. Sie werden weiterhin Krapfen lottern. „Einmal bekamen die Kinder, die Süßes oder Saures riefen, eine Essiggurke“, erzählt der Älteste und kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Er freut sich jedes Jahr auf den Brauch. So ganz wie anno dazumal befolgen die Geschwister die Tradition aber auch nicht mehr. Weitere Strecken lassen sie sich nämlich mit dem Auto fahren.
Früher war das anders. Ein älterer Mann, der den „Bettlern“ jetzt die Tür aufmacht, erinnert sich noch genau daran, wie es war, als er noch ein junger Bursche war und mit seinen Freunden zu Fuß von einem Haus zum anderen wanderte. Früher sei man sogar bis ins nächste Dorf gelaufen, immer in der Dunkelheit, sagt er. Wie heute stand man auch damals manchmal vor verschlossenen Türen. Manchmal sogar vor geizigen und zornigen Hausbewohnern, so der Mann. „Auf einem Hof wurden wir verjagt und mit Holzscheiten beworfen“, erzählt er und muss schmunzeln, als er daran zurückdenkt.
Damals zogen nur Jugendliche und Erwachsene um die Häuser, deswegen kam es nicht selten vor, dass die Löitrzu den Krapfen auch Schnaps serviert bekamen. Manchmal seien sie erst am nächsten Morgen nach Hause gekommen. „Wenn wir alle Schnäpse getrunken hätten, hätten wir es oft sicher nicht mehr nach Hause geschafft“, sagt der Mann und lacht. Traf man auf eine andere Gruppen, hätte man sich in Acht nehmen müssen, denn es sei vorgekommen, dass man sich gegenseitig mit Steinen bewarf. „Das ging so lange, bis der Schwächere nachgeben und oft sogar seine Beute opfern musste”, sagt der Mann. Krapfen gab es damals nur zu Anlässen wie zur letzten Heueinfuhr, zu Hochzeiten oder beim Heuziehen, speziell aber zu Allerheiligen. Dementsprechend war die Süßspeise etwas Besonderes und bei allen beliebt.
Den drei jungen Krapfenlöitern ist so etwas zum Glück noch nie passiert. Sie ziehen wieder weiter, werden noch mehr Sprüche aufsagen, Stücke auf der Ziehharmonika spielen und dafür Krapfen und Süßigkeiten ernten. Zum Schluss werden sie ihre Beute auch dieses Jahr wieder sicher nach Hause bringen und noch Tage davon naschen.
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