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Der antisemitische Wahn der indonesischen Kuratoren von ruangrupa auf der diesjährigen Kunstschau Documenta überdeckte den großen Rest. Die Ideologie des „globalen Südens“, dafür stehen unter anderem Indonesien, Indien, Südafrika oder Brasilien und ihre wenig menschenrechtsfreundliche Politik der rabiaten Erschließung. Diese lässt die Anderen nicht zu: Die autochthonen Völker am Amazonas, in den Wäldern Indiens, Indonesiens oder der Philippinen.
Einer versuchte es trotzdem auf der Documenta. Seit einem halben Jahrhundert engagiert sich Richard Bell für die Rechte der Ersten Australier und wurde dabei zu einem der wichtigsten Gegenwartskünstler des Kontinents. In einem Interview mit der “Frankfurter Rundschau” betonte Bell, dass die Kunst der Aborigines der westlichen Kunst mindestens ebenbürtig ist. Trotzdem, die Aborigine-Kunst wird in den Museen in Australien ganz hinten ausgestellt, kritisiert Bell im Gespräch: „Sie müssen sich aber stattdessen durch den ganzen europäischen Scheiß kämpfen, um dorthin zu kommen,“ ergänzt Bell.
Bell wurde 1953 in Queensland geboren und wuchs in einer Blechhütte auf. 1974 engagierte er sich im Umfeld der australischen Black Panther Party und wehrt sich seitdem gegen Enteignung und Unterdrückung. Mit den Mitteln der Kunst kämpft Bell für die Rechte der schwarzen Australierinnen und Australier. Bell provoziert mit Klischees über aboriginale Kunstproduktion, er verwendet Stilrichtungen einer weitestgehend weißen Kunstgeschichtsschreibung an, agiert mit Video-, Performance- und Installationskunst.
„Das Problem ist und bleibt der Kolonialismus und der weiße Mann.“
Seit 50 Jahren ist Bell mit seiner Zelt-Botschaft (tent embassy) weltweit unterwegs, erstmals 1972 vor dem australischen Parlament in Canberra. Die Installation, die in Kassel auf der Documenta steht, wurde vielerorts gezeigt, in New York, Jakarta, Moskau, Jerusalem, 2019 auch im Nebenprogramm der Biennale in Venedig. 2023 wird sie in der Tate Modern in London zu sehen sein.
Im Fridericianum, das während der Documenta 15 zur „Fridskul“ – einem Lernzentrum für die „lumbung“-Praxis – geworden ist, sind großformatige Protestgemälde, Bells Version des Duchamp’schen Urinals und eine Anzeige zu sehen, die die Schulden der australischen Regierung gegenüber den Aborigines anzeigt. „White lies matter“ ist auf einem Bild im Treppenaufgang zu lesen.
„Das Problem ist und bleibt der Kolonialismus und der weiße Mann“, sagt Bell im besagten Interview mit der “Frankfurter Rundschau”. In den vergangenen 20 Jahren hat sich laut Bell an der schlechten Situation der Aborigines nichts geändert. Das Erbe des Kolonialismus, das durch den Kapitalismus noch belastender wird. Der Kapitalismus bedroht die Überreste der kollektiven Lebensweise der Aborigines, bedauert Bell. Es geht darum, den Kapitalismus zu stoppen, um auf diesem Planeten überleben zu können, ist Bell überzeugt.
Eine neue Verfassung für Australien
Werden die Australierinnen und Australier für die Anerkennung der Aborigines stimmen? Die sozialdemokratische Regierung will sich von der Kolonialgeschichte, vom Kolonialismus und seinen Verbrechen verabschieden. Mit einem Referendum, voraussichtlich im nächsten Jahr. Endlich sollen auch die Aborigines, die First Nations, anerkannt und ihre Recht garantiert werden, also in der Verfassung. Damit würde sich Australien zu seinem multinationalen Charakter bekennen. Ein längst überfälliger Schritt.
Vor 500 Jahren wurde der australische Kontinent entdeckt, die „Landnahme“ erfolgte ähnlich brutal wie in den beiden Amerika. Die ersten Australier wurden enteignet, verjagt, vertrieben, ermordet, die Überlebenden ausgegrenzt. 1901 entstand der australische Bund, eine Kolonialmacht im Auftrag der britischen Krone. Der Anteil der autochthonen Völker an der australischen Bevölkerung schrumpfte seit der rabiaten Kolonialisierung des Kontinents radikal zusammen, auf ein Prozent.
Der Aktivismus der Aborigines zwingt inzwischen Regierung und Öffentlichkeit zur ungeschminkten Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte. Eine üble Geschichte. Die Aktivistinnen und Aktivisten und ihre Botschaft ist klar: „Ihr habt uns unser Land gestohlen, gebt es wieder her…!“
„Ihr habt uns unser Land gestohlen, gebt es wieder her…!“
Im schönsten Park von Perth wird ein großzügiges Kulturzentrum für die indigenen Stämme Westaustraliens errichtet. Auf jedem Kontoauszug der vier großen Banken wird auf die Aborigines hingewiesen, auf ihr Land und ihre Kultur. Dieser Text wird im TV-Programm der Sender ABC und SBS jedem Programmwechsel vorgeschaltet. In öffentlichen Ämtern tragen Türschilder neuerdings auch die Bezeichnung in der Sprache des lokalen Stammes. Bei öffentlichen Aufführungen spricht ein weißer Funktionär einen Willkommengruß in der Sprache der Aborigines, so etwa beim Festival of Perth und Filmfestival.
Vor dem Parlamentsgebäude in Canberra fand ein vielstündiges “Corroborow” mit Hunderten “Living Black”-Aktivist*innen mit Feuer und Rauch-Zauber und vielstündigen Tänzen grellbemalter nackter Tänzer im Lendenschurz statt. Unter den Zuschauerinnen und Zuschauer die gesamte Regierung plus Kameras von ABC und SBS. “Seht her – unsere Kultur lebt” verkündeten die stampfenden und laut singenden Tänzerinnen und Tänzer.
Mit dem Referendum„Custodians of our Continent“ sollen bei genügend “Yes”-Stimmen die „eigentlichen und angestammten Eigentümer des Landes” in die Verfassung des “Commonwealth of Australia” aufgenommen werden: die Aborigines, Eigentümer und nicht Besitzer des bisherigen “Crown-Land” der britischen Krone. Eine Chance, zweifelsohne. Ob das Referendum Australien verändern wird? Oder wird die weiße Bevölkerungsmehrheit sich ähnlich verhalten wie die chilenische, die sich strikt gegen indigene Rechte in der Verfassung aussprach und stattdessen für die Beibehaltung der Verfassung der Pinochet-Diktatur votierte?
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