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In der Werkstatt des Kulturvereins Lungomare in Bozen ist man zufrieden: Die erste Testfahrt der Co-Carts ist geschafft, auch wenn eines der Fahrzeuge repariert werden muss. Co-Carts sind mobile Kunstwerke. Sie lassen sich ans Fahrrad hängen und verändern den Stadtraum. Co-Carts sind etwa ausgestattet mit einem Megaphon, das Proteststimmen verstärken kann, einem Tisch, auf dem Ausstellungen und Aktionen stattfinden können, einer Projektionsfläche und Kinoleinwand und einem Fernrohr. Co-Carts sollen die Meinungsfreiheit fördern, Dialog provozieren und die Beziehung zwischen den Bewohner und der Stadt stärken.
Entstanden ist das Projekt der Co-Carts im Rahmen der Künstlerresidenz 2020 von Lungomare und dem römischen Architekturkollektiv orizzontale. Inspiration holte sich orizzontale von gemeinnützigen Bozner Organisationen wie Spazio autogestito 77, Fridays for Future South Tyrol und Vivi Maso della Pieve/Officine Vispa. Architektin Nasrin Mohiti Asli ist Teil des Architekturkollektivs. Im Interview erzählt sie, welche Idee hinter den Co-Carts steckt und wie öffentlicher Raum gestaltet sein soll.
Wie seid ihr an das Projekt Co-Carts herangegangen?
In Bozen trafen wir verschiedene Organisationen. Lungomare stellte uns Personen aus der Architektur und Urbanistik sowie Bücher und Zeitschriften über Bozen vor. Es stellte sich heraus, dass Bozen eine Stadt mit vielen Zentren ist. Die Talferwiesen sind allerdings besonders: Dort gehen alle Personen hin, egal ob sie die deutsche oder italienische Sprache sprechen, ob sie in Bozen geboren wurden oder nicht. Das ist eine Besonderheit, denn viele Menschen in Bozen verlassen ihr Viertel kaum. Auch das haben wir in unseren Gesprächen erfahren.
Über was habt ihr mit den Organisationen gesprochen?
Sie erzählten uns auch von ihrer Vision von Bozen. Es waren viele kritische Perspektiven dabei. Bozen ist reich an Organisationen und informellen Gruppen, die sich im sozialen und kulturellen Bereich zusammentun, um den öffentlichen Raum zu gestalten. Durch die Gespräche mit ihnen entwickelte sich die Idee, mit einem mobilen Raum zu arbeiten, anstatt mit einem statischen. Dadurch kann man sich im öffentlichen Raum aus verschiedenen Lebenswirklichkeiten einander nähern und zusammenarbeiten.
Welche Botschaft wollt ihr mit Co-Carts vermitteln?
Es sind sehr verschiedene mobile Skulpturen. Jede hat eigene Möglichkeiten, um den öffentlichen Raum zu beleben. Sie sind langsam und funktionieren am besten, wenn mehrere Personen sie verwenden. So entsteht die Möglichkeit, gemeinsam im öffentlichen Raum unterwegs zu sein und ein Netzwerk aufzubauen.
Stellen die Co-Carts als Fahrzeuge eine Alternative zu den Autos dar?
Ja. Das Auto verbinden wir mit einer Gesellschaft, die vordergründig produktiv ist. Das Auto gibt einer Person die Möglichkeit, von einem geschlossenen Raum in einen anderen zu gelangen. Es ist damit ein privater Raum in Bewegung. Mit den Co-Carts erhalten Personen kleine bewegliche Räume der Öffentlichkeit, die mobil, langsam und extrovertiert sind. Sie sind ein Kontrast zum Raum im privaten Wagen.
Was macht einen öffentlichen Raum aus?
Der öffentliche Raum sollte die Möglichkeit geben, sich frei zu entfalten. So können sich Menschen in ihrer Diversität zeigen und kennenlernen. Manche öffentliche Plätze verbieten einigen Personen, sich zu entfalten. Viele Höfe in Don Bosco verbieten beispielsweise das Ballspielen, obwohl sie bestens für spielerische Tätigkeiten geeignet sind und leer stehen. Der Raum, in dem dir Menschen begegnen, die du nicht selbst ausgewählt hast, ist der öffentliche Raum. Deshalb ist er für eine Gesellschaft wesentlich, um sich weiterzuentwickeln und um über Werte und Rechte zu diskutieren.
Was wollt ihr der Stadt Bozen mit den Co-Carts mitgeben?
Wir bieten Bozen die Möglichkeit, die Kräfte und Kompetenzen seiner Stadtbewohner im öffentlichen Raum zu nutzen. Sie können als Einladung verstanden werden, Gewohnheiten und Werte zu verändern, welche das Stadtleben prägen und sie erlauben ein wenig Verrücktheit und Fantasie.
Gibt es zwischen dem Lockdown und eurem Projekt eine Verbindung?
Dieses Projekt entwickelte sich zeitgleich mit der weltweiten Epidemie, auch wenn die Idee von Co-Carts nicht davon beeinflusst wurde. Wir als Architekturkollektiv sind es gewohnt, im öffentlichen Raum während einer Krise zu arbeiten, dennoch mussten wir uns an die neue Situation anpassen. Eine der Fragen rund um den Lockdown war, wie sich Menschen auf verantwortliche Weise im öffentlichen Raum begegnen können.
Was ist das Problem der Städte von heute?
Das oft gehörte Mantra heißt Sicherheit, auch vor dem Ausbruch der Epidemie. Dadurch ist der öffentliche Raum von Regeln geprägt. Mit all den Verboten und Einschränkungen leeren sich viele Räume. Dadurch verlieren sie ihren Wert für die Gemeinschaft.
Aber ist es nicht sinnvoll, wenn sich jeder im öffentlichen Raum sicher fühlen kann?
Das hängt davon ab, wer sich wann wirklich sicher fühlt. Für uns ist ein öffentlicher Raum nur sicher, wenn er belebt ist. Ein unbelebter Raum, wo die Gemeinschaften fehlen, ist ein unsicherer Raum. Mit dem Wort der Sicherheit werden Tätigkeiten im öffentlichen Raum verboten. Sehr oft steckt dahinter die Motivation, sich durch Sicherheit vor anderen Personen wie Migranten oder Obdachlosen zu schützen. Diese Personen sind Teil unserer Städte, weil unsere Gesellschaft nicht nur materiellen Abfall produziert, sondern auch immateriellen und sozialen.
Auf der anderen Seite ist es wichtig, gemeinsame Regeln für das sichere Zusammenleben zu haben …
Ja, aber die sozialen Regeln und die Gesetze werden verhandelt. Die Politik ist dafür nicht das einzige Instrument. Viele Gesetze, die wir heute kennen, entstanden auf den Plätzen und Straßen. Es sind die Menschen, die jene Menschen wählen, die Gesetze schreiben. Zumindest in der Theorie müsste es so funktionieren. Es ist richtig, dass es Regeln gibt, aber es ist auch richtig, sie zu erneuern.
Können die Co-Carts in Zukunft ausgeliehen werden?
Wir wünschen uns, dass der Verleih möglich sein wird. Bis dahin ist noch einiges an Wegstrecke zurückzulegen und wir hoffen, das Projekt gemeinsam im Frühling oder Sommer öffentlich feiern zu können.
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