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Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 28.04.2021
LebenInterview mit Martin M. Lintner

„Die Spannung muss man aushalten“

Veröffentlicht
am 28.04.2021
Wenn es um Gut und Böse geht, ist er sehr gefragt. Der Moraltheologe Martin M. Lintner über sein Verhältnis zur Kirche, den Impfpass und rücksichtslose Journalisten.
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Sein Onkel war der bekannte Missionar Luis Lintner, der 2002 in Brasilien ermordet wurde, auch zwei Großonkel waren Geistliche und als Kind pilgerte er mit seinen Eltern regelmäßig nach Maria Weißenstein – „eine gutkatholische Familie“, so fasst Martin M. Lintner seine Herkunft zusammen. In seiner Kindheit und Jugend faszinierte ihn die Natur, besonders die heimische Fauna. In der Bletterbachschlucht nahe seinem Heimathof suchte er nach Fossilien. Sein Berufswunsch war es, Verhaltensforscher zu werden. Doch dann las er als Jugendlicher Friedrich Nietzsche, fand seine eigenen existentiellen Zweifel im Ausspruch „Gott ist tot“ wieder. Seitdem ließ ihn die Gottesfrage nicht mehr los, sodass er schließlich selbst das Studium der Theologie aufnahm und mit 21 Jahren in den Servitenorden eintrat.

Gegensätze, das kann man aus seiner Biografie bereits ableiten, sind für Martin M. Lintner kein Problem. Bevor er sie durch rationale Argumente versöhnt, hat er sie bereits mit seiner reflektierten Art zu sprechen und seinem unaufdringlichen Auftreten entschärft. Selbst dann, wenn gar keine Versöhnung möglich ist, spricht er lieber davon, „die Spannung auszuhalten“ – jedoch nicht ohne eine klare Position zu beziehen.

Als Moraltheologe wurde Martin M. Lintner zuletzt ausgesprochen häufig nach seiner Position gefragt. In den Südtiroler Medien kommt er überall dort zu Wort, wo die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, wo nicht mehr klar definierbar ist, was richtig oder falsch ist, oder die tägliche Praxis scheinbar ohne moralische Grundsätze auskommt.

Ein Gespräch über das menschliche Bedürfnis nach moralischer Orientierung und die heißen Themen im Augenblick: Impfpass, Tierrechte, das Verhältnis der Kirche zur Sexualität und anstandsloser Journalismus.

Als Nachfolger von Karl Golser hat Martin M. Lintner den Lehrstuhl für Moraltheologie und Spirituelle Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen inne

Herr Lintner, Ihr Gesicht war in der letzten Zeit recht häufig in den Medien zu sehen. Warum wendet man sich an Sie?
Wir leben in einer Zeit, in der es viel Verunsicherung gibt. Althergebrachte Gewissheiten zerbrechen, besonders bei Fragen der Lebensgestaltung, aber auch des gesellschaftlichen Zusammenlebens in einer Welt, die einerseits mehr und mehr zusammenwächst, in der andererseits aber Unterschiede und Konflikte enorm zunehmen. Oder es stellen sich ganz neue Fragen, etwa durch die globale Umweltkrise und weltweite Migrationsbewegungen, derzeit besonders durch die Corona-Pandemie. In Zeiten des Umbruchs und der Krise hatte Ethik immer schon Hochkonjunktur, waren die Philosophen und Ethiker gefragt. Sie befassen sich mit Fragen, die alle betreffen: Was gibt mir Halt? Wo finde ich Orientierung? Und was soll ich – was sollen wir tun, um gut und richtig zu handeln? Dürfen wir alles, was wir können? Welche Werte halten die Gesellschaft zusammen? Gibt es darauf verbindliche, begründbare Antworten oder muss jeder und jede selbst schauen, was für ihn oder sie das Richtige ist?

Auch ich habe mich als Journalist bei Ethik-Themen in letzter Zeit häufig gefragt, an wen man sich damit wenden könnte: Mir sind dann eigentlich nur Sie eingefallen. Gibt es in Südtirol in diesem Bereich einen „Fachkräftemangel“?
Eine ethische Grundkompetenz hat jeder Mensch. Dennoch braucht es in den komplexen Herausforderungen und Problemfeldern auch jene, die sich systematisch mit den ethischen Fragestellungen auseinandersetzen und sie auf dem Hintergrund der Praxis kritisch reflektieren. Im Landesethikkomitee sind zum Beispiel Fachleute aus bestimmten Bereichen vertreten, besonders aus der Medizin-, Pflege- und Rechtsethik. Ich denke auch an meinen Brixner Kollegen Markus Moling aus der Umwelt- und Tierethik oder an Ralf Lüfter von der Freien Universität Bozen aus der Wirtschaftsethik. Die theologische Ethik ist aber sicher durch einen umfassenden Ansatz und integrativen Blick gekennzeichnet. Als Moraltheologe muss ich eine ganze Bandbreite an Themen abdecken, von den Grundlagenfragen bis hin zu den unterschiedlichsten Bereichen der angewandten Ethik. Da haben Sie Recht, dass es nicht so viele Ansprechpartner gibt.

Was unterscheidet einen Moraltheologen von einem Ethiker?
Beide Disziplinen setzen sich mit dem guten und gelingenden Leben auseinander. Sie überschneiden sich darin, dass sie versuchen müssen, für konkrete Probleme Lösungen zu erarbeiten, die auch vernünftig begründbar und vermittelbar sind. Ich fühle mich in diesem Sinn, gerade auch als Theologe in einem säkularen Kontext, der Aufklärung verpflichtet. Als Moraltheologe betreibe ich theologische Ethik, ich frage also über die philosophische Ethik hinausgehend auch nach den ethischen Implikationen des christlichen Glaubens und versuche, diese so herauszuarbeiten, dass sie nicht nur innerhalb der Kirche gültig sind, sondern jedem Menschen etwas zu sagen haben, unabhängig von seinem religiösen Hintergrund. Die christliche Moral ist ja keine kirchliche Binnenmoral, sondern steht unter dem Anspruch der Verallgemeinerbarkeit. Die Herausforderung liegt darin, theologisch-ethische Grundsätze in eine säkular-ethische Sprache zu übersetzen, sodass ihr normativer Gehalt auch für jene einsehbar und plausibel wird, die den christlichen Glauben nicht teilen.

So viel zur Sprache, aber wie verhält es sich mit den Inhalten? Die Frage, welche Rechte Homosexuelle haben sollten, wird von den meisten katholischen Moraltheologen anders bewertet als unter Ethikern, nehme ich an.
Die meisten mir bekannten katholischen Moraltheologen und -theologinnen teilen diesbezüglich die Position, dass kein Mensch aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert und in seinen Rechten eingeschränkt werden darf. Es gibt in dieser Frage weniger eine Spannung zwischen Moraltheologen und Ethikern, sondern eher zwischen der kirchlichen Lehre und der moraltheologischen Reflexion. Als Moraltheologe bin ich in eine Glaubensgemeinschaft und eine Tradition eingebettet und habe die Aufgabe, die Lehre der Kirche zu vertreten und zu vermitteln. Ich muss darlegen, was die Kirche lehrt und warum, worauf sie sich beruft, welche Argumentations- und Denkfiguren sie verwendet, wie sich die Lehre historisch entwickelt hat. Während in der kirchlichen Lehre das Traditions- und Autoritätsargument ein großes Gewicht haben, berücksichtigt die Moraltheologie auch die humanwissenschaftlichen Erkenntnisse, die soziokulturellen Entwicklungen und die reflektierten Erfahrungen betroffener Menschen. Es gibt daher immer wieder Bereiche, wo die theologisch-ethische Reflexion mit der katholischen Lehrmeinung in einer gewissen Spannung steht, beispielsweise bei der Bewertung von homosexuellen Partnerschaften.

Wie lösen Sie diesen Gegensatz?
Diese Spannung gilt es auszuhalten, auch wenn ich in diesem konkreten Fall überzeugt bin, dass es auf der Seite des kirchlichen Lehramts eine Entwicklung braucht. Erst neulich wurde die Nicht-Möglichkeit der Segnung homosexueller Partnerschaften wieder bekräftigt, ich glaube aber, dass das nicht das letzte Wort aus Rom gewesen sein wird. Wenn wir in die Geschichte blicken, sehen wir, dass das theologische und moraltheologische Denken oft vorausdenken musste, auch wenn es damit in Konflikt mit dem Lehramt gekommen ist. Aber gerade dadurch hat es auch eine dynamische Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre angeregt und ermöglicht, wie es sie in der Geschichte immer gegeben hat. Denken wir an das Beispiel der Religions- und Gewissensfreiheit. Es kommt also durchaus vor, dass die Kirche eine ethische Position vertritt, mit der ich mich persönlich schwer tue. Dann erachte ich es für einen Akt der intellektuellen Redlichkeit, das zu benennen. Ich versuche dann, Kritik in Loyalität zur Kirche, nicht besserwisserisch gegen sie zu formulieren.

Dass die Kirche außerhalb der Zeit steht, ist eine Überzeugung, die Lintner schon zu Beginn seiner theologischen Laufbahn fernlag. Als er 2009 schließlich als Nachfolger des damals zum Bischof ernannten Karl Golser den Lehrstuhl für Moraltheologie und Spirituelle Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen übernahm, war die Kirche als Institution gerade erst in ihren Grundfesten erschüttert worden. Missbrauchsskandale wurden in ganz Europa der Reihe nach aufgedeckt, die interne Aufklärung hinkte den Enthüllungen von außen hinterher.

Der selbstgerechte Umgang mancher Kirchenvertreter mit den Vorwürfen veranlasste Lintner dazu, sich neben seinem Dissertationsthema, der Philosophie der Gabe, auch vertieft mit der Sexualmoral der Kirche auseinanderzusetzen und ein Buch dazu zu veröffentlichen. Darüber hinaus befasst sich Lintner heute bevorzugt mit Tierethik, einem Thema, das ihn bereits in seiner Jugend – damals noch aus naturwissenschaftlicher Perspektive – beschäftigt hat.

In Südtirol stieß er immer wieder Debatten zu den oft qualvollen Tiertransporten in ferne Länder bis hin nach Libanon an. Er selbst isst schon seit Jahren kein Fleisch mehr – als Grund dafür nennt er das Mitleid mit den Tieren als fühlende Mitlebewesen.

Herr Lintner, haben Tiere in der christlichen Lehre überhaupt eine Seele?
Das hat die christliche Lehrmeinung nie in Abrede gestellt. Sie ist geprägt von der altgriechischen Theorie der dreifachen Beseelung, wonach es eine vegetative, eine sensitive und eine intellektive Seele gibt. Nach dieser Vorstellung sind Pflanzen vegetativ, Tiere vegetativ und sensitiv, Menschen vegetativ, sensitiv und intellektiv beseelt. Die Vorstellung, dass Tiere bloß komplexe, seelenlose Maschinen sind, kam erst in der Neuzeit im Gefolge von Philosophen wie René Descartes auf. In diesem Weltbild zählte nur noch der Mensch als „res cogitans“ – als denkendes, also vernunftbegabtes Wesen. Der Rest war „res extensa“, also rein physische Substanz. Es stimmt aber, dass die Tiere in der christlichen Lehre bislang ein Schattendasein gefristet haben. Das ist ein großes Manko und da gehöre ich zu denen, die versuchen – mit Anschluss an die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über die Tiere sowie an philosophische Tierethik-Debatten – diese Lücke zu schließen. Ich gebe zu, dass ich darunter leide, dass sich die Kirche nicht zur entschiedenen Anwältin aller Lebensformen und Lebewesen macht, sondern im Bereich des Tierschutzes weitgehend schweigt und hinterherhinkt. Gerade den Tieren gegenüber nehmen wir als Christinnen und Christen unsere Verantwortung nicht genügend wahr, sonst dürfte es zum Beispiel die viel zu oft mit massiver Brutalität verbundene Nutztierhaltung in dieser Form nicht geben – auch nicht bei uns in Südtirol.

Haben Sie mit biblischen Sätzen wie „Macht euch die Erde untertan“, insbesondere in Zeiten des Klimawandels und der extremen Ressourcenausbeutung, ein Problem?
Wird dieser Satz oberflächlich gelesen, kann er sich verhängnisvoll auswirken. Hier muss man differenzieren. Dieser Vers aus dem ersten Schöpfungsbericht wurde erst in der Neuzeit dazu verwendet, um die Ausbeutung der Natur zu rechtfertigen. Und auch dann, als englische Naturwissenschaftler unter Berufung auf diesen Vers beispielsweise grausame Tierversuche und Vivisektionen durchführten, kamen die stärksten Gegenstimmen von pietistischen Theologen und Pfarrern, die sagten: Genau das widerspricht dem biblischen Schöpfungsverständnis. Der Herrschaftsauftrag ist kein Freibrief für rücksichtslose Ausbeutung. Das entsprechende hebräische Verb bezeichnet vielmehr die Verantwortung, die mit der Möglichkeit von Machtausübung einhergeht. Zugespitzt formuliert: Aus dem Wissen, Leben zerstören zu können, erwächst die Verantwortung, es zu schützen.

Kommen wir zu ganz aktuellen Themen: In Israel gibt es ihn schon, bald soll es ihn auch in Südtirol geben: den Pass, der es Geimpften, aber auch Genesenen und negativ Getesteten ermöglicht, ins Restaurant zu gehen oder Kulturveranstaltungen zu besuchen. Eine gute Sache?
Der Unterschied ist, dass in Israel schon fast alle geimpft sind. Grundsätzlich glaube ich, dass es notwendig ist, die Freiheitsrechte, die zur Pandemiebekämpfung eingeschränkt wurden, schrittweise den Bürgerinnen und Bürgern wieder zurückzugeben. Dass Problem sehe ich darin, dass bestimmte Menschengruppen – etwa junge Menschen, die mit dem Impfen noch nicht drangekommen sind – durch einen grünen Pass benachteiligt werden, solange nicht alle die Möglichkeit einer Impfung erhalten haben.

Sobald sich jeder und jede impfen lassen kann, wäre der Pass aber ethisch vertretbar?
Ja. In dem Moment, wo alle Impfwilligen zur Impfung antreten können, halte ich es für gerechtfertigt, dass nur diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, die Beschränkungen weiter in Kauf nehmen, die zur Einschränkung der Pandemie unbedingt notwendig sind. Eine zweite Sorge ist aber die, dass ein Impfpass, der mit bestimmten Vorteilen im Alltag, wie etwa dem Restaurantbesuch, verbunden ist, eine spaltende Wirkung haben kann und eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft bewirken kann. Diese Gefahr sehe ich gegeben. Deshalb plädiere ich dafür, die Freiheiten des alltäglichen Lebens dann auch allen Menschen frei zu stellen. Wenn alle, die sich impfen lassen wollen, geimpft sind, kann man von einer genügend hohen Grundimmunisierung in der Bevölkerung ausgehen, die meines Erachtens diese Öffnung für alle rechtfertigen würde.

Das Argument der Befürworter lautet: Wer mit dem Pass ausgehen kann, nimmt den anderen doch nichts weg.
Es ist meines Erachtens eine Frage der Gerechtigkeit. Wer kommt in den Genuss der Rückgabe bestimmter Rechte, die anderen aus epidemiologischen Gründen noch vorenthalten werden? Eine Ungleichbehandlung lässt sich schwer rechtfertigen bzw. braucht es gute Gründe dafür.

Der grüne Pass soll ab Juni wenigstens innerhalb der EU das Reisen wieder ermöglichen. Das würde die Gesellschaft immerhin weniger spalten als ein Pass, der mit Alltagsprivilegien verbunden ist.
Das stimmt, diesen Pass sehe ich weniger problematisch. Auch vor der Pandemie musste man bestimmte Impfungen nachweisen, wenn man in bestimmte Risikogebiete reisen wollte.

Ethische Bedenken wirft in Südtirol auch immer wieder der Journalismus auf. Sie selbst lesen Artikel gar nicht, wo Sie schon beim Titel den Eindruck haben, dass es nur um Klicks und Voyeurismus geht. Welche Verantwortung hat der Leser als Konsument von bestimmten Inhalten?
Die Verantwortung kann man nicht einer einzigen Seite zuschieben. Bei den Medien ist es so, dass in Inhalt und Form bevorzugt solche Beiträge publiziert werden, von denen sich die Redaktionen erhoffen, dass sie auch am meisten konsumiert werden. Die Verantwortung liegt also bei beiden, den Journalisten, aber auch den Lesern. Dass ich bestimmte Inhalte nicht lese, wird die großen Medien nicht um den Schlaf bringen, aber ich setze damit doch ein Zeichen, dass ich als Leser bestimmte Sachen nicht lesen möchte.

Bei Mordfällen, wie in dem Fall Neumair, ist das Interesse der Öffentlichkeit in der Regel sehr groß. Der Job der Journalisten ist es doch, dieses Interesse mit Informationen zu versorgen?
Es geht darum zu informieren, aber im Fall Neumair wurde vielfach nur spekuliert. Da haben bestimmte Südtiroler Medien die Aufgabe der Ermittler übernommen, ohne die Ermittlungsinhalte zu kennen. Außerdem wurde die Privat- und Intimsphäre der Familie grundlos missachtet, es wurde in allen Details über die Beziehung der Geschwister berichtet, über ihre Kindheit, das Verhältnis zu den Eltern. Hier wurden meines Erachtens Rechte verletzt, sowohl der Mordopfer als auch der Hinterbliebenen.

Wenn bestimmte Informationen im öffentlichen Interesse sind, dürfen sie auch dann veröffentlicht werden, wenn sie Persönlichkeitsrechte verletzen.
Dass die Öffentlichkeit an etwas interessiert ist, rechtfertigt noch nicht, dass man die Persönlichkeitsrechte von Beteiligten verletzt. „Öffentliches Interesse“ bedeutet etwas anderes, und zwar, dass ein Sachverhalt die Öffentlichkeit betrifft. Wenn etwa die öffentliche Sicherheit bedroht ist, ist es gerechtfertigt, in allen Details über die Gefahr zu informieren. Oder wenn es zum Beispiel darum geht, Missbrauch öffentlicher Gelder in Politik oder Wirtschaft aufzudecken, oder wenn Amtsträger und Institutionen, auch die Kirche, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht werden, sondern eigene Interessen bedienen. Das alles war hier nicht der Fall.

Die Medien, die bei dieser Form der Berichterstattung aus Prinzip nicht mitmachen, stehen in den Augen der Leserinnen und Leser dann aber als die Dummen da.
Es stimmt, Medien stehen unter einem ungeheuren Druck, die ersten zu sein, die über ein Ereignis berichten, und immer ein wenig mehr zu wissen als die anderen. Ich denke aber, dass ein Medium, das aus Respekt vor den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen bestimmte Details nicht öffentlich macht und darauf verzichtet, Spekulationen anzustellen oder sogar Tatsachen zu verdrehen, und diese Haltung auch an seine Leser und Leserinnen kommuniziert, sich letztlich als Qualitätsmedium auszeichnet. Die kritischen Stimmen zur Berichterstattung im Fall Neumair waren sehr viele. Ich bin daher überzeugt: Wenn sich ein Medium entschlossen hätte, sich aus Respekt vor den Opfern und Hinterbliebenen in der Berichterstattung zurückzuhalten, wäre das als Zeichen von Qualitätsjournalismus entsprechend honoriert worden. Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn es diesbezüglich so etwas wie eine stille Übereinkunft zwischen allen Medien gegeben hätte.

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