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Als in ihrer Heimatstadt ein schwarzer Jugendlicher von einem weißen Polizisten erschossen wird, ist Mallory Nezam erschüttert. Sie konzipiert mit einem Künstlerkollektiv einen Spiegelsarg, in dessen Splittern sich jede*r selber sehen kann. Seitdem reaktiviert die 33-jährige Stadtplanerin und Performance-Künstlerin jene Orte, die niemand sieht: gemiedene Zwischenräume, leerstehenden Gebäude, vernachlässigte Plätze.
Warum hat dich deine Heimatstadt so sehr inspiriert?
St. Louis in Missouri war einst die größte Stadt Amerikas und bekannt für ihre Musikkultur. Heute hat sie nur noch etwa 300.000 Einwohner. Nach jahrzehntelanger Abwanderung stehen 20 Prozent der Häuser leer. Ich habe so viel Einsamkeit auf öffentlichen Straßen und Orten beobachtet, und für mich war immer klar: Ich will Menschen dazu bringen, wieder in Kontakt miteinander zu treten.
Siehst du in dieser Hinsicht einen Unterschied zu Südtirols Städten?
Hier gibt es überall öffentliche und zentrale Plätze. Es gibt eine Infrastruktur, die Menschen die Möglichkeiten bietet, miteinander in Kontakt zu treten. In amerikanischen Städten gibt es diese Plätze nicht, Öffis werden kaum genutzt und zum Betreten einiger Einkaufszentren muss man inzwischen sogar seine Identitätskarte vorzeigen. Die Infrastruktur ist vorwiegend so konzipiert, dass jede*r in den eigenen vier Wänden bleibt. Das ist kulturell bedingt, ein Teil davon ist aber systematisch geplant.
Die Infrastruktur ist vorwiegend so konzipiert, dass jede*r in den eigenen vier Wänden bleibt.
Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn sich Nachbarn nicht mehr kennen?
Isolierte Menschen „funktionieren“ besser, sie schließen sich nicht zusammen. Kaum jemand ist heute auf seine Nachbarschaft angewiesen. Für das System mag das vorteilhaft sein, für die Einzelnen nicht. Sich beim Vorbeigehen zu streifen, ist nicht dasselbe wie miteinander zu leben. Wir haben uns entschieden, in Gemeinschaft zu leben, obwohl wir auch irgendwo als Einsiedler*innen hausen könnten. Das beweist, dass Menschen interagieren wollen. Der Moment, in dem dir jemand hilft, den Koffer die Treppe hinaufzutragen, kann der schönste deines Tages sein.
Auf solch „bewegende“ Momente zielen deine oft sehr verrückten Aktionen ab.
Spiel und Spaß sind die besten Eisbrecher. Ich organisiere jährlich eine Kissenschlacht mit rund 300 Menschen mitten in der Stadt. Beim Ohne-Hosen-Tag fahren Menschen nur mit Unterhosen im Stadtbus. Anfangs ist es komisch, aber sobald es losgeht, gibt es keine Barriere mehr. Ich weiß von Leuten, die sich auf einer der Kissenschlachten kennengelernt und geheiratet haben. Wenn man dauernd gegen etwas kämpft, schreckt das ab. Wenn wir in ein Spiel verwickelt werden und zusammenkommen, öffnen sich neue Kommunikationsräume. Das nenne ich soziale Alchemie.
Was, wenn diese Begegnung nicht zustande kommt?
Wenn Menschen ihr gewohntes Umfeld nie verlassen und spontane Begegnungen die Ausnahmen bleiben, werden sie intolerant und entwickeln Angst vor dem Neuen. Dabei ist die Begegnung das Gesündeste, was passieren kann: Sie inspiriert, überrascht und macht optimistisch.
Von Anna Mayr
Der Artikel ist erstmals in der 54. Ausgabe der Straßenzeitung zebra. erschienen.
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