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Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 01.02.2023
LebenKinderbetreuung

Die neuen Väter

Veröffentlicht
am 01.02.2023
Als Vollzeitpapa ist Simon Profanter in Südtirol fast schon ein bunter Hund. Freunde und Bekannte sehen ihn sogar als Superdad. Dabei leben seine Frau und er einfach nur in einer gleichberechtigten Beziehung.
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Simon Profanter mit Sohn Jakob

„Papi, schau!“ Der 19 Monate alte Jakob baut mit seinen Holzbausteinen einen Turm, während Simon das Frühstücksgeschirr abräumt. Dieser blickt zu seinem Sohn. Heute ist der Turm höher als gestern. Er lächelt stolz und weiß: Es sind die kleinen Dinge, die das Elternsein ausmachen. Dann überlegt er, was er heute Mittag kochen soll. Seine Frau Verena ist bereits zur Arbeit gefahren und kommt vor dem Abendessen nicht nach Hause. Dem 38-Jährigen fällt ein, dass er noch ein paar Knödel eingefroren hat. Perfekt. Weil er also nichts vorbereiten muss, macht er sich noch rasch an den Wäscheberg. Weiße Wäsche, 60 Grad. Dann noch die trockene Kleidung vom Vortag verräumen, dabei will der kleine Jakob helfen. Gegen halb zehn verlassen Vater und Sohn das Haus. Sie besuchen das Elki im Dorf und gehen anschließend noch einkaufen, denn fürs Abendessen ist noch nicht gesorgt.

Ein ganz normaler Vormittag für Simon Profanter aus Kastelruth. Er ist ein – nennen wir ihn – „Dahoam-Tata“ und übernimmt somit die gesamte Care-Arbeit. Als solcher ist er hierzulande eine absolute Ausnahme. Denn in Südtirol wird die Kinderbetreuung fast immer hauptsächlich von der Mutter oder von beiden Elternteilen zu gleichen Teilen übernommen. In weniger als zehn Prozent der Südtiroler Familien mit Kindern unter 20 Jahren kümmert sich laut Familienbericht der ASTAT aus dem Jahr 2021 hauptsächlich der Vater um die Kinder.

Weiters gaben rund 95% der Männer an, erwerbstätig zu sein, bei den Frauen waren es lediglich 75%. Davon gehen 63% der arbeitenden Mütter einer Teilzeitbeschäftigung nach, bei den Männern sind es nur 4%. Damit schließt sich der Kreis: Frauen übernehmen fast immer die Care-Arbeit, sprich sie kümmern sich um Kind und Kegel – und wenn sie arbeiten gehen, dann meistens nur den halben Tag, denn die restlichen Stunden sind für die Betreuung der Kinder und den Haushalt reserviert.

Doch warum ist das Verhältnis nicht ausgewogener, zumindest ein kleines bisschen? Ist es das typische Denken nach Rollenbildern, das Sich-besser-aufgehoben-Fühlen in gewohnten Lebenssituationen oder das unfreiwillige Eingeschränkt-Sein durch starre Gesetzesgrundlagen?

„Dahoam-Tatas“ wie Simon Profanter, die die gesamte Care-Arbeit machen, sind nach wie vor die Ausnahme.

Der Rahmen der Familienfreundlichkeit
Ein kurzer Blick auf die Rahmenbedingungen privater Angestellte hierzulande: Zuzüglich zur obligatorischen Mutterschaft von fünf Monaten können beide Elternteile jeweils drei Monate für jedes Kind beanspruchen, zusätzliche drei Monate entweder die Mutter oder der Vater. Wenn der Vater drei Monate in Anspruch nimmt, kann die Elternzeit auf elf Monate erhöht werden. (Ein Elternteil darf nur in Ausnahmefällen alle elf Monate in Anspruch nehmen, zum Beispiel Alleinerziehende.) Dabei wird ein Monat zu 80% des fixen Einkommens vergütet (seit Anfang 2023) und acht Monate zu 30%.

Eine recht knappe Besoldung, in Anbetracht dessen, dass ja nur eine(r) arbeiten gehen kann und man als Familie doch so einiges an Spesen zu stemmen hat, was bei den enormen Wohnkosten anfängt und bei den letzthin hohen Stromrechnungen noch lange nicht aufhört. Zumindest ist das Landeskindergeld+ ein zusätzliches Extra in Südtirol – das gibt’s aber nur, wenn der Vater Elternzeit nimmt. Zudem investiert der Staat zu wenig in Förderungen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, sodass diese wiederum weniger auf die Familienbedürfnisse ihrer Angestellten eingehen können. Und last but not least: Es gibt nicht ansatzweise ausreichend und flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten.

In Norwegen beispielsweise sieht man den Elternurlaub auch als Karriereförderung für Frauen an.

Gerade die nordeuropäischen Länder zeigen, dass es anders geht: In Norwegen beispielsweise sieht man den Elternurlaub auch als Karriereförderung für Frauen an. Die Betriebe sind äußerst familienfreundlich, es gibt genügend Betreuungseinrichtungen für die Kleinen und: Väter müssen 15 Wochen Elternzeit nehmen. Durch diese Männerquote nutzen viele Väter eine Chance, die in anderen Ländern wie unserem erst gar nicht geboten werden. Denn aufgepasst: Erst seit Juni 2022 ist in Südtirol ein verpflichtender Vaterschaftsurlaub von doch sehr mickrigen zehn Arbeitstagen vorgesehen. Zudem sind viele zuständige Anlaufstellen unerfahren, was Karenzväter anbelangt – interessierte Väter bekommen hier zum Teil keine oder sehr widersprüchliche Informationen bezüglich Arbeitsrecht und finanzielle Hilfeleistungen. Dass Frauen damit berufstechnisch extrem limitiert und Väter erziehungstechnisch wieder außen vor gelassen werden, ist somit Tatsache.

Auch Schweden gilt als eines der Vorreiterländer: Rund 42% der Väter nehmen hier von der Elternzeit vorlieb und liegen damit weit über dem EU-Durchschnittswert. Ein Wert, von dem Italien noch meilenweit entfernt ist.

Die neue Elternschaft
Simons Frau Verena arbeitet in Vollzeit in Brixen und ist auch ansonsten ehrenamtlich sehr engagiert. Bevor das Paar sich vor ein paar Jahren für ein Kind entschied, wusste Verena, dass sie Beruf und soziales Engagement keinesfalls komplett aufgeben möchte. Für Simon kein Problem – er wollte umgekehrt möglichst viel Zeit mit seinem Kind verbringen. Das erste Lebensjahr blieb Verena zu Hause bei ihrem Kleinen und Simon ging arbeiten, dann tauschten die beiden die gesellschaftlich gängigen Rollen: Verena kehrte an ihren Arbeitsplatz zurück und Simon kündigte seinen Job, um Vollzeitpapa zu sein.

Zunächst war es für ihn eine große Umstellung, von der Karriere ins Kinderzimmer zu switchen. Er fühlte sich anfangs kaum gebraucht, weil keine beruflichen Anrufe oder E-Mails mehr reinkamen und er fühlte sich auch intellektuell nicht mehr genug gefordert. Doch diese Gefühle hätten sich durch die vielen schönen Momente mit seinem Sohn schnell geändert, erzählt Simon. Das tägliche Beisammensein, miteinander spielen, lesen, kuscheln, lachen, dazulernen: All das festigt die Vater-Sohn-Beziehung und schafft eine tiefe Verbundenheit zwischen den beiden.

Die vielen positiven Aspekte, die Simons Entscheidung mit sich bringen, reichen auch noch weiter, wie Studien zeigen: Väter, die in Elternzeit waren, verbringen auch später sehr viel mehr Zeit mit ihren Kindern als durchgehend berufstätige Väter. Außerdem leisten Männer, die eine Zeit lang gänzlich die Care-Arbeit übernommen haben, auch später noch mehr im Haushalt. Und sie üben positiven Einfluss auf ihr männliches Umfeld aus und erhöhen um immerhin 11% die Wahrscheinlichkeit, dass auch ihre Kollegen Elternzeit nehmen. Ein wichtiger Punkt, wenn ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden soll. Auch Simon, der noch ein halbes Jahr Zuhause bleiben möchte, scheint einige seiner Kollegen zum Nachdenken angeregt zu haben – immerhin nutzt einer seiner Freunde jetzt ebenfalls für drei Monate die Elternzeit.

„Familien mit dieser neuen Rollenverteilung entsprechen nicht den Erwartungen der Gesellschaft oder des Freundeskreises.”

Ein solches Interesse bei möglichst vielen Südtiroler Vätern zu wecken, ist auch der Sozialgenossenschaft „Väter aktiv“ ein großes Anliegen. Sie begleitet Väter in den verschiedenen Lebensphasen, unterstützt Organisationen und informiert über die Bedeutung und die Vorteile aktiver Papas für die Kinder, die Partnerin, die Arbeitgeber und die Gesellschaft. Und ja, gerade letztere bedeutet ein schönes Stück Arbeit. Denn die mischt sich ziemlich ein, weiß Präsident Michael Bockhorni: „Familien mit dieser neuen Rollenverteilung entsprechen nicht den Erwartungen der Gesellschaft oder des Freundeskreises. So wie arbeitende Mütter als Rabenmütter bezeichnet werden, werden Vollzeitväter von anderen Männern oft als Weichei betitelt oder ihnen wird unterstellt, dass sie in der Arbeit nichts auf die Reihe kriegen.“ Von manchen Frauen würden sie weiters belächelt und korrigiert werden. Häufig gäbe es einen Bruch zum Freundeskreis, die Männer hätten weniger Freizeit und seien ökonomisch von der Partnerin abhängig. All diese Faktoren lösen bei Männern innere Zweifel aus, die sie häufig daran hindern würden, als Vollzeitpapa daheim zu bleiben, so Bockhorni.

Der Mann wird immer noch geradezu heroisiert, wenn er sich komplett ums Kind kümmert, und die Mutter wird als Rabenmutter stilisiert, wenn sie sich für eine Rückkehr in die Arbeitswelt entschieden hat.

„Super-Daddy“ & „Bad Mom“
Häufig ist aber auch das Gegenteil der Fall: Der Mann wird geradezu heroisiert, weil er sich komplett ums Kind kümmert und „sogar kocht und wäscht und einkaufen geht“ und bestenfalls auch noch Windeln wechselt und die Geburtstagsgeschenke der Freunde des Kindes organisiert. Simon Profanter empfindet es als problematisch, wenn Väter wie er fürs Erledigen von Aufgaben, die immerhin über 90% der Südtiroler Frauen jeden Tag und ganz selbstverständlich erledigen, in den Himmel gelobt werden. Im Umkehrschluss weiß er auch um die Reaktionen und Aussagen, die sich Verena zum Teil anhören muss: „Wia, tuat dein Monn donn a kochen und olls?“ „Bisch du nor in gonzen Tog weg? Und es Kind?“ Simon weiß, dass seiner Frau in den meisten Fällen solche Aussagen nichts anhaben, aber ab und zu nagen sie trotzdem an ihr.

Dass eine Frau arbeiten geht und der Mann zuhause bei den Kindern bleibt, sollte keine Ausnahme sein, sondern eine neue Realität, die auch nicht auf Verwunderung und indirekte Schuldzuweisungen stoßen darf, sondern auf Offenheit und Zuspruch. Damit es aber überhaupt vermehrt zu diesen neuen Familienmodellen kommen kann und in den Statistiken endlich ein Umschwung passiert, benötigen Familien zusammenfassend folgende Grundlagen: zum einen Gesetze, die die verschiedensten Bedürfnisse von Familien mittragen, sowie genügend Zeit und Geld.

„Wia, tuat dein Monn donn a kochen und olls?“ „Bisch du nor in gonzen Tog weg? Und es Kind?”

Apropos Geld: Frauen verdienen in Südtirol wie auch im restlichen Italien bei gleicher Qualifikation nach wie vor 17% weniger als Männer. Durch diesen ungerechtfertigten, aber doch leider bestehenden Gender Pay Gap sind also in den meisten Familien nach wie vor die Männer die Mehrverdiener. Wenn dann auch noch ein Darlehen abzubezahlen ist oder die horrenden monatlichen Spesen abzudecken sind, bleibt vielen Familien keine große Wahl als die klassische Rollenverteilung – und beide Geschlechter verharren dort, wo sie schon immer waren und zum Teil gar nicht mehr sein wollen.

Erst wenn alle politischen, finanziellen, ökonomischen und organisatorischen Weichen gestellt sind, dass Frauen und Männer ungefähr gleich lange Zuhause bleiben können/dürfen/sollen, ist zumindest die Aussicht auf eine Chancengleichheit da. Es gibt viele Eltern, die zu neuen Ufern aufbrechen und aus Klischees ausbrechen möchten. Väter wie Simon wollen nicht als „Held“ betitelt werden, nur weil sie sich dafür entschieden haben, eine Zeitlang Hausmann und Vollzeitpapa zu sein. Und Frauen wie Verena möchten nicht als weniger liebende Mutter abgetan werden, nur weil sie sich für eine Rückkehr in die Arbeitswelt entschieden haben. Die neuen Mütter braucht es nämlich genauso wie die neuen Väter. Und sind Mama und Papa in ihren Rollen zufrieden – egal, wie diese auch aussehen mögen – dann sind am Ende auch die Kinder happy.

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