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Versklavung, Vertreibung und die Zerstörung menschlicher Existenzen im Namen des Kapitals: „Ich wusste selbst nicht, welches Ausmaß der Landraub bereits angenommen hat, mit welcher Brutalität er vollzogen wird und was das eigentlich mit uns zu tun hat“, erzählt Kurt Langbein. In der Gesellschaft herrscht kaum ein Informationsstand zum Thema Landgrabbing. Zu wenig weiß man darüber, obwohl Europa eine tragende Rolle spielt. Dokumentarfilmer und Journalist Kurt Langbein will das mit seinem aktuellen Werk, das am 18. September in die österreichischen Kinos kommt, und dem dazugehörigen Buch ändern. Nach zweijähriger Arbeit an seinem Film „Landraub“ treffe ich ihn in seinem Büro in Wien.
Ihr neuer Film und das dazugehörige Buch beschäftigen sich mit dem Thema Landgrabbing. Was steckt hinter diesem Begriff?
Seit 2008 hat das internationale Finanzkapital Land als ein langfristiges und zuverlässig gewinnträchtiges Investitionsgut entdeckt. Zu dieser Zeit war der große Crash und gleichzeitig stiegen die Preise für Agrarrohstoffe. Schon Mark Twain hat gesagt: „Kaufen sie Land. Es wird keines mehr gemacht.“ Der Boden, der für Landwirtschaft zur Verfügung steht, wird immer geringer – die Bevölkerung immer mehr. Das Resultat ist, dass Boden immer teurer wird. Mit diesem Kalkül tätigen die Landräuber ihre Investitionen. Die Investoren dahinter sind große Banken, Hedge- und Pensionsfonds. Von Seiten der Politik gibt es dazu kaum Regulierungen oder Grenzen.
Es ist schwer vorstellbar, dass es in der heutigen Zeit möglich ist, jemandem einfach sein Land zu rauben …
Ich konnte mir das auch nur schwer vorstellen. Zum Beispiel gibt es in Kambodscha aufgrund historischer Gegebenheiten kein Grundbuch. Ein EU-Programm hat sich um die Wiedererrichtung der Grundbücher bemüht. Dafür hätten die Landbesitzer ihre Rechtstitel anmelden müssen. Das mächtige und korrupte Regime hat aber einerseits die Fristen zur Anmeldung sehr kurz gesetzt und andererseits ein Gesetz geschaffen, welches im übergeordneten Interesse Ländereien komplett frei macht. 60 Prozent der Fläche von Kambodscha ist für eine langfristige Pacht an Agrarinvestoren vergeben. Das sind meistens 99 Jahre. Sobald diese den Pachttitel beanspruchen, wird das Land bestandsfrei übergeben. Das heißt die Polizei und das Militär vertreiben die Bauern und die Menschen von ihren eigenen Feldern. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen. In Afrika geht man etwas subtiler vor. Hier werden Pachtverträge mit den Bauern abgeschlossen. Auf den ersten Blick wirken diese wie ein halbwegs fairer Deal. Sieht man jedoch genauer hin, und das haben wir getan, sind das nur leere Hülsen und die Bauern zahlen drauf.
Was ist die Folge für die Bauern und deren Existenz?
Es gibt Menschen, die alles verloren haben, was sie selbst und Generationen davor aufgebaut haben. Sie bekommen 24 Euro im Monat. Es herrscht Hunger. Es gibt Verzweiflung, aber auch Widerstand. Im Film zeigen wir ein Beispiel, wo sich dieser Widerstand auch lohnt. Unmittelbar nach Drehende haben 400 Menschen, deren Schicksal wir begleitet haben, ihr Land zurückbekommen.
Wie unterscheiden sich die beiden Welten voneinander, die in Ihrem Film „Landraub“ aufeinanderprallen?
Die beiden Welten passen überhaupt nicht zusammen. Trotzdem gibt es sie beide. Die einen reden von der Zukunft der Ernährung, Fairness und sogar von Nachhaltigkeit. Wir haben viel Hirnschmalz darauf verwendet, die Innenwelt der Konzerne und ihre Denkweise kennenzulernen. Von Seiten des Konzern-Managements existieren keine Probleme. Es ist erstaunlich, welche hölzernen Wortblasen hier geboren werden. Sie betreiben eine Form bewusster Realitätsverweigerung. Die andere Seite redet davon, dass sie kein Land mehr hat, sie reingelegt wurde und ihr nichts anderes übrig geblieben ist, als den Deals zuzustimmen. Sie verdienen nichts und haben nichts zu essen. Dieser extreme Unterschied dieser beiden Welten sollte einen Denkimpuls anregen. Auch wir haben damit zu tun. Produkte werden uns als nachhaltig verkauft, damit wir kein schlechtes Gewissen haben. Das Gegenteil ist der Fall.
Dass wir die größten Landräuber sind, hat eigentlich niemand auf seinem Zettel. Das gehört geändert.
Was kann jeder einzelne von uns dazu beitragen, um die Situation zu verbessern?
Wir können als Konsumenten auf regionale und frische Produkte zurückgreifen. Damit würde schon einmal reduziert werden, dass 60 Prozent von dem, was wir konsumieren, gar nicht mehr in Europa angebaut wird, sondern in der dritten Welt. Und wir können als Wähler dafür sorgen, dass Parteien, die diese Landräuber unterstützen, weniger Gewicht bekommen. 44 Prozent des Geldes für globale Agrarinvestitionen stammen von europäischen Finanzinstitutionen. Dass wir die größten Landräuber sind, hat eigentlich niemand auf seinem Zettel. Das gehört geändert.
Welche Rolle spielt dabei die Europäische Union und deren Politik?
Die EU spielt eine ganz wesentliche Rolle, das zeigen wir im Film. Sie schafft die Rahmenbedingungen für die Finanzinstitutionen und organisiert Entwicklungspolitik, welche die Agrarindustrie unterstützt – was ich ganz pervers finde. Die EU organisiert Programme, wie beispielsweise Everything but Arms, die eigentlich gut gemeint waren, aber in weiterer Folge zur Vertreibung zehntausender Bauern und zur Ausbeutung der Böden durch die Konzerne führt.
Wo führt diese Entwicklung zur industrialisierten und durch Finanzinstitutionen gesteuerten Landwirtschaft hin?
Ich bin überzeugt davon, dass wir gerade vor einer Weichenstellung stehen. Darum habe ich auch zwei Jahre auf die Produktion meines Films verwendet. Wenn wir diesem Siegeszug der industrialisierten Landwirtschaft und dem Landgrabbing, also der Herrschaft der Finanzinstitutionen, nicht Einhalt gebieten, stehen wir vor einer ökologischen Katastrophe. Waldrodung, die Freisetzung von Torf und die veränderten Verhältnisse tragen massiv zum Treibhauseffekt bei. Und wir stehen auch vor einer sozialen Katastrophe. Die Flüchtlingsströme, die uns bis jetzt beschäftigten, sind nur der Beginn. Wenn 400 Millionen Kleinbauern in Afrika keine Perspektive mehr sehen und diese sich in Bewegung setzen, sind die aktuelle Grausamkeit und der Tod im Mittelmeer nur ein Vorgeplänkel. Diese völlig irregeleitete Form der großindustriellen Landwirtschaft bewahrt uns nicht vor dem Welthunger. Zehnmal mehr Energie wird verbraucht als hergestellt. Bei den Kleinbauern ist das genau umgekehrt. Der Weg der Zukunft ist die Weiterentwicklung der bäuerlichen Landwirtschaft und nicht der Agrarindustrie.
Ihr Vater war NS-Wiederstandkämpfer. Wie hat Sie das in ihrer Arbeit beeinflusst?
Das hat mich sehr beeinflusst. Ich habe mich in den ersten Jahren meiner Tätigkeit mit Institutionen wie Kinderheimen, Gefängnissen und Psychiatrien beschäftigt. Hier war der alte Nazigeist noch zu spüren. Ich war sehr engagiert, ohne Rücksicht auf eigene Risiken. Diesen unbequemen Gerechtigkeitssinn, der meinen Vater ausgezeichnet hat und ihn dazu bewegt hat, in Auschwitz Widerstand zu leisten, den habe ich wohl von ihm. Darüber bin ich aber froh.
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