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Bei mir begann es mit drei Pusteln, drei roten Punkten am Schlüsselbein, aufgereiht wie der Oriongürtel. Ich spürte ihr Jucken, bevor ich sie sah. Und ich wusste: Die Viecher waren jetzt in meinem WG-Zimmer. Drei Monate lang hatten wir zu dem Zeitpunkt schon Bettwanzen in der Wohnung. Jetzt hatte es eine zu mir geschafft, angezogen von meiner Körperwärme und dem Kohlendioxid meines Ausatmens hatte sie meinen Hals erklommen und ihr Rüsselchen durch meine Haut gebohrt, um ihren Hunger an meinem Blut zu stillen.
Die Bettwanzen breiten sich wieder aus in Europa. Nach dem zweiten Weltkrieg hatte man sie so gut wie ausgerottet, dabei halfen Waschmaschinen, Staubsauger und vor allem neue Insektizide. Die Globalisierung hat sie zurückgebracht, vor allem in die Großstädte: Das Reisen und der Handel mit gebrauchten Möbeln, Taschen oder CDs. Weil keiner gern über das Thema redet und keine Meldepflicht besteht, gibt es kaum Zahlen.
Nun sind die Bettwanzen aber wieder da und es wird immer schwieriger sie aufzuhalten, weil sie gegen altbewährte Gifte resistenter geworden sind. In meinem Fall waren die Tierchen schon vor uns in der Wohnung, einem ausgebauten Dachgeschoss eines jahrhundertealten Fachwerkhauses. Wanzen suchen die Nähe der Schlafenden, sie verstecken sich in Bettgestellen, Steckdosen, Dielen, Nachtkästchen und in den Ritzen der Dinge, die man darauf herumliegen lässt. Bettwanzen kommen im Hostel und im Waldorf-Astoria vor. Man kann sie sich im Nachtbus holen oder im Flugzeug, gerne auch in Berghütten. Überall dort, wo viele Menschen übernachten. Je mehr Menschen kommen und gehen, desto wahrscheinlicher, dass Befallene darunter sind. Leute wie ich.
Schon am ersten Morgen in der neugegründeten Wohngemeinschaft erzählte meine Mitbewohnerin, da wären nachts kleine Insekten auf ihr herumgekrabbelt. Auf ihrer Haut wurden die ersten Stiche sichtbar. Die Google-Bildersuche bestätigte ihren Verdacht: Wir hatten Bettwanzen. Anfangs nahm ich die Sache gelassen. Ich war froh zu erfahren, dass die Vermieter die Schädlingsbekämpfung zahlen mussten, denn wir hatten die Wanzen ja nicht mitgebracht. Ich witzelte über unsere kleinen Gäste. Nur aus Rücksicht auf meine stärker betroffene Mitbewohnerin verzichtete ich darauf, eine Seite der Zeit aufzuhängen, mit Bildern verschiedener Parasiten. „Der Feind in meinem Bett“ stand darüber. Ich bewahrte die Seite auf, „für später“. Das kann nicht lang dauern, so was loszuwerden, dachte ich.
Ein Bettwanzenbefall hat nichts mit mangelnder Hygiene zu tun. Aber wer je Kopfläuse hatte, weiß, wie wenig dieser Trost ausrichtet gegen das Gefühl, aussätzig und ansteckend zu sein.
Das war vor meinen drei Pusteln und den erfolglosen Einsätzen von drei Kammerjägern in unserer Wohnung. Tatsächlich sind Bettwanzen eigentlich harmlos. Sie übertragen keine Krankheiten. Deshalb sei es falsch, sie Schädlinge zu nennen, erklärt mir Arlette Vander Pan, promovierte Biologin und Bettwanzenexpertin. Richtig heißt es Lästlinge. „Bettwanzen sind vor allem eine psychische Belastung.“ Albträume, Überwachsamkeit, Angstzustände und soziale Isolierung träten bei Betroffenen auf. Soziale Isolierung heißt: Vielleicht lieber nicht ins Schwimmbad, denn ist doch klar, dass die Stiche im Winter unmöglich von Mücken stammen. Es heißt, nach dem Kuss an der Haustür herumzustammeln, „die Bettwanzen sind jetzt auch bei mir…“. Jähes Zurückweichen des Gegenübers. Ob was an der Kleidung war, an den Handtaschen und Büchern, die zwischen unseren Wohnungen hin- und hergewandert sind?
Heißt es Überwachsamkeit, wenn man die Handyhülle inspiziert, auf der Suche nach millimetergroßen Eiern? Wenn man in Hotels alle Besitztümer ablegt, bevor man in die Nähe des Bettes kommt, Sicherheitsabstand anderthalb Meter? So rät es einer der Schädlingsbekämpfer, die ich während unserer Odyssee kennenlernte. „Ins Bett kommen nur meine Frau und ich. Kein Schlafanzug, kein Handy, kein Buch“, sagt er mit der Selbstgewissheit desjenigen, der mehr gesehen hat als die meisten, während er mit einem Pumpsprüher einen milchigen Chemiecocktail um die Betten verteilt.
Ein Bettwanzenbefall hat nichts mit mangelnder Hygiene zu tun. Aber wer je Kopfläuse hatte, weiß, wie wenig dieser Trost ausrichtet gegen das Gefühl, aussätzig und ansteckend zu sein. Also habe auch ich mich lange nicht getraut, offen über unsere Bettwanzen zu reden. Habe, natürlich mit reichlichen Sicherheitsvorkehrungen, bei anderen übernachtet, ohne sie zu warnen, weil ich Angst vor Ekel oder Mitleid hatte.
Im Hotelgewerbe tut man viel gegen die Tiere, aber man wahrt die Diskretion. Kein Hotel wirbt mit kontrollierter Bettwanzenfreiheit.
Und das ist ein Problem. Ein einziges Bettwanzenweibchen kann 15 bis 20 Eier in der Woche legen, 500 Eier in ihrem Wanzenleben. Deshalb ist es wichtig, den Befall früh zu erkennen und zu bekämpfen. „In Europa ist das Bewusstsein für Bettwanzen verlorengegangen“, sagt Erik Schmolz, Laborleiter am deutschen Bundesumweltamt. Und noch hat sich nicht herumgesprochen, dass das Problem wieder hier ist. Im Hotelgewerbe tut man viel gegen die Tiere, aber man wahrt die Diskretion. Kein Hotel wirbt mit kontrollierter Bettwanzenfreiheit. In den USA sei das anders, meint Schmolz. Von dort und aus Australien bringen die Weltreisenden sie meist mit. Dort gibt es auch besonders viele resistente Tiere. Organismen können dann Resistenzen bilden, wenn sie mit einem Gift in Berührung kommen und doch überleben. Zum Beispiel, weil das Gift eigentlich gegen einen anderen Schädling gerichtet war. „In den USA wurden bei der Bekämpfung von Schaben nebenbei Bettwanzen resistent gegen Insektenbekämpfungsmittel gemacht,“ sagt Arlette Vander Pan vom Umweltbundesamt.
Heute stehen nur noch drei Typen von Wirkstoffen gegen Wanzen zur Verfügung: Pyrethroide, Carbamate und Pyrrole. Pyrethroide sind sehr schnell effektiv, aber wirken ähnlich wie DDT, das eine Zeit lang gegen alles mögliche Getier verwendet wurde. Und wer gegen DDT resistent ist, dem können auch Pytethroide nichts anhaben. So ein Bettwanzenbefall will mit Fachwissen bekämpft werden. Zugleich macht er anfällig für Behandlungen, die schnelle Erlösung versprechen.
Der erste Kammerjäger schlug in unserer Wohnung eine Hitzebehandlung vor: Wenn man einen Raum auf 50 Grad erwärmt, denaturiert das Eiweiß im Körper der Wanzen. Im Gegensatz zu einer Giftbehandlung bringe das auch resistente Tiere um. Und die Eier. Aber für die Heizöfen braucht es einen Starkstromanschluss, den würde man extra legen müssen. Den Vermietern war das zu teuer. Als nächstes kam eine Truppe breitschultriger Männer in schwarzen Overalls. Mit dem unbekannten Inhalt von Gasflaschen, so groß wie die einer Taucherausrüstung, nebelten sie unsere Zimmer ein. Sie trugen Mundschutz und hatten uns geraten, alles aus den Zimmern zu nehmen, was mit Schleimhäuten in Kontakt kommen könnte. Nach ihrem Besuch krabbelte es munter weiter.
Wir waren entsetzt, als meine Mitbewohnerin zwei Wochen nach der Behandlung schon wieder ein Tier fand.
Der dritte Kammerjäger war der mit dem Sicherheitsabstand im Hotel. Er war ein echter Aufklärer und empört darüber, dass seine Vorgänger nicht einmal einen Zettel dagelassen hatten mit Infos darüber, welche Mittel sie verwendet hatten. Er ließ uns mit einem Behandlungsprotokoll zurück und dem guten Gefühl, dass er wusste, was er tat. Als ich Arlette Vander Pan stolpernd die Namen der Chemikalien vorlese, bestätigt sie den Eindruck: „Er hat verschiedene Wirkstoffe kombiniert, um alle Resistenzen abzudecken. Alles richtig gemacht.“ Dass nach der Behandlung noch lebendige Tiere auftauchten, sei normal – zwei bis drei Behandlungen brauche es fast immer. Genau hier hat auch der dritte Schädlingsbekämpfer versagt. Denn davon wussten wir nichts und waren dementsprechend entsetzt, als meine Mitbewohnerin zwei Wochen nach der Behandlung schon wieder ein Tier fand. Ich rief ihn an, bat um einen weiteren Termin. Er hatte offenbar viel zu tun und war skeptisch. Ob ich ein Foto hätte? Meine Mitbewohnerin hatte nicht daran gedacht, die Wanze vor dem Zerquetschen zu fotografieren.
Vielleicht treffen Schädlingsbekämpfer viele Menschen, die aus Panik überreagieren und sich Symptome und Tiere einbilden. Vielleicht geben sie nicht gerne zu, wenn ihre Prozeduren versagen. Jedenfalls schob man uns auch nach Wochen des Befalls die Beweislast zu: Wir sammelten lebende Tiere, machten Fotos, wurden sogar nach Hautarztdiagnosen gefragt, die die Urheberschaft unserer Bisse prüfen sollten. Ich schickte den Lagebericht an unseren Schädlingsbekämpfer. Er hat nie geantwortet.
Wir waren erleichtert, als wir hörten, dass nun doch der erste Mann kommen sollte, der mit den Starkstromöfen. Als all unsre Zimmer auf 60 Grad erhitzt worden waren und wieder abgekühlt, feierten wir die Erlösung mit Wein und Schimmelkäse. Arlette Vander Pan ist weniger begeistert, als ich ihr von der Hitzebehandlung erzähle. „Hat er was abgeklebt?“ Ich verneine und ahne Böses. „Hat er den Raum dichtgemacht, Ritzen, Spalten?“ „Naja, er hat die Tür mit Plastikplanen abgehängt“, sage ich kleinlaut. „Dieser Mann hat offensichtlich einfach ein Heizgerät gekauft und weiß nicht, was er macht.“ Eine Mischung aus Empörung und Resignation in ihrer Stimme. Sie erklärt, dass es in einem Altbau wie unserem sehr unwahrscheinlich sei, dass Tiere nicht irgendein kühles Plätzchen finden würden, an dem sie die 24 Stunden Heißluft überleben. Zum Beispiel hinter einer Steckdose. Und wenn eine Wohnung nicht ganz dicht gemacht wird, kann das Ausbleiben der Tiere auch bedeuten, dass sie in den Nachbarn neue Opfer gefunden haben. Ich solle mal nachfragen. Durch die Hitze sei nun außerdem die Langzeitwirkung der Gifte zerstört.
Nach dem Gespräch mit Vander Pan muss ich mich unvermittelt kratzen. Eher psychosomatisches Jucken, inzwischen kenne ich den Unterschied. Rote Punkte hatte ich seit der letzten Hitzebehandlung nicht mehr. Aber den witzigen Parasitenartikel aus der Zeit, den habe ich immer noch nicht aufgehängt.
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