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Wie bist du zur elektronischen Musik gekommen?
Ich erinnere mich an einen ganz bestimmten Moment: Es muss so Ende der 1990er- oder Anfang der 2000er-Jahre gewesen sein. Ganz Europa war damals im Griff der Big-Beat-Welle, das ist schnelle elektronische Musik im Stile von The Prodigy. Ich habe spät abends, ich war damals 13 Jahre alt, auf „Radio Deejay“ den Track von Apollo 440 „Ain’t Talkin’ ’bout Dub“ gehört und wusste mir nicht mehr zu helfen, ich war total geflasht. Zu dieser Zeit habe ich ausschließlich Hip-Hop und Nu-Metal gehört, dieser Track schien das Ganze aber miteinander zu vereinen. Erst eine gefühlte Ewigkeit danach, mit 18 Jahren, habe ich dann das erste Mal eher zufällig einen Drum & Bass-Track entdeckt. Es hat dann Klick gemacht und der Rest ist Geschichte: Ich bin quasi über Nacht zum fanatischen Drum & Bass-Anbeter mutiert und hielt Ausschau nach Feten, wo diese Musik gespielt wird. Weil es in Südtirol damals mit Ausnahme der Pionier-Kollektive FitFat und RVLTK leider nur wenig Angebot an qualitativ gutem Drum & Bass-Tanzvergnügen gab, habe ich 2007 mit einem meiner besten Freunde angefangen, selbst Musik zu produzieren, als DJ aufzulegen, Partys zu schmeißen und wir haben schließlich ein eigenes Label, also eine Plattenfirma gegründet.
Wie war es, ein eigenes Label zu gründen?
Uns ging es vor allem darum, einen Gegenpol bzw. eine Gegenbewegung zum Mainstream, zur dominanten Kultur zu schaffen, von der wir uns gar nicht repräsentiert fühlten, also klassisch Gegenkultur durch Widerstand. Das haben wir damals aber nicht wirklich kapiert, wir hatten auch niemanden als Referenzpunkt. Wir wollten einfach unserer Leidenschaft nachgehen und diese schnelle gebrochene Tanzmusik, die kaum einer kapiert hat, a tutto ciodo verbreiten. Nach zwei eher dürftigen Jahren sind wir als Label ins Ausland abgewandert und haben ausschließlich Künstlerinnen und Künstler aus dem Ausland unter Vertrag genommen und deren Musik veröffentlicht.
Hat das funktioniert?
In unseren besten Zeiten hatten wir bis zu 30 Künstlerinnen und Künstler unter Vertrag. Die Arbeit war jedoch auch sehr mühsam. Wir haben uns nie eine richtige Finanzierung aufbauen können, wodurch wir viel Herzblut in das Projekt stecken mussten, um es am Laufen zu halten. Wir haben es dennoch in die Südtiroler Mainstream-Clubs geschafft und eine Szene aufbauen können. Highlights waren sicher die Label Nights in der Halle 28, das letzte wirkliche Lokal für Subkultur in Bozen. Mit dem Abriss der Halle 28 ist es dann auch mit unserem Label abwärts gegangen. Dass Bozen seit 2015, also seit nun mittlerweile acht Jahren kein geeignetes Lokal für Underground-Musik mehr hat, ist die größte Schande überhaupt.
Wie habt ihr Künstler und Künstlerinnen aus dem Ausland angeworben?
Durch das Internet oder Veranstaltungen. Wir hatten beim Label einige Scouts, die Ausschau nach Künstlerinnen und Künstler hielten. Ich war einer davon. Im Internet verlief die Kommunikation hauptsächlich über direkte Messenger-Dienste oder über Foren, die sich mit elektronischer Musik beschäftigten. Eine zweite Möglichkeit war, bei Partys direkt nach Leuten zu suchen, die in unser Musikkonzept passten. Hauptsächlich haben wir Künstler und Künstlerinnen gesucht, die Broken Beat gespielt haben. Das ist eine Überkategorie von elektronischer Musik, zu denen viele Genres gehören wie zum Beispiel Dubstep oder Drum and Bass, aber auch Breakcore und Breakbeat.
Warum wirst du Techno-Landeshauptmann genannt?
Das erste Mal hat mich „franzmagazine.com“ im Zuge eines Interviews so bezeichnet. Letztes Jahr dann wollten mehrere Kollektive in Zusammenarbeit mit dem Museion eine 12-stündige Party auf den Talferwiesen organisieren, sie sollte von 10 bis 22 Uhr gehen. Auf diese Anfrage hin hat die Stadt Bozen gefordert, dass wir zweimal eine einstündige Pause einlegen, um die Nachbarn nicht zu viel zu stören. Diese Forderung hat dann eine Debatte um den Stellenwert von Subkulturen in Bozen ausgelöst. Als mich dann Medien zu dieser Debatte interviewten, nannte ich mich selbst Techno-Landeshauptmann, aus Lust an der herzhaften Provokation und um mehr Aufmerksamkeit für die Thematik zu generieren.
Die Politik ist der Techno-Kultur momentan zwar nicht direkt feindlich gesinnt, aber sie verhält sich ignorant und zeigt allgemein wenig Interesse und Verständnis für Jugendkulturen.
Wie ist die Techno-Szene in Südtirol heute und wie wird mit ihr umgegangen?
Techno und elektronische Musik im Allgemeinen ist im Vergleich zu den Anfangsjahren global gesehen viel mehr in der Gesellschaft verankert. Viele Mainstream-Clubs organisieren heute Techno-Abende und es ist nicht mehr nur eine Underground-Szene. Mittlerweile verschmelzen die Subkulturen immer mehr miteinander. Die klar abgegrenzten Punk-, Hip-Hop- oder Reggae-Szenen sind etwas in den Hintergrund geraten und durch eine heterogen durchmischte, alternative Szene ersetzt worden. Was man jedoch betonen muss, ist der fragwürdige Umgang mit Subkulturen in Südtirol. Die Politik ist der Techno-Kultur momentan zwar nicht direkt feindlich gesinnt, aber sie verhält sich ignorant und zeigt allgemein wenig Interesse und Verständnis für Jugendkulturen. Freiräume wie unabhängige Kulturzentren oder Jugendzentren, die nicht profitorientiert operieren, werden immer noch nicht ausreichend unterstützt.
War das immer so?
Nein, früher gab es zwar noch mehr Gegenwind aus der Politik, aber wir hatten teilweise auch mehr Möglichkeiten, uns eben in diesen Freiräumen zu entfalten. Welche Auswirkungen die Reduzierung solcher Freiräume hat, ist klar zu erkennen. Gruppen oder Kollektive, die nicht kommerziell handeln, entscheiden sich vermehrt für Grauzonen, oder, was noch viel schlimmer ist, lösen sich auf oder wandern ins Ausland ab. Die kulturelle Landschaft wird damit zum Brachland. Wir können uns auch die Frage stellen, ob ein ansteigender, unkontrollierter Drogenkonsum damit zusammenhängt und warum Partys vermehrt illegal stattfinden. Für die Politik ist das natürlich ein willkommener Anlass, Subkulturen zu kriminalisieren. Das kann man jetzt gerade gut am Anti-Rave-Gesetz erkennen. Wir als Subkultur dürfen aber keine Opferrolle einnehmen. Wir müssen uns vereinen, zu einem Syndikat für Subkultur, in der Öffentlichkeit konstant Präsenz zeigen und versuchen, die politische Debatte vorwärtsgerichtet zu gestalten und einfordern, was unser gutes Recht ist. Hier geht es um mehr als nur Techno, hier geht es um politische Verantwortung, kollektive Freiheit und eine solidarische Gesellschaft.
Die Free Party Szene gehört dorthin wo sie ist, im freien Raum, in temporäre autonome Zonen. Sie ist essenzieller Teil einer gesunden Subkultur, vor allem als Bollwerk gegenüber der absoluten Kapitalisierung der Musikkultur.
Du hast das Anti-Rave-Gesetz angesprochen: Veranstalter nicht genehmigter Rave-Partys oder anderer Musikevents können laut diesem neuen Gesetz mit hohen Haft- und Geldstrafen belegt werden.
Es ist kein Geheimnis, dass es sich hierbei um ein schwammig geschriebenes Gesetz handelt, das eher in Richtung Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit tendiert. Die Rave-Kultur wird in diesem Fall eher als Sündenbock hergenommen. Dies führt in der öffentlichen Meinung zu einer weiteren Stigmatisierung der Rave-Kultur und fördert die ablehnende Haltung gegenüber Subkulturen. Durch das Wiederaufflammen der Debatte zeigt sich die Szene allerdings allgemein geeinter und präsenter sowie beteiligt sich vermehrt am politischen Diskurs.
Gibt es Alternativen?
Die Free Party Szene gehört in temporäre autonome Zonen. Sie ist essenzieller Teil einer gesunden Subkultur, vor allem als Bollwerk gegenüber der absoluten Kapitalisierung der Musikkultur. Da in Italien die Bürokratie so eine große Hürde darstellt, bezweifle ich, dass Free-Party-Konzepte im legalen Rahmen stattfinden können, das hat wie gesagt auch keinen Sinn. Nur durch eine Kommerzialisierung der Veranstaltungen wäre es möglich, anfallenden Steuern und Produktionskosten zu bezahlen. Beispiele für Alternativen zum Anti-Rave-Gesetz gibt es in Berlin oder in Amsterdam. Dort arbeiten mehrere Kollektive in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung daran, dass bestimmte geeignete Spaces als Rave-Locations von der Stadt freigegeben werden.
Wichtig ist hierzulande, dass ein Austausch auf Augenhöhe mit Politik und Verwaltung geschaffen wird, vielleicht in Form einer neuen Plattform, einer Gewerkschaft von Kollektiven oder einer Vermittlungsstelle. Momentan befindet sich die Rave-Kultur außerhalb der Debatte, die sie betrifft, und das kann nicht so weitergehen.
Bist du selbst schon Vorurteilen begegnet?
Ja, schon oft. Die Vorurteile in der Südtiroler Gesellschaft sind viele, sei es im privaten Austausch oder auch bei den Institutionen. Ein Beispiel ist ein Kulturprojekt, das wir vor Jahren im Unterland umgesetzt haben. Wir hatten eine Lagerhalle in Auer zu einer Art unabhängigen Kulturzentrum umfunktioniert, wo wir Kulturveranstaltungen, Kunstaustellungen und unseren eigenen vereinsinternen Club organisierten. Dass das nicht allen passen würde, war abzusehen, aber dass wir am Ende auf Rechtswegen unberechtigterweise – wir haben zwei Rekursverfahren gewonnen – von Verwaltungsseite attackiert werden würden, damit hatten wir nicht gerechnet. Das war für viele freiwillige Vereinsmitglieder dann doch zu viel und das Projekt wurde nach nur zwei Jahren wieder beendet. Andererseits gibt es aber Gegenbeispiele, wie zum Beispiel das Festival Hospiz in Neumarkt. Da hatten wir von Anfang an bis heute die volle Unterstützung und Vertrauen der Gemeinde.
Wie fühlte sich die Ablehnung in Auer an?
Solche Anti-Aktionen geben einem das starke Gefühl der Nicht-Akzeptanz bzw. Ignoranz. Ich setze mich schon sehr lange für diese Subkultur ein, aber diese ständige Ablehnung geht mir auch an die Substanz. Mittlerweile bin ich 36 und langsam habe ich keine Lust mehr, mich mit solchen Vorurteilen und ermüdenden Scherereien rumzuschlagen. Vor einigen Wochen habe ich das erste Mal gedacht: „So das war’s jetzt, liebes Südtirol. Ich werde mich nun auch langsam ins Ausland vertschüssen, wie so viele andere. Da muss ich mich nicht die ganze Zeit erklären oder beweisen.“
Ich hoffe auch, dass die Politik versteht, dass junge Menschen genau in solchen Zeiten, in denen es multiple Krisen gibt, Unterstützung brauchen.
Was würdest du dir für die Subkultur in Südtirol wünschen?
Wir brauchen in Südtirol mehr Freiräume für einen nicht dominanten Kulturausdruck. Jugendzentren sind wichtig, aber was wir wirklich brauchen, sind Räume für die Menschen ab Anfang 20 bis über 45. Ich hoffe, dass die Politik das erkennt und versteht, dass Kriminalisierung und Verbot keine langfristige Lösung sind. Ich hoffe auch, dass die Politik versteht, dass junge Menschen genau in solchen Zeiten, in denen es multiple Krisen gibt, Unterstützung brauchen. Meiner Meinung nach ist der erhöhte Drogenkonsum stark an die multiplen Krisen gekoppelt, die zurzeit stattfinden. Ich würde mir auch wünschen, dass die Jugend wieder politisch aktiver wird und für sich einsteht. Wir können uns nicht nur beklagen, wir müssen auch politisch aktiv werden und handeln, denn besonders in Südtirol hätten wir die Mittel, um ein gesundes Umfeld für Subkulturen und Kunst zu schaffen.
Ich wünsche mir daher von der Szene mehr Radikalität, wir müssen uns zusammenreißen und selbstwirksam bis an die Wurzel des Problems hineingraben, und das ist unsere Einstellung, unsere ständige Opferhaltung. Und es sind unbequeme Fragen zu stellen: Was ist unser Verständnis von Kultur? In welcher Kultur wollen wir leben? Was müssen wir verändern? Sind wir vielleicht als Szene und als Gesellschaft zu bequem und wie weit sind wir bereit zu gehen? Was ist uns unsere Kultur wert?
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