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In der gesamten EU werden jährlich Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Der Filmproduzent und Regisseur Valentin Thurn zeigte 2011 mit seinem Film „Taste the Waste“ die Ursachen und Folgen der zunehmenden Lebensmittelverschwendung auf. Thurn ist auch Mitbegründer von foodsharing, einer Online-Plattform, durch die Lebensmittel getauscht und verschenkt werden können, bevor sie in der Tonne landen. Durch sein Engagement will der Dokumentarfilmer dem Essen wieder Wert geben, in einer Welt, in der es nur noch Ware ist.
Ihr Film „Taste the Waste“ zeigt die verschiedenen Teile der Produktionskette, wobei jeder beim anderen die Verantwortung für das Dilemma sieht: Der Handel sagt, der Verbraucher wolle das so, bewusste Konsumenten verteufeln Händler und Industrie. Wenn man die Frage denn so einfach stellen kann: Wer trägt denn die Schuld am Ganzen?
Das ist wie bei vielen Sachen: Der schwarze Peter wird gern hin- und hergeschoben. Und ich dachte mir anfangs auch, klassischerweise gibt es im Film ja immer den einen Bösewicht – aber ich habe bald gemerkt, das wird nicht passen. Denn bei dem Thema sind wir eigentlich alle Bösewichte. Wenn wir nach einer Lösung suchen, können wir das Gesamte nicht getrennt betrachten. Es würde fehlleiten zu sagen: Nur der Verbraucher ist schuld, oder nur die bösen Konzerne. Der Supermarkt an sich kann nichts machen, wenn der Verbraucher nicht mitzieht. Andererseits kann der Verbraucher, wenn er keine krummen Gurken im Supermarkt angeboten bekommt, auch nichts machen. Da kommt die Politik ins Spiel. Die kann vor allem dafür sorgen, dass sich alle entlang der Produktionskette zusammen bewegen. Das Beispiel England zeigt, dass die Politik durchaus was tun kann. Die hat das Land mit Kampagnen überzogen. Mittlerweile gibt es keine britische Supermarktkette mehr, die keine eigene Müllvermeidungskampagne hat. Man hat dort also ein Klima geschaffen, wo sich die Supermärkte dem gar nicht mehr entziehen können. Das geht soweit, dass sie sogar ihre Müllzahlen veröffentlichen. Die Engländer haben es in den letzten fünf Jahren geschafft, den Verbrauchermüll um 20 Prozent und den im Handel und Industrie um 5 Prozent zu reduzieren.
Wenn man bei den Supermärkten nachfragt, sehen die sich mit sich im Reinen und spielen den Ball wieder an die Verbraucher ab.
Ich glaube, die Märkte machen es sich da ein bisschen einfach. In Deutschland sagen sie auch, sie gäben ja schon alles der Tafel. Aber wenn man in die Tonnen schaut, sind die immer noch voll. Die Tafeln haben ja auch bestimmte Auflagen. Deshalb haben wir foodsharing gegründet – nicht um den Tafeln Konkurrenz zu machen, sondern um das abzuholen, was die nicht können, um in den Lücken noch für Verteilung zu sorgen. Oft wird von Seiten des Handels argumentiert: Schon aus rein wirtschaftlichen Gründen bemühe man sich. Das stimmt nur bis zu einem gewissen Grade. Natürlich schmeißen die nichts freiwillig weg. Aber man sorgt sich, dass der Kunde zur Konkurrenz geht, wenn er seinen Lieblingsjoghurt oder sein Lieblingsbrot nicht bekommt. Deshalb sind die Regale bis zum Ladenschluss noch voll, und wenn dann am nächsten Morgen die nächste Ladung kommt, muss das vom Vortag raus. So vernichtet man Ware, obwohl es eigentlich bares Geld ist. Aber noch schlimmer wäre es eben, wenn der Kunde zur Konkurrenz geht. Auch für die Industrie lohnt es sich in gewissem Maße, auch dort wird optimiert soweit es geht. Aber ab einem gewissen Punkt ist dann die Arbeitskraft teurer als der Rohstoff. Dann werfen sie lieber den Rohstoff weg – rein betriebswirtschaftlich gesehen vernünftig, volkswirtschaftlich und umweltpolitisch aber eine Katastrophe.
Beifoodsharing denkt man auch an Raffael Fellmer, den Buchautor und Aktivisten, der seit drei Jahren im Geldstreik lebt und auf Konsum verzichtet. Haftet einer solchen Lebensweise nicht immer ein Makel an, gerade in unserer Wohlstandsgesellschaft?
Raffael geht ja noch einen Schritt weiter und versucht gänzlich ohne Geld zu leben. Er sagt, Geld vergifte die menschlichen Beziehungen. Das ist natürlich kein Modell für alle, da müsste man ja das ganze Wirtschaftssystem ändern. Er legt damit aber den Finger in die Wunde unserer Gesellschaft, in der ja alles und jeder ökonomisch bewertet wird. Aber bei foodsharing geht es nicht darum zu sagen, jeder soll geldfrei leben, sondern das Essen soll wieder angesehen werden als etwas Besonderes, das geteilt werden soll, wenn was übrig ist – so, wie man das früher auf dem Dorf gemacht hat. Da ging das, was mal zuviel war, an Familie oder Nachbarn. Im Gegenzug kam dann auch wieder was zurück, aber man hat nicht gerechnet: So und so viel gab ich dir, soviel schuldest du mir. Es wurde kaum was weggeworfen, weil man wusste, mit wie viel Aufwand das Essen erzeugt wurde. Und diese Haltung möchte ich auch gern wieder in die moderne Stadt bringen.
Im Film wird gezeigt, wie Farmer ihre Produkte direkt auf dem Markt verkaufen und so aus den zwischengeschalteten Strukturen ausbrechen. So umgeht man die Supermärkte, die oft nur bestimmte normierte Ware in ihren Regalen wollen. Wäre das eine Lösung für das Problem?
Die Direktvermarktung zwischen Landwirt und Verbraucher ist in mehrerer Hinsicht eine Lösung. Bei sogenannten Gemüse-Abos oder solidarischer Landwirtschaft ist es so, dass der Bauer das verkaufen kann, was der Supermarkt eben nicht abnimmt: Alles was ein wenig komisch aussieht und nicht den Normen entspricht, aber trotzdem wunderbar schmeckt. Da ist die Müllmenge rein faktisch schon geringer. Noch wichtiger ist aber, dass so wieder ein Bewusstsein für die Lebensmittel entsteht. Auf dem Land, zumindest wenn man in der Landwirtschaft arbeitet, hat man ständig mit Gedeih und Verderb zu tun. In der Stadt hat man das eben nicht mehr. Dort sind wir so unsicher, was gut und was schlecht ist, weil uns das Wissen verloren gegangen ist. Deswegen verlässt man sich ja auf Krücken wie das Mindesthaltbarkeitsdatum und das optisch perfekte Aussehen. Das beruht auf einer Unsicherheit, mit dem Geschmack hat das ja nichts zu tun. Wenn man wieder ein wenig an den Landwirt herankommt, wieder mitkriegt, woher das Essen kommt und wie es produziert wird, steigt auch die Wertschätzung dafür. Das ist der mentale Faktor, von dem ich glaube, dass er eine Lösung sein kann.
Was halten Sie von der geplanten Maßnahme der EU, das Mindesthaltbarkeitsdatum von bestimmen Lebensmitteln wie Reis und Nudeln abzuschaffen?
Super Sache, die aber nicht reichen wird, da es nur wenige Lebensmittel betrifft, die eh selten weggeworfen werden. Wichtiger wäre, die zu verwechselnd ähnlichen Verbrauchs- und Mindesthaltbarkeitsdaten für den Verbraucher deutlicher zu unterscheiden. Da steht ja nur in winzigen Lettern „zu verbrauchen bis“ oder eben „mindestens haltbar bis“, obwohl das etwas ganz Unterschiedliches bedeutet. Das wissen viele Verbraucher nicht. Hier müsste man grafisch einen klaren Unterschied machen, das wäre noch viel wichtiger.
Wie erklären Sie einem Verbraucher den großen Kontext, in dem er handelt? Wenn er sich fragt, was macht es, wenn ich daheim drei Nudeln wegwerfe?
Wenn einer im Garten eine Zucchini anpflanzt und die dann auf den Kompost wirft – gut, das ist ein Kreislauf. In der modernen Landwirtschaft ist das aber nicht so. Dort wird alles mit einem immensen Energie-Input betrieben. Und wenn wir diese Zucchini wegwerfen, war all der Aufwand, der vorausgegangen ist – die Erzeugung, der Transport – sinnlos. Das sind dann die Kosten, die die Allgemeinheit zahlt, oft auch fernab von uns. Es sind Kosten, die nicht der zahlt, der zuviel produziert oder konsumiert und zuviel wegwirft.
Ein Verkäufer im Film sagt beim Entsorgen der Ware: „Da kann man nichts machen, das muss in den Müll.“ Kann man da wirklich nichts machen?
Doch. Der Handel kann etwa bei Waren kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum die Preise runtersetzen und verbilligt anbieten. Das wäre eine Methode. Oder er kauft nicht so viel ein und rationiert so, dass am Ende des Tages nicht so viel übrig bleibt. Es muss ja nicht auf Null runtergefahren werden, aber das komplette Angebot bis zum Ladenschluss ist Wahnsinn. Wenn der Kunde akzeptieren kann, dass das Angebot am Samstag nach 17 Uhr etwas ausgedünnt ist, wäre schon viel gewonnen.
Essen müssen wir alle, und wir werden nie auf Null kommen mit unserem Müll. Die EU aber hat sich zum Ziel gesetzt, die Größe unserer Müllberge zu halbieren. Das halt ich für absolut machbar.
Lest morgen hier auf BARFUSS, was Supermärkte in Südtirol bereits zur Müllvermeidung unternehmen und wie sie sich zum immer beliebter werdenden „Containern” äußern.
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