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In der Region Mato Grosso do Sul, dort, wo sich die fruchtbarste Erde Brasiliens findet, unweit der Grenze zu Paraguay, spielt sich eine der absurdesten Realitäten des Landes ab. Im Zentrum von Produktion und Export von Soja und Rohrzucker herrscht Krieg zwischen den Guarani, bekannt als kämpferischste Indigene Brasiliens, und dem wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes, der Agrarindustrie.
Einst haben die Guarani Wälder und Wiesen in der Größe Deutschlands bewohnt. Heute werden auf den Millionen von Hektaren Soja, Rohrzucker oder Mais gepflanzt und riesige Vieherden gezüchtet. Mehr als 40.000 Guarani leben auf weniger als einem Prozent ihres ursprünglichen Territoriums. Und manche arbeiten als Hilfskräfte auf den Feldern, die einst ihnen gehörten.
Dabei ist Land für die Guarani-Indigenen mehr als nur ein Ort. Es ist eine Verbindung aus Territorium, sozialen Bindungen, religiösen Kundgebungen und Lebensunterhalt. Land ist der Ursprung ihrer Kultur, ihre Identität. Seit Jahren kämpfen sie es sich daher zurück. Aber manche jungen Guarani hören freiwillig frühzeitig auf, sie machen im Krieg nicht mehr mit. „In den Indianerreservaten wie Dourados wuchert der Freitod unter ihnen wie eine Plage“, sagt Tonico Benites, 41, Guarani-Kaiowa und einziger indigener Doktor der Anthropologie Brasiliens. Hier ist die Selbstmordrate eine der höchsten weltweit, 34 mal höher als im restlichen Brasilien. 85 Prozent der Toten sind unter 30 Jahre alt, wie die Hilfsorganisation Survival International, die die Guarani im Kampf um ihr Land unterstützt, im Herbst 2013 bekannt gegeben hat. Die meisten Suizide wurden rund um Dourados verzeichnet.
Im Norden der Stadt, im bevölkerungsreichsten Indianerreservat Lateinamerikas, leben 15.000 Menschen auf 35 Quadratkilometern. Im Verhältnis zur Wohnfläche sind das rund sieben Mal mehr als im Durchschnitt von Dourados. Das Reservat ist ein Labyrinth aus nicht isolierten Häusern, 50 Quadratmeter für eine sechsköpfige Familie. Tonico Benites fährt einen Mietwagen durch den Schlamm und sagt: „In Brasilien gibt es keinen Platz für uns.“
Ein Leben im Reservat bedeutet Individualität, jeder ist für sich und hat doch keine Privatsphäre: Haus an Haus, durch einen Maschendrahtzaun getrennt. Aber die Guarani sind ein Leben in Gemeinschaft gewohnt. So wie in Puelito Kye. 150 Kilometer von Dourados entfernt, haben sich 300 Guarani indigenes Territorium zurückerobert. Die besetzte Facenda liegt nur zehn Kilometer von dem Reservat entfernt, in dem sie früher lebten. Hier gibt es keinen Kapitän wie im Reservat, hier entscheiden die 30 Familien gemeinsam über ihre Zukunft.
Eine Schar von Kindern singt Lieder, die die Evangelisten in den Reservaten als überholt bezeichnen. Sie tanzt im Regen. Männer Mitte 20 halten Pfeil und Bogen in den Händen, mit dem sie Essen für ihre Familien besorgen. Ihre Gesichter sind mit bunten Farben bemalt. „In den zurückerkämpften Gebieten haben die Selbstmorde aufgehört“, weiß Tonico Benites. Die Rate liegt hier unter dem brasilianischen Durchschnitt.
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