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Wie sein Werk, bricht auch der Hüttenwirt Albin Innerhofer mit mancher Erwartung. Er ist nicht der junge, von Tatkraft übersprudelnde Visionär mit Bunker-Fetisch, den man sich hinter einem solchen Vorhaben vorstellt. Zwar freundlich, aber reserviert, beinahe schüchtern, begegnet der 55-jährige Mann seinen Gästen auf dem Marchkinkele, auf rund 2500 Metern Höhe.
Erst, wenn man ihm gezielt Fragen stellt, merkt man, wie viele Geschichten dieser Mann aus dem Tauferer Tal nahe Bruneck auf Lager hat. Die Faszination, die die Berggastwirtschaft auf ihn ausübt, ist beispielsweise etwas, das er als junger Erwachsener von seinen Weltreisen in gebirgige Regionen wie den Kaukasus, Südamerika oder Nordindien mitgebracht hat.
Im Amt für Raumordnung und in der Gemeinde Toblach war man sofort recht angetan, als Innerhofer Ende 2018 mit dem Vorhaben vorstellig wurde, unter dem Gipfelkreuz des Marchkinkele eine Schutzhütte zu eröffnen. Denn so bot sich endlich die Gelegenheit, auch den alten Mussolini-Bunker, jenen grauen rechteckigen Klotz, der unmittelbar unter dem Gipfelkreuz liegt, einem konkreten Zweck zuzuführen.
Wie die anderen Bunker, die Italien nach Österreichs Annexion durch die Nationalsozialisten entlang der neuen Grenze zu Deutschland errichten ließ, war auch das Gemäuer unter dem Marchkinkele Teil des sogenannten Alpenwalles, der aus betonierten, vorwiegend unterirdischen Befestigungsanlagen besteht und das faschistische Italien gegen potenzielle Feinde aus dem Norden abschirmen sollte.
Tausende Anlagen sollten es werden, allein im Hochpustertal wurden bis 1942 fast 50 davon erbaut. Zum militärischen Einsatz kamen die Betonriesen jedoch nie. Als deutsche Truppen 1943 schließlich doch die Grenze überquerten und am 10. September Rom besetzten, kamen sie allerdings nicht, um das faschistische Italien zu stürzen, sondern um Mussolini aus alliierter Gefangenschaft zu befreien.
Und doch: Dass dieser Schutzwall ausgerechnet an der Grenze zum Bündnispartner Deutschland entstand, verrät viel darüber, wie es um das angebliche Vertrauensverhältnis zwischen Mussolini und Hitler tatsächlich bestellt war.
Im Gegensatz zu den Schützengräben und Offiziersbaracken aus dem Ersten Weltkrieg, die sich – zumeist aus Holz und Blech notdürftig zusammengeschustert – wie Nester an die Dolomitenfelsen klammern oder sich in sie hineingraben, haben ihre Nachfolger zwar historischen, aber keinen besonders ästhetischen Wert. Sie liegen als riegelförmige Beton-Ungetüme in der sonst unberührten Berglandschaft und säumen den gesamten Grenzgrat zwischen Italien und Österreich nördlich von Toblach.
Der Fremdkörper-Charakter der Mussolini-Bunker ist in erster Linie aufs Material zurückzuführen. In den zwanzig Jahren, die zwischen den beiden Weltkriegen lagen, hatte sich die Herstellung von Beton durch effizientere Verfahren deutlich vergünstigt. Und der wurde nun im Überfluss eingesetzt. Für die Bunker des Faschismus soll in Südtirol mehr Beton verbaut worden sein als für den Bau der gesamten Brennerautobahn.
An dieser Grenze, zwischen Nord und Süd, Deutsch und Italienisch, ging es nun darum, auch im Bereich der Architektur Gegensätze, Kontraste und Übergänge geschickt einzusetzen. Eine Aufgabe, die Albin Innerhofer Anfang 2019 gemeinsam mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Andreas Innerhofer anging, der in Mühlen in Taufers ein Architekturbüro führt.
Die Vorgaben waren klar: Der Bunker durfte aufgrund seiner historischen Bedeutung nicht einfach abgerissen oder beliebig verändert werden. Die Riegelform musste erhalten bleiben und die drei jeweils einstöckigen Baukörper durften um maximal ein Stockwerk wachsen. Gleichzeitig musste es irgendwie gelingen, sie ästhetisch aufzuwerten und ihnen dazu noch einen heimeligen Anstrich zu geben. Schließlich sollte das Gebäude nicht mehr ausgezehrte Kadetten, sondern Bergfreunde und Genussmenschen beherbergen.
Als erfahrener Solo-Reisender machte es Albin Innerhofer nichts aus, die ersten beiden Winter, als sich die Hütte noch im Umbau befand, alleine auf 2500 Höhenmetern zu verbringen. Mit Schneeschuhen marschierte er aus dem Tal herauf, die Wintervorräte hatte er bereits im Herbst hinterlegt. „Der Umbau war ein Vollzeitjob, fast drei Jahre lang“, erinnert sich Innerhofer. „Wegen Corona waren damals ohnehin die meisten Menschen irgendwie isoliert – ich habe wenigstens spektakuläre Sonnenaufgänge und -untergänge erlebt.“
Bis 2016 war Innerhofer der Geschäftsführer einer Bioheizfirma, die sich schon einmal, nach der italienischen Wirtschaftskrise ab 2009, umorientieren musste. In den Fokus geriet der britische Markt, wo Innerhofers Firma Aufträge im Wert von bis zu zehn Millionen Euro ergatterte. Doch dann kam der Brexit, das Geschäft stand nun endgültig vor dem Aus. Innerhofer verkaufte seine Anteile, er war erst vor kurzem 50 Jahre alt geworden. Da wusste er: „Wenn ich noch etwas anderes in meinem Leben tun will, dann muss ich es jetzt wagen.“
Also begann Innerhofer, sich aktiv nach leerstehenden Schutzhütten oder Objekten, die zur Schutzhütte umgebaut werden könnten, umzusehen. Und kam so auf den Bunker am Marchkinkele.
Für die Außenwände setzten die Brüder auf wetterfesten Cortenstahl, ein lebendiges Material, das auch farblich einen guten Kontrast ergibt: Der obere Stock im rostbraunen Mantel, darunter eine Patina aus grauem Beton, weißem Putz und gelbroten Feuchtigkeitsflecken.
Genau so präsentiert sich die Bunkerhütte, wenn man sie über alte Militärstraßen, die sich die Hänge emporschlängeln und mit ihren flechtenbewachsenen Steinmauern hier längst zum angestammten Landschaftsbild gehören, nach etwa drei Stunden Fußmarsch erreicht.
Im Gasthausraum der Hütte stehen heute keine Militärpritschen auf Betonboden mehr, sondern gemütliche rot-weiß-gedeckte Holztische auf Fichtenboden. Der Raum ist angenehm beheizt und die rechteckigen Ausschnitte in der Wand, wo einst die Pritschen hineingeschoben wurden, dienen nun als Abstellplatz für Bücher, Decken, Kartenspiele, Kerzen und dekorative Pinienzapfen.
Auch die Zimmer und Bettenlager sind von einer rustikalen Gemütlichkeit aus hellem Fichtenholz und weiß gestrichenen Wänden geprägt. Als unverhoffter Vorteil erwiesen sich die großflächigen Fenster des Gebäudes, die im Gegensatz zu den sonst üblichen kleinen Hüttenfensterchen die umliegende Landschaft in die Hüttenzimmer hereinholen.
Nun freut sich Albin Innerhofer darauf, die nächsten Winter nicht mehr ganz allein hier verbringen zu müssen. Von den Wanderern wird die neue Einkehrmöglichkeit freudig aufgenommen. Als erste Gaststätte an diesem Ort, der von Wanderern aus dem Hochpustertal und aus dem österreichischen Villgratental gleichermaßen aufgesucht wird, füllt die Marchhütte seit ihrer Eröffnung im Sommer 2021 eine mittelgroße Infrastrukturlücke. Entsprechend will Albin Innerhofer die Hütte ganzjährig geöffnet halten, im Sommer für die Wandermenschen, im Winter für Skitourengeher.
Den Gästen will er genau das bieten, was ihn schon auf seinen Jugendreisen so begeistert hatte: eine originelle, aber zugleich gemütlich-praktische, kostengünstige Unterkunft – und Gastfreundschaft.
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