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Es sind mindestens drei Welten, die unter einem Verschlag aus schief aufeinandergestapelten Ziegeln und einem Dach aus Palmenblättern Platz finden. Ein kleinwüchsiger Greis und seine Frau sitzen im Schneidersitz um eine glühende Metallplatte und backen, von Fliegen belagert, traditionelles Fladenbrot mit Schafkäse und Knoblauch. Eine modebewusste junge Truppe bestaunt hinter Ray Ban-Brillen die urige Szenerie, einer fängt sie mit seiner Spiegelreflexkamera ein.
Im selben Augenblick wird das Brutzeln des Fladenteigs vom Klappern der Hals- und Armketten eines eintretenden Hippies verdrängt. Die Touristen machen Platz für ihn und der Fotograf stellt sich so hin, dass er auch den bärtigen Mann mit schulterlangem Haar aufs Bild bekommt. Schlabberhosen und Dreadlocks scheinen hier wichtiger Bestandteil des Lokalkolorits zu sein, genauso wie Blümchentschador und alte Fischerkähne.
Wie zur Erinnerung an das große Ganze, in der sich diese drei Lebenswelten begegnen, bleibt eine Polizeistreife vor dem Backladen stehen. „Mädels, die Kopftücher bitte!“, ruft der Beamte hinter heruntergelassenen Scheiben und macht mit seiner Hand eine Geste, als würde er sich einen Hijab überziehen. Die Frauen in der Truppe folgen hastig der Anweisung und schauen verstohlen zum Polizeiwagen. Doch der Beamte lächelt nur und verabschiedet sich auf joviale Weise: „Bitte denkt daran, wir sind hier noch immer im Iran.“ Erleichterte Blicke.
Wer in der islamischen Republik unislamisch feiern will, und das auch noch relativ unverhohlen, muss in den Süden.
Die Scharia-Regeln, die auf dem Festland mit eiserner Faust durchgesetzt werden, scheinen hier, auf den Inseln am Persischen Golf, manchmal nur eine Empfehlung zu sein. Alkohol ist verboten, sein Besitz wird aber weniger konsequent verfolgt. Und während Hardliner in der Pilgerstadt Maschhad im Nordosten des Landes die weiblichen Fußballfans noch immer mit Pfeffersprays von den Fußballstadien fernhalten, hat man auf der Insel Kish, dem Urlaubsziel der Wahl für konsumfreudige Iraner, erst kürzlich verkündet, zur Fußball-WM in Katar mehrere Tausend britische Fans visafrei aufnehmen zu wollen.
Wer in der islamischen Republik unislamisch feiern will, und das auch noch relativ unverhohlen, strebt in den Süden. Darya war vor fünfzehn Jahren das erste Mal auf Hormuz (wird ausgesprochen wie: Hormus). Die heute 36-jährige Frau aus Teheran verliebte sich in die Insel, gerade weil sie das Gegenteil der Partyinsel Kisch war. Einsam, verwahrlost, ursprünglich. Freier als auf dem Festland war es auch hier, ist es heute noch. Aber im Gegenteil zu Kisch ist diese Freiheit nicht nur in gehobenen Preisklassen verfügbar.
Die Besucher des traditionellen Gästehauses, das Darya vor etwa sieben Jahren unmittelbar neben dem alten portugiesischen Fort eröffnet hat, schätzen das. Es sind einfache Studenten, die hierherkommen, in letzter Zeit aber immer häufiger auch zahlungskräftige Vertreter der Teheraner Jeunesse dorée. Die Folklore und der alternativ-kreative Geist der Insel rechtfertigen für sie den Mangel an Komfort. Bislang.
Rund 6000 Menschen leben heute auf Hormuz, oder besser gesagt, auf der kleinen Landzunge im Norden. Der Rest der kreisrunden Insel gilt als unbewohnbar, weil sie zu großen Teilen aus Salz besteht, der die Böden unfruchtbar und instabil macht. Dafür darf sich Hormuz mit der Eigenschaft rühmen, die einzige essbare Insel der Welt zu sein.
Besonders im Winter, wenn hier angenehme 25 Grad herrschen, finden sich neben den Touristen auch eigenartige Habitués ein, die meistens mehrere Monate bleiben. Künstler und Aussteiger aus dem ganzen Land haben auf Hormuz ein Refugium gefunden, um sich abseits der strikten Normen der islamischen Republik einigermaßen frei zu entfalten. Die Musiker verdingen sich als Straßenmusikanten, die bildenden Künstler bieten ihre handgefertigte Ware an den Touristenhotspots der Insel feil.
Als Arbeitsplatz hat sich Farid die „Salzgöttin“, einen skurril geformten Salzdom im Landesinneren ausgesucht. Der schweigsame Student aus der Stadt Schiraz, der schon seit Jahren nach Hormuz kommt, bestreitet seinen Lebensunterhalt mit selbstgeknüpften Armbändern. Inspirieren lässt er sich von den extravaganten Formen und Farben, die hier durch besondere Erdbewegungen und Erosionsprozesse entstanden sind. „Geld ausgeben, um auf andere Planeten zu fliegen? Elon Musk und Jeff Bezos hätten genauso gut nach Hormuz kommen können“, sagt er.
„Es gab kaum Trinkwasser und wenn man seine Sandalen vor die Haustüre legte, musste man davon ausgehen, dass sie innerhalb von zehn Minuten weg waren.”
Auch den Einheimischen kommt der Tourismus zugute. Omid, der sich als Rikscha-Fahrer einen komfortablen Lebensstil finanziert, erinnert sich noch gut an die Zeit vor etwa zwanzig Jahren, als die Menschen ausschließlich von Fischerei lebten. „Es gab kaum Trinkwasser und wenn man seine Sandalen vor die Haustüre legte, musste man davon ausgehen, dass sie innerhalb von zehn Minuten weg waren. So arm waren die Menschen.“ Heute besitzt Omid sein eigenes Fahrzeug, er teilt sich die Arbeitszeit selbst ein und wenn er bis zum Mittag genug verdient hat, verbringt er den Rest des Tages mit seiner Familie.
Einmal versuchte ein Unternehmer, aus der benachbarten Insel Qeschm eine ganze Rikscha-Flotte nach Hormuz zu bringen und die Fahrer bei sich einzustellen. Doch die bildeten am Hafen eine menschliche Barriere, um zu verhindern, dass auch nur eine einzige auswärtige Rikscha auf die Insel kam. So leisten Hormuz‘ Bewohner Widerstand gegen den Massentourismus, der die Insel Kisch schon vor langer Zeit in einen Vergnügungspark für Reiche verwandelt hat.
Das Geschäft könnte zur allgemeinen Zufriedenheit so weitergehen, wenn da nicht die Politik wäre.
International ist die Insel Hormuz weniger wegen seiner Landschaft bekannt, dafür aber als potenzieller Schauplatz eines Konflikts mit weltweiten Folgen. Die iranische Regierung nutzt die strategische Lage immer wieder, um die Schließung der Seestraße von Hormuz für internationale Frachtschiffe und Öltanker anzudrohen. Ein äußerst machtvolles Druckmittel angesichts der Tatsache, dass ein Fünftel des weltweit geförderten Öls durch diese Seestraße transportiert wird.
Erst kürzlich wurde unter Teherans Hardlinern wieder die Forderung laut, die Straße von Hormuz für südkoreanische Schiffe zu blockieren, um den westlichen Verbündeten zur Freigabe von iranischen Guthaben in Höhe von sieben Milliarden US-Dollar zu bewegen, die im Zuge der Trump-Sanktionen blockiert wurden.
Um im Ernstfall schnell handeln zu können, unterhält das Regime in der Umgebung zahlreiche Militärstützpunkte und ist auch auf der Insel bestens vernetzt. „Hier leben Leute, die in Teheran jederzeit Audienz bekommen können. Leute, die nicht mal lesen und schreiben können, aber hier die Macht haben“, sagt Omid mit sichtlicher Geringschätzung.
Die einflussreiche Rückendeckung bestärkt einheimische Konservative, die Insel zunehmend nach ihrer Vorstellung zu gestalten. Ein Dorn in ihren Augen sind weniger die Künstler und Hippies, die meistens unter sich blieben und ihre Partys allenfalls an diskreten Orten austrügen, sondern die Touristen. Ein anderer Rikscha-Fahrer, der nicht so aufgeschlossen ist wie Omid, sagt: „Wenn ich hier Frauen sehe, die ohne Kopftuch rumlaufen, und Leute, die durch die Straßen torkeln, wünsche ich mir manchmal, dass es gar keinen Tourismus mehr gibt. Mit welchen Beispielen sollen meine Töchter aufwachsen?“
Ihren Standpunkt vertreten die Konservativen auch lautstark. Statt Straßenmusik und ausgelassenen Unterhaltungen ertönen an manchen Abenden die Allahu-Akbar-Rufe lokaler Regimeanhänger, die zu bestimmten Anlässen gerne Prozessionen durch das ganze Dorf organisieren. Wieder eine der vielen Welten, die auf dieser kleinen Insel Platz gefunden haben. Ob sie alle miteinander vereinbar sind, muss sich noch zeigen.
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