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Eine Stunde und fünfunddreißig Minuten wird auf der Bühne nur geredet: über das Sterben und darüber, ob Sterbehilfe ein Akt der Nächstenliebe ist oder unmoralisch. Trotzdem zieht das Stück die Zuschauer in einen Sog, dem man auch nach dem Ende der Vorstellung nur schwer entrinnt.
Mit „Gott“ holt Ferdinand von Schirach ein seit Jahrhunderten kontrovers diskutiertes Thema ins Stadttheater Bozen (zu sehen noch bis Sonntag), das in Zeiten eingeschränkter Freiheit, dominierenden Krankheits-Diskurses und polarisierender Debattenkultur aktueller ist denn je.
Mit wem könnte man besser über die Grenzen der Freiheit und über die Tabuisierung des Todes sprechen als mit den Schauspielern, die sich seit Monaten mit den ethischen Fragen des Stücks auseinandersetzen, Pro- und Contra-Argumente im Schlaf aufsagen können und Fachleute bei Debatten zum Thema Sterbehilfe verfolgt haben?
Für das Theaterstück „Gott“ von Ferdinand von Schirach musstet ihr euch mit dem Thema Tod und Sterbehilfe auseinandersetzen. War es für euch neu, ein Tabuthema so intensiv anzugehen?
Marion Reiser: Statt “intensiv” würde ich sagen: konkret. An den Tod habe ich auch früher immer wieder mal gedacht, aber die Auseinandersetzung damit ist konkreter geworden. Die rechtlichen Fragen rücken jetzt mehr ins Bewusstsein: Wem überlasse ich mein Sterben? Muss das jemand für mich entscheiden und tue ich ihm damit einen Gefallen?
Sollte die Gesellschaft offener und offensiver mit dem Thema Tod umgehen?
Berth Wesselmann: Das bleibt jedem selbst überlassen. Ich bin jetzt schon in einem Alter, in dem man mal über das Sterben nachdenken könnte. In meinem Umfeld haben das auch einige getan und sich sehr konkret festgelegt. Ich habe mich zwar damit befasst, aber es ist nicht so, dass es mein Leben bestimmt.
Reiser: Ständig muss man sich natürlich nicht damit beschäftigen. Aber der Gedanke an den Tod ist ja schon präsenter im Alltag geworden seit Corona. Es wäre schön, das Thema weniger zu tabuisieren, und stattdessen natürlicher über den Tod als Teil des Lebens zu sprechen. Vielleicht auch, um ihm die Unheimlichkeit zu nehmen, um nicht davon überrannt zu werden.
Also bist du jetzt besser auf dein Sterben vorbereitet?
Reiser: Nein! (lacht) Aber was sich geändert hat, ist, dass ich jetzt auch bald meine Patientenverfügung machen will. Egal, wie alt man ist, man hat vielleicht einen Unfall, und ich will nicht unbedingt fünf Jahre lang am Schlauch hängen.
Im Stück debattiert ein Ethikrat aus Rechtsexpert*innen, Ärztinnen und einem Religionsvertreter darüber, ob es moralisch richtig ist, wenn ein Arzt seinen Patienten beim Suizid unterstützt. Fandet ihr die Argumente dafür und dagegen gleichermaßen überzeugend?
Reiser: Schirach macht eine schwierige Gewichtung, und gibt dem Bischof sehr viel Raum.
Wesselmann: Das ist mir noch nie so aufgefallen.
Reiser: Wahrscheinlich macht er das bewusst, um die Position der Kirche zum Thema als Spiegel der Gesellschaft darzustellen, denn der Glaube ist ja für viele Menschen schon noch ein zentrales Thema in ihrem Leben.
Wesselmann: Aber Rechtsanwalt Biegler sagt ja, dass die Argumente des Bischofs nur gelten, wenn man einen bestimmten Glauben hat, ansonsten sind sie nichtig. Und zumindest beim Publikum kommt es so an, dass beiden Parteien recht gegeben wird.
Am Ende der Vorstellung stimmt das Publikum darüber ab, ob die Ärztin seinem Patienten Herrn Gärtner das Gift für seinen Suizid geben soll oder nicht. Die Ergebnisse fallen also meistens kontrovers aus, zur Hälfte dafür und zur Hälfte dagegen?
Reiser: Wir haben es erst dreimal gespielt, aber es war bisher immer knapp, also nicht mehr als fünf Stimmen Unterschied. Die Schwierigkeit im Stück ist ja gerade, und das macht Schirach bewusst, dass zwei Ausnahmefälle zur Diskussion gestellt werden: Ein gesunder 78-jähriger und eine junge Frau, die zumindest körperlich gesund ist.
Wesselmann: Nur dadurch ist diese Diskussion möglich. Wenn er einen kranken Menschen nehmen würde, fiele die Entscheidung leichter.
Am Schluss wird folgender Gedanke ins Publikum geworfen: Der Sinn der Gesellschaft ist nicht ein zwanghafter Konsens, sondern er liegt darin, den Dissens friedlich auszuhalten. Vielleicht ist das die wahre Botschaft des Stücks.
Reiser: Das denke ich mir auch immer. Unsere Figuren wirken ja sehr arrogant und sind von ihrer Meinung sehr überzeugt. Sie reden aneinander vorbei, sodass keine konstruktive Diskussion entstehen kann. Dadurch stellt Schirach den missglückten Diskurs unserer Gesellschaft dar. Und bei den Diskussionsrunden, die wir gesehen haben, zeigt sich das tatsächlich.
Ihr sprecht von den echten Diskussionen zwischen Fachleuten, die ihr zu dem Thema gesehen habt, um euch auf das Stück vorzubereiten.
Wesselmann: Genau. In der Podiumsdiskussion des Berliner Ensembles, da ging es zur Sache. Wer zusieht, wie diese Fachleute sich teilweise gefetzt haben, der versteht, wie glaubwürdig das Stück eigentlich ist. Das hat mir imponiert, wie die Fachleute richtig um etwas ringen. Und jeder hatte recht, das war ja das Schlimme! Genau das haben wir versucht aufzunehmen und zu spielen.
Berth, in deiner Rolle als Bischof vertrittst du die Meinung der Kirche zum Thema Sterbehilfe, bist also dagegen. Hast du dich in deiner Rolle wiederfinden können?
Wesselmann: Ich bin von Grund auf anderer Meinung als der Bischof und dachte zunächst: Warum soll ich gerade diese Rolle spielen? Dann hat mich die Rolle aber doch sehr gepackt, und ich kann die Sichtweise des Bischofs mittlerweile sehr gut verstehen.
So ein Stück prägt also den eigenen Blick aufs Thema.
Wesselmann: Ja, es macht einem nochmal vieles klar. In meinem Fall kamen viele Dinge wieder, die ich früher schon einmal gewusst und durchdrungen habe.
Zum Beispiel?
Wesselmann: Aus der Zeit, als ich ein regelmäßiger Kirchengänger war. Das ist aber schon lange her. Als Jugendlicher und bis zum Abitur, als ich von zuhause weggegangen bin, hatte ich eine enge Verbindung zur evangelischen Religion und habe mich viel mit den Problematiken der Kirche auseinandergesetzt. Das hat dann nachgelassen und ist jetzt wieder gekommen.
Marion, du hingegen interpretierst eine Rechtsexpertin, und somit die Stimme der Aufklärung. Im Gegensatz zur Kirche nimmt das moderne Gesetz die Freiheit als Argument dafür, auch über den eigenen Tod entscheiden zu können. Ist der moderne Freiheitsbegriff in diesem Fall zu weit ausgelegt?
Reiser: Es ist wichtig, dass ein Mensch sich frei entscheiden darf. Bei dem spezifischen Fall von Schirach, wo es um körperlich gesunde Menschen geht, da bin ich noch zu keiner letztgültigen Antwort für mich gekommen. Aber ich finde es beruhigend zu wissen, dass ich, wenn ich eine schlimme Diagnose bekomme, das Leid nicht bis zum Ende ertragen muss.
Der Bischof sieht das genau umgekehrt und sagt, der Sinn des Lebens liege nicht im Glück, wie die moderne Gesellschaft denkt, sondern darin, das Leid des Lebens auszuhalten, so wie Jesus sein Kreuz trug.
Wesselmann: Das war einmal die christliche Auffassung. Wir haben uns mit katholischen Pastoren unterhalten, und sie sagten, dass diese Auffassung mittlerweile ein bisschen veraltet ist, es findet also eine Art Versöhnung statt. Im Christentum geht es ja auch um Nächstenliebe, und dazu gehört, dem anderen in seinem Leid zu helfen. Das wäre die andere Auffassung.
Der Sinn der Gesellschaft ist nicht ein zwanghafter Konsens, sondern er liegt darin, den Dissens friedlich auszuhalten.
Ein Argument gegen Sterbehilfe ist, dass es Präzedenzfälle schafft, die dazu führen, dass Alte und Kranke schnell beseitigt werden, wenn sie zur Last fallen. In Zeiten einer Pandemie gewinnt diese Debatte noch mehr an Brisanz.
Reiser: Der Bischof warnt im Stück davor, das Leben nur an seinem Nutzen zu messen. Immer, wenn er das sagt, muss ich innerlich zynisch schmunzeln, weil es in der heutigen Gesellschaft ja schon wahnsinnig viel um die Nützlichkeit von Berufen und Menschen geht. Das erleben wir gerade in der Pandemie mit der Diskussion: Wer ist systemrelevant, und wer nicht.
Und worin liegt die Relevanz des Stücks?
Reiser: Bei der Online-Premiere gab es im Nachhinein eine virtuelle Diskussion mit dem Publikum. Sonst kommen ganz oft Fragen wie „Wie machen Sie das mit dem Text“, aber diesmal ging es gar nicht um das Schauspielerische, sondern gleich ums Thema. Das fand ich gut. Und das hat gezeigt: Das Stück setzt was in Gang.
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