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Monika (Name geändert) ist noch etwas benommen von der Narkose. Sie hat gerade eine Bauchspiegelung hinter sich und liegt nun wieder in ihrem Zimmer im Meraner Krankenhaus. Jetzt muss sie sich aber zusammenreißen und verstehen, was der Arzt ihr erklärt. Nur nichts verpassen: Endometrioseherde an der Außenwand der Gebärmutter, den Eierstöcken, am Darm, an den Nieren, an der Blase, am Magen. Die hat er gefunden und entfernt. Eine Endometriose also. Die 25-Jährige ist erleichtert. Zwar wurde ihr eben eine chronische Erkrankung diagnostiziert, aber viel wichtiger ist endlich die Gewissheit, nicht wahnsinnig zu sein.
Ihre unerträglichen Menstruationsbeschwerden, die sie jeden Monat mit Angst erwartete, schränkten sie in ihrem Alltag so stark ein, dass sie teilweise nicht aus dem Bett kam, geschweige denn zur Arbeit in die Schule fahren konnte. Schaffte die junge Lehrerin es doch dorthin, genügte ein Ellenbogen eines Schulkindes, der sie versehentlich streifte, und ihr wurde vor Schmerzen schwarz vor Augen. Das Unverständnis der anderen darüber, warum sie sich so anstellte, und die nicht ausgesprochene Vermutung, ihr Leiden sei bloß eingebildet, verunsicherten die junge Frau.
Was Monika – aber auch ihre Ärztin – jahrelang als Regelschmerzen abtat, ist eine häufige, chronische Erkrankung. Jede zehnte Frau hat sie. Dabei siedeln sich Zellen der Gebärmutterschleimhaut, dem sogenannten Endometrium, nicht nur innerhalb der Gebärmutter, wo sie eigentlich hingehören, sondern auch außerhalb an: an den Eierstöcken, am Darm oder anderen inneren Organen. Kommt es am Ende des Zyklus zur Monatsblutung, stoßen auch diese Endometrioseherde wie die Gebärmutter die aufgebaute Schleimhaut ab. Es kommt zu Blutungen und Entzündungen, die sehr schmerzhaft sein können und in manchen Fällen auch zu lebensbedrohlichen Folgeerscheinungen, etwa einem Darmverschluss oder dem Aufstau von Harn Richtung Nieren, führen. Ungefähr die Hälfte der Frauen mit Endometriose hat Schwierigkeiten, schwanger zu werden. Die Erkrankung ist vermutlich genetisch bedingt.
„Leiden sollte uns nicht als Frauen definieren.“
Als Endometriose-Patientin hat Monika Leidensgenossinnen mit bekannten Namen. In den USA hat sich um die Endometriosis Foundation of America eine Gruppe von Frauen gebildet, die offen über ihre Erkrankung spricht. Die US-Schauspielerinnen und Oscarpreisträgerinnen Susan Sarandon und Whoopi Goldberg gehören dazu. Gemeinsam mit anderen Betroffenen setzen sich die beiden Frauen dafür ein, die Krankheit bekannter zu machen und Frauen darin zu bestärken, Schmerzen nicht nur hinzunehmen, sondern sie abklären zu lassen. „Leiden sollte uns nicht als Frauen definieren“, sagt Sarandon in einer Ansprache beim Blossom Ball, der von der Foundation veranstaltet wird.
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Die Ansicht der Schauspielerin teilt auch Martin Steinkasserer. Er ist Primar der Gynäkologie mit eigener Endometriose-Ambulanz in Bruneck und setzt sich dafür ein, dass jeder Schmerz ernstgenommen wird. Wird die Lebensqualität der Frau durch Schmerzen eingeschränkt, müssen sie abgeklärt werden, ist das Credo des Frauenarztes. So könnte man vielleicht die Zeit, die bis zur Diagnose einer Endometriose vergeht, verkürzen. Heute dauert es durchschnittlich noch bis zu sieben Jahre, bis die Krankheit erkannt wird. „Nach wie vor ist die Erkrankung in den Köpfen – auch der Ärzte – nicht so präsent“, stellt Steinkasserer fest. Vielfach würden die Schmerzen, die die Erkrankung verursacht, zu unrecht als normale Schmerzen während des Zyklus abgetan. „Es geht deutlich über die normalen Regelschmerzen hinaus“, erklärt der Primar. Schmerzen sind allerdings etwas Subjektives und sehr individuell, was „normale“ Schmerzen sind, ist schwierig einzuschätzen.
Schon mehrere Jahre vor ihrer Diagnose im Jahr 2003 geht Monika wegen ihrer Schmerzen mehrmals zu ihrer Frauenärztin. Die sagt ihr, dass eine Regelblutung eben oft schmerzt und sie deshalb nicht zögern soll, zu Schmerzmitteln zu greifen. So nimmt Monika jeweils am ersten Tag ihrer Menstruation gleich am Morgen drei Tabletten auf nüchternen Magen. Etwas trinken oder sogar essen? Unmöglich. Dann würde der Schmerz unerträglich werden. Trotz der hochdosierten Schmerzmittel kann sich Monika kaum bis zu Toilette schleppen. Manchmal ist es dort so schlimm, dass ihr Kreislauf zusammenbricht.
„Da hast du das Gefühl, du bist eine Lügnerin. Die halbe Welt hat ja die Regel. Und nur du machst so ein Drama.“
Heute noch sind Themen wie die Menstruation meist tabu. Auch Monika spricht damals kaum mit jemandem über ihre Probleme. Extreme Regelbeschwerden und schmerzhafte Verstopfung sind eben nichts, was man beim Kaffee mit Freunden bespricht. Monika versucht all ihre Termine so zu verschieben, dass sie nicht in ihre schlimmen Tage fallen. Um zu erklären, wieso sie am Dienstag in drei Wochen keine Zeit hat, muss sie allerlei erfinden. „Da hast du das Gefühl, du bist eine Lügnerin. Die halbe Welt hat ja die Regel. Und nur du machst so ein Drama.“
So konnte es nicht mehr weitergehen. Monika wollte endlich wissen, was mit ihr los war. Damals, es ist um das Jahr 2000, erwähnt eine andere Ärztin das erste Mal den Verdacht auf Endometriose. Monika hat von dieser Erkrankung noch nie gehört. Zum Abklären versetzt man sie mittels einer Hormontherapie in die künstlichen Wechseljahre – Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen sind die Folgen, aber keine Besserung der Beschwerden nach Absetzung der Hormone. Ihre Ärzte, ja sogar ihre Arbeitgeberin legen ihr nahe, einen Psychologen aufzusuchen. Immer wieder wird der Verdacht geäußert, Monika bilde sich die Schmerzen nur ein, sie hätten eine psychische Ursache. Die junge Frau besucht daraufhin viele psychologische Beratungen – ihre Schmerzen verschwinden dadurch natürlich nicht.
„Du weißt, wenn dein Körper den Beweis jetzt nicht im OP bringt, dann lachen dich alle aus. Dann heißts, die spinnt halt.“
Monika fühlt sich nicht verstanden. Am meisten verletzt sie die Frage eines Medizinstudenten, der kurz vor ihrer Bauchspiegelung, die endlich die lang ersehnte Diagnose bringen wird, einen Fragebogen mit ihr durcharbeiten muss: „Er fragte mich, ob ich ein Problem mit meinem Frausein und meiner Sexualität hätte. Das hat mich sehr verletzt. Da wird deine Identität angezweifelt. Du weißt, wenn dein Körper den Beweis jetzt nicht im OP bringt, dann lachen dich alle aus. Dann heißts, die spinnt halt“, sagt sie heute. Neben den körperlichen Beschwerden, wie Schmerzen während der Menstruation oder beim Sex, erleben so auch viele Frauen seelischen Druck, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, was der Arzt aber nicht findet.
Martin Steinkasserer kennt den langen Leidensweg vieler Frauen. „Das Wichtigste, um eine Endometriose zu diagnostizieren, ist ein gutes, ausführliches Anamnesegespräch“, erklärt der Primar. Dadurch könne er bereits 50 Prozent der Endometriosefälle erkennen. Eine Ultraschalluntersuchung liefert dann meist Klarheit – allerdings braucht es dazu eine gewisse Expertise. Falls ein Arzt sich noch nicht so oft mit Endometriosepatientinnen beschäftigt hat – wie es bei Monikas Frauenärztin wohl der Fall war – sollte ein Experte zu Rate gezogen werden. Diese finden sich etwa im Endometriosezentrum in Bruneck.
Endometriose kann man nicht heilen, aber es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten: Es gibt Fälle, bei denen ist eine Operation und Entfernung der Endometrioseherde unumgänglich, etwa wenn sich Zysten an den Eierstöcken gebildet haben oder ein unerfüllter Kinderwunsch besteht, erklärt Steinkasserer. Nicht alle Frauen mit Endometriose leiden an so starken Beschwerden wie Monika. Manchmal reichen bereits entsprechende Schmerzmittel aus. Es gibt auch alternativmedizinische Möglichkeiten, die manchen Frauen helfen. Yoga, Akupunktur oder auch eine Therapie mit Heilpflanzen. „Alles, was die Lebensqualität der Frau steigert, ist möglich“, fasst der Experte zusammen. Hat eine Frau stärkere Beschwerden, wird meist auf Hormontherapie, etwa die Pille, zurückgegriffen. Durch das Ausbleiben der Regelblutung werden auch die Beschwerden gemindert.
Heute ist Monika beschwerdefrei. Sie nimmt nun die Pille ohne Pause ein Jahr lang durch, hat also ein Jahr lang keine Regelblutung. „Seitdem bin ich so happy!“, sagt die heute 36-Jährige. Gerne hätte sie sich den langen Leidensweg erspart. Mit Freundinnen spricht sie deswegen nun offen über ihre Krankheit, rät ihnen bei ähnlichen Beschwerden, den Arzt direkt auf Endometriose anzusprechen. Das Tabu um die „einsame Krankheit“, wie die Schauspielerin Sarandon sie nennt, scheint langsam gebrochen zu werden.
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