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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 01.10.2021
LebenInterview mit Rebekka Endler

Das Patriarchat der Dinge

Veröffentlicht
am 01.10.2021
Für Männer ist der Verkehr sicherer und Büros sind für Frauen zu kalt. Das hat Gründe. Autorin Rebekka Endler über eine Welt, die für Männer gemacht ist.
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Vom „Gender Pay Gap“ hat jeder schon gehört. Doch vom „Gender Data Gap“? Wahrscheinlich nicht. Die Journalistin Rebekka Endler sammelt in ihrem Buch „Patriarchat der Dinge“ Studien, die zeigen: Die Welt ist für Männer gemacht. Nicht nur Rennradsessel, Werkzeuge und öffentliche Toiletten richten sich an den Idealzustand für Männer und erschweren den Alltag für Frauen. Auch lebenswichtige Dinge, wie Medikamente oder Sicherheitsvorkehrungen bei Autos werden vermehrt an Männern getestet. Das führt dazu, dass im Straßenverkehr mehr Frauen als Männer sterben, Klimaanlagen für die weibliche Körpertemperatur in Büros und öffentlichen Gebäuden zu niedrig eingestellt sind (von wegen „Frauen ist immer zu kalt“) und Traktoren für Frauen in der Landwirtschaft schwerer zu bedienen sind. Es wird deshalb Zeit für eine Demokratisierung des Designs, fordert die Autorin.

Wenn man Männer mit der „Data Gender Gap“ konfrontiert, ist die erste Reaktion meist: Das glaube ich nicht! Hast du es anfangs auch nicht geglaubt, als du zum ersten Mal gemerkt hast: Der Mann gilt als universeller Maßstab?
Am Anfang haben mich viele Sachen baff gemacht, aber irgendwann bin ich abgestumpft und dachte nur mehr: “Ach, hier auch? Nicht überraschend.” Selbst in Bereichen, die nicht gesetzlich reguliert sind, wirken die patriarchalen Mechanismen. Beispielsweise sterben viel mehr Cis-Frauen an Drogenüberdosen, weil die Dosierungsangaben sich an einen Männerkörper orientieren. Andererseits: es wäre naiv anzunehmen, dass ein Walter White [aus der Serie “Breaking Bad”, Anm. d. Red.] beim Designen seiner Drogen an seine Frau denkt.

Rebekka Endler

Du beschreibst in deinem Buch eine Reihe von Alltagsgegenständen, die für einen männlichen Körper designed sind und Frauen den Umgang damit erschweren: Das geht von Fußballschuhen bis hin zu Ziegelsteinen. Welches Design hat dich am meisten überrascht?
Schockiert war ich mehr aufgrund der Menge an Dingen, auf die ich gestoßen bin. Ich habe Bereiche und Gegenstände beschrieben, die mir in meinem persönlichen Alltag aufgefallen sind und Studien zusammengetragen, die dazu existieren. Das heißt, dieses Wissen existiert schon seit Jahrzehnten in der Welt, ohne dass daraus ein Wandel resultiert ist.

Glaubst du, das liegt an mangelnder Anerkennung des Problems oder einfach daran, dass diese Maße allgemein praktischer sind?
Ich frage mich: Geht Männer das Patriarchat nichts an? Oder fühlt sich eine Konfrontation mit Privilegien, die sie ihr ganzes Leben bereits hatten, einfach zu unangenehm an, um kurz innezuhalten und darüber nachzudenken? Natürlich: Je größer die Ziegelsteine sind, desto schneller ist das Haus gebaut. Aber Design auch als Variable zu verstehen, die so wandelbar ist, dass es mehr Menschen passt, das ist für viele schwieriger zu akzeptieren, als ich dachte. Ich glaube, ein Problem ist auch, dass es hier mit unserem kapitalistischen System clasht.

Wie meinst du das?
Wenn wir eine Chancengerechtigkeit für alle Menschen schaffen wollen, müssen wir unsere ganze Welt modularer denken. Viele sagen dazu: Wer soll denn das bezahlen? Aber ich finde, als Utopie müssten wir diese Möglichkeit viel mehr diskutieren.

Sind unpraktische Designs für Frauen nicht eine Kleinigkeit im Vergleich zu den realen Problemen wie Gewalt an Frauen oder dem ungleichen Gehalt?
Ein gängiges rhetorisches Mittel von Kritikern ist es, sich eine Kleinigkeit im Buch rauszusuchen, zum Beispiel das Kapitel über Hosentaschen, und zu sagen: das ist lächerlich. Da macht man aber die komplette Struktur dahinter unsichtbar. Denn das Phänomen hat ja System und legt sich wie eine Matrix um die ganze Welt. Gewalt an Frauen und an allen nicht cis-männlichen Personen, der Gender Pay Gap und die Hosentaschen sind miteinanderverbunden und zeugen von der unterschiedlichen Wertigkeit, die wir im Patriarchat Menschen beimessen.

Ein Großteil der Medikamente, die wir heute in den Apotheken kaufen können, sind nicht für Frauen getestet.

Teilweise gefährdet der Gender Data Gap Leben. Crash Test Dummies zum Beispiel haben männliche Maße, Medizin wird meist an Männern getestet. Herrscht hier mehr Sensibilisierung?
Gerade vor einigen Wochen erschien ein Text im Standard über eine Studie, die herausgefunden hat, dass in Österreich in den öffentlichen Verkehrsmitteln viel mehr Cis-Frauen verunfallen als Cis-Männer. Laut Studie liegt es auch daran, dass die Verkehrsmittel nicht für Frauen gemacht sind, also zum Beispiel die Griffe zu hoch sind. Aber die ÖV haben als Statement abgegeben, dass sie keine gender-segregierten Daten erheben möchten, weil das aus ihrer Sicht nicht notwendig ist und die Ergebnisse der Studie daran lägen, dass mehr Seniorinnen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzten oder dass Frauen Stöckelschuhe tragen, mit denen man leichter verunglückt. Schuld sind also die Frauen und alte Menschen. Das Design wird gar nicht als Variable erkannt.

Früher wurde Wissenschaft fast nur von Männern betrieben, Ungleichheit zwischen Mann und Frau wenig thematisiert. Hat sich, seit auch Frauen in Forschungsteams sitzen, etwas geändert?
Es liegt an der langen Tradition: Wenn man bedenkt, wie lange die Entwicklung eines Medikaments in der Regel dauert, dann kann man sagen, dass ein Großteil der Medikamente, die wir heute in den Apotheken kaufen können, nicht für Frauen getestet sind. Auch der Covid-19 Impfstoff wurde ja auf Basis früherer Studien entwickelt, und gerade beim Immunsystem machen sich Unterschiede zwischen einem Cis-Mann und einer Cis-Frau bemerkbar. Dabei liegt das gar nicht mal so lange zurück. Das Verbot an weiblichen Probandinnen für medizinische Forschung wurde in Deutschland Ende der 90er Jahre aufgehoben. Eine aktive Empfehlung, Medikamente auch an Cis-Frauen zu testen, das gibt es erst seit 2011. Und es ist immer noch eine Empfehlung, kein Gebot.

Woher kam das Verbot weiblicher Testpersonen?
Das Verbot wurde nach dem “Contergan-Skandal” eingeführt. Das war ein Schlafmittel, das als unbedenklich galt und deshalb auch an schwangeren Frauen verschrieben wurde, aber dann zu fehlenden Gliedmaßen bei deren Babies geführt hat. Um sich vor Schadensersatz zu schützen, hat man Frauen im fruchtbaren Alter verboten, an Medikamentenstudien teilzunehmen.

Einen konstruktiven Ausblick zum Schluss: Du berichtest in deinem Buch zum Beispiel vom ersten Fußballschuh für Frauen, der durch Crowdfunding finanziert wurde.
Das Internet, mit all seinen negativen Eigenschaften, hat auch für eine Demokratisierung des Designs gesorgt. Durch Crowdfunding wird es möglich, direkt bei den Leuten, die das Produkt brauchen, das Geld zu sammeln. Den ersten cis-weiblichen Fußballschuh hätte es ohne Internet nicht gegeben. Gleichzeitig kann man die Verantwortung nicht an Unternehmerinnen oder Aktivistinnen abgeben, denn das lenkt vom Scheitern der Politik ab, die dieses strukturelle Problem angehen sollte. Bereits Virginia Woolf hat geschrieben, dass Errungenschaften von Frauen so schnell unsichtbar werden, weil Geld oft nicht da ist, um diese Ideen umzusezten. In einem patriarchalen System wird Geld unter Männer gehortet, aufgeteilt und weitergegeben. Dieses Thema erreicht langsam eine breitere Masse. In Deutschland hat gerade der zweite Lehrstuhl für Gendermedizin eröffnet. Und ich merke, dass gerade in Medien, die ich sonst nicht als besonders progressiv wahrgenommen habe, der Gender Data Gap Gehör findet. Das freut mich.

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