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Elmar Giacomuzzi freut sich. Er macht gerade hohen Umsatz. Der Kalterer ist im international agierenden Konzern Reca Group Italia tätig, er verkauft als Vertreter Arbeits-und Arbeitsschutzbekleidung. Mit der Angst vor der sich ausbreitenden Epidemie, die von China aus gerade weltweit Wellen schlägt, macht Giacomuzzi ein so großes Geschäft wie noch nie. Zu der Schutzkleidung, die er verkauft, gehören Einweg-Overalls für besonders hohe Hygienestandards. Wegen des Coronavirus ist die Nachfrage nach diesen Schutzanzügen enorm gestiegen. Das Unternehmen betreibt einen Onlineshop, den die gängigen Online-Suchmaschinen unter den ersten Ergebnissen für Anbieter von Einwegkleidung auflisten. So konnte das Unternehmen in nur drei Wochen 25.000 Einweg-Overalls verkaufen. Giacomuzzi sagt: „So viele verkaufen wir normalerweise in einem Jahr.“
Und noch etwas kam dem Unternehmen zugute: Wuhan, die Stadt in der das Coronavirus ursprünglich ausgebrochen ist, gehört zu den Hauptproduktionsstätten für Einwegbekleidung. „Die Stadt wurde abgeriegelt. Der Markt ist richtig hysterisch geworden, weil die Ware, die jetzt so dringend gebraucht wird, ausbleibt“, erklärt Giacomuzzi. Schutzkleidung, die bereits in den Schiffscontainern nach Europa unterwegs war und damit vor dem Virusausbruch den monatelangen Seeweg begonnen hatte, war allerdings noch auf dem Markt. Die Reca Group reagierte schnell. Man kaufte sämtliche noch verfügbaren Overalls aus China ein und sicherte sich so eine vorteilhafte Marktstellung.
Ein wenig erinnert diese Geschichte an das Phänomen des Schmetterlingseffekts: Ein Ereignis an einem Ort der Welt kann ungeahnte Folgen auf der anderen Seite der Erde nach sich ziehen. Selbst die kleinste Änderung, etwa der Flügelschlag eines Schmetterlings in Japan, könnte einen Tornado in Brasilien erzeugen. In unserer globalisierten Marktwirtschaft trifft die Theorie mehr zu als je zuvor. Das bestätigt auch Marco Marchiodi vom Unternehmerverband Südtirol: „Die immer stärker miteinander verwobenen Produktionsketten führen dazu, dass Probleme im Wirtschaftsraum China Auswirkungen auf die ganze Welt und eben auch auf Südtirols Wirtschaft haben.“ Diese Folgen sind nicht vorhersehbar. Für den einen kann sich der Flügelschlag des Schmetterlings in einen Wettbewerbsvorteil verwandeln. Für den anderen bedeutet er vielleicht Verspätungen und Ausfälle beim Import.
So etwa für die Oberalp S.p.A. Das Südtiroler Unternehmen der Marke SALEWA importiert auch aus Produktionsstätten in Wuhan. CEO Christoph Engels berichtet: „In letzter Zeit blieben mehrere Produktionsstätten geschlossen. Einzelne Mitarbeiter befinden sich in Quarantäne oder können nicht arbeiten, bis sie nicht medizinischen Kontrollen unterzogen wurden. Deshalb rechnen wir mit Verzögerungen in der Lieferkette. Wir sind in den letzten Jahren zwar nach Vietnam und Bangladesch abgewandert. Doch auch diese Produktionsstätten greifen auf Komponenten aus China zurück. Daher ist unsere gesamte Lieferkette betroffen.“ Mit kompletten Produktionsausfällen rechnet das Unternehmen aber nicht, auch weil erste Produktionsstätten wieder öffnen. Nun muss man versuchen, die Verspätungen wieder einzuholen, etwa indem man Ware nach Südtirol fliegt, anstatt sie in Schiffscontainern zu transportieren. „Das tun wir normalerweise aus Umweltgründen nicht,“ erklärt Engels, „doch wir werden eine Ausnahme machen müssen.“
Südtirol importiert seine Waren aus China insbesondere im Bereich der Textilindustrie. Laut Daten der Handelskammer lag deren Wert 2018 bei rund 105 Millionen Euro. 320 Südtiroler Unternehmen importierten aus dem Land mit dem größten Handelsvolumen der Welt. Es dürften also mehrere Firmen von den Entwicklungen in China betroffen sein. Die Reca Group Italia bleibt im Moment noch verschont, doch darauf könne man sich auf Dauer nicht verlassen, meint Giacomuzzi. Er sagt: „Lieferprobleme für Arbeitsbekleidung haben wir bislang keine. Unsere Importeure und Produkte kommen aus Produktionsstätten, die noch nicht so stark kontaminiert sind, daher ist der Lieferkanal noch offen. Das kann sich aber schon morgen ändern, sollte das Virus sich weiter ausbreiten.“
Was können Südtirols Unternehmen dem unvorhersehbaren Wind des Schmetterlingsflügels also entgegensetzen? Marco Marchiodi vom Unternehmerverband sieht eine Diversifizierung der Auslandsmärkte als langfristige Alternative. Hier habe sich in den letzten Jahren bereits viel getan: „Südtirols Wirtschaft exportiert heute in über 170 Länder weltweit. Die Abhängigkeit von den traditionellen Märkten wie etwa Deutschland ist nicht mehr so stark“.
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