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Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 20.12.2017
LebenBis ans Ende der Straße

Das andere Ich

Veröffentlicht
am 20.12.2017
Unterwegs trifft man auf Neues, Fremdes, Unvertrautes. Das setzt die Identität aufs Spiel.
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Es ist sehr angenehm, das Vertraute. Besonders, wenn es sich um vertraute Menschen handelt. Eingespielte Witze, altbekannter Humor, gemeinsame Erlebnisse, auf die man anekdotisch zurückgreifen kann. Manchmal vielleicht etwas langweilig, ja. Aber im Grunde ist man froh zu wissen, mit wem und womit man es zu tun hat. Denken wir zumindest.

Wir glauben, dass es bei der Liebe zum Vertrauten genauso wie bei der Angst vor dem Unbekannten um das Andere geht. Dass das Bedrohliche oder das Versichernde von außen kommt. Erst als ich mich unterwegs plötzlich im Niemandsland befand, merkte ich, dass dieses Bedrohliche genauso wie das Versichernde eher mit mir selbst zu tun hatten. Von Vertrautem umgeben zu sein bedeutet, wissen, wie man sich verhalten soll, wissen, auf welche Erwartungen man trifft, die Rolle kennen, die einem zugedacht ist. Zu wissen, wer der Andere ist, bedeutet, zu wissen, wer man selbst ist. Wenn einem nichts mehr vertraut ist und jeglicher Rahmen, der das Ausufern der eigenen Persönlichkeit einfassen könnte, plötzlich fehlt, allein in einem fremden Land zum Beispiel, da weiß man zuweilen tatsächlich nicht mehr, mit wem und womit man es zu tun hat – vor allem, wenn man dabei auf sich selbst blickt.

Für die alltäglichen Situationen, in denen man es mit neuen Menschen zu tun hat, hat man deswegen den Smalltalk erfunden. Wo der Rahmen des Bekannten fehlt, um unserem Auftreten eine Richtung zu geben, greift das seichte Kommunikationsnetz von ritualisierten Fragen und Antworten, die ein zu schnelles Abtauchen in persönlichere Themen, die sich letztlich um das drehen, was uns als Individuum ausmacht, verhindern.

Auf Reisen fehlt plötzlich die Oberfläche, entlang derer der Smalltalk funktioniert. Die Menschen wollen wissen, wer du bist.

Smalltalk zu üben ist aber schwierig, wenn es keinen Alltag gibt. Mit einem Rucksack als einzigem Eigentum, auf fremdem Boden, von Menschen umgeben, die fremd denken und fremd sprechen, fehlt plötzlich die Oberfläche, entlang derer der Smalltalk funktioniert. Wenn man mit Einheimischen spricht, geschieht das oft, weil man ihre Hilfe braucht oder weil man von ihnen eingeladen wird. Die wollen dann nicht übers Wetter sprechen, sondern etwas über dich erfahren: Was treibt dich in ihr Land, was hast du bisher erlebt, wie ist es da, wo du herkommst? Trifft man hingegen auf andere Reisende, ist Smalltalk ebenfalls sehr selten. Die Ausnahmesituation des Reisens eignet sich nicht dafür. Gespräche über Politik oder Kunst, philosophische Erörterungen über den Glauben, den Sinn des Lebens oder sogar die Liebe sind häufiger.

Doch die spannende Frage bleibt: Wer ist der Andere, mit dem man sich gerade so prächtig über die Universalität der europäischen Aufklärung oder die Bedeutung des linguistic turn für die Geisteswissenschaften unterhält? Als identitätsstiftendes Element greift man gerne auf die eigene Herkunft zurück. Es ist auffällig, wenn man darauf achtet, wie in einem Backpacker-Hostel die Gespräche unter Unbekannten üblicherweise beginnen. „Woher kommst du?“ ist die unumgängliche Frage, die nach einigen Augenblicken des Schweigens irgendwann doch immer fällt. Eine Zeit lang habe ich mich bemüht, diese Frage als Einleitung einer Konversation bewusst zu vermeiden. Es war schwer. Womit sollte man sonst ein Gespräch beginnen, mit einem Fremden, tausende Meilen von der eigenen Heimat entfernt?

Je nach dem, was das Gegenüber dann antwortet, macht man sich ein Bild von ihm. Natürlich unbewusst und ohne böse Absicht. Brite? Aha, Brexit. Franzose? Baguette und Camembert. Italiener? Berlusconi. Bestimmte Staatsbürger geraten in letzter Zeit besonders unter Druck. Ein paar Mal fielen mir US-Amerikaner auf: Nachdem sie sich vorgestellt hatten, fügten sie auf mehr oder weniger scherzhafte Weise schnell noch hinzu: „But no Trump-voter, don’t be worried “. Nach dem selben Muster legte auch eine Weltenbummlerin aus der Türkei besonderen Wert darauf, zu spezifizieren, dass sie aus dem europäischen Teil Istanbuls stammt.

Manchen fällt es schwer, sich mit der Vorstellung eines Italieners deutscher Muttersprache abzufinden.

Auch als Südtiroler hat man es nicht leicht. Die eigenen Landespolitiker sind in der Welt zwar nicht hinreichend bekannt, als dass man sich für sie schämen müsste. Doch sobald man angibt, Italiener zu sein, folgt meistens die perplexe Frage, woher in der englischen Aussprache der deutsche Akzent komme. Dann sieht man sich meistens genötigt, einen historischen Kurzvortrag über den Ersten Weltkrieg, die Verträge von Versailles und die aktuelle Demographie Bozens zu halten. Manchen fällt es auch dann noch schwer, sich mit der Vorstellung eines Italieners deutscher Muttersprache abzufinden. Aus diesem Grund, so erzählte mir ein Reisegefährte, der ebenfalls Südtiroler war, würde er das Gesprächsthema „Herkunft“ gezielt vermeiden. Auf der Terrasse eines Hostels im nordgriechischen Thessaloniki erklärte er mir gereizt: „Etwas vom Wenigen, das in meinem Selbstbild konstant ist, ist meine Identität als deutschsprachiger Italiener. Da habe ich wenig Lust drauf, auch das noch von anderen in Frage stellen zu lassen“. Ob eine doppelte Staatsbürgerschaft daran etwas ändern würde?

Auf Situationen, die alles infrage stellen, muss man jedenfalls gefasst sein, wenn man unterwegs ist. Und viele Reisende suchen geradezu danach. Der krasseste Vertreter dieses Menschentyps war ein breitgebauter Texaner, ehemaliger Irak-Veteran, der mit seinem Fahrrad auf dem Weg von Paris über den Pamir Highway und das Karakorum-Gebirge nach Indien war. An einem schwülen Juniabend saßen wir in der Küche einer Herberge im westlichen Aserbaidschan zusammen. Der alkoholsüchtige Künstler aus St. Petersburg, der mit am Tisch saß, hatte schon den fünften Shot Cognac ausgeschenkt und die Zungen wurden lockerer. Der Texaner fing an, von seinen Kriegserlebnissen im Irak zu sprechen. „Natürlich haben wir Menschen umgebracht. Das spielte gar keine Rolle“, sagte er. Und fügte hinzu: „Jeder Soldat, der wenigstens ein bisschen Hirn hatte, wusste, dass dieser Krieg keine moralische Legitimation hat. Dass wir nicht wegen der Demokratie dort sind“. Auf meine Frage, warum er dann dort kämpfte, folgten die üblichen Verweise auf Befehle. Aber warum überhaupt zum Militär gehen? „Jemand muss es doch tun“. Nach kurzem Schweigen folgte dann ein merkwürdiges Bekenntnis des Veteranen: „Ich suche Grenzerfahrungen, Situationen, die mich an mein Limit bringen. So erfahre ich mich selbst und kann persönlich wachsen. Solche Situationen fand ich damals im Krieg und jetzt im Reisen.“ – Mit dem Unterschied, dass man beim Reisen keine Menschen umbringen muss, dachte ich bei mir.

Aber es stimmt: Unterwegs zu sein ist eng mit der Frage nach der eigenen Identität verbunden. Es ist also nicht nur ein Klischee, wenn man auf einer großen Reise sich selbst finden will – weit weg vom vertrauten Rahmen, nach dessen Kriterien man sich einst definierte. Je höher der Grad an unvertrauten Situationen, desto besser für die Selbstfindung. Doch wenn der Rahmen plötzlich fehlt, kann man sich selbst auch verlieren. Ob das gut oder schlecht ist? Es hängt letztlich davon ab, wer man sein will.

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