Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Neulich habe ich einen Artikel gelesen, in dem stand, dass jeder über eine innere Uhr verfüge, die einem sage, wann der richtige Zeitpunkt zum Aufstehen sei. Vier Uhr ist definitiv nicht meiner. Dennoch quäle ich mich jetzt, nach nur zwei Stunden Schlaf, aus dem Bett. Ich will heute zum ersten Mal Brot backen. Zum ersten Mal richtig dabei sein, wenn wir wie früher im großen Stil typische Roggenbrote backen. 200 Kilogramm Mehl warten darauf, verarbeitet zu werden.
Ob das aber eine gute Idee ist? Immerhin sind das, was ich bisher in meinem Leben gebacken habe, gerade Mal zwei Kuchen und ein paar Muffins – aber selbst die paar Mal, an denen ich Muffins gebacken habe, könnte ich wohl an einer Hand abzählen.
Zum Glück backe ich aber nicht alleine, sondern zusammen mit zwölf Helfern. Onkel, Tanten, Cousinen und Freunde haben sich angekündigt. Für alle ist es ein großes Ereignis. Einige sind heute zum ersten Mal dabei, andere haben früher, als sie hier am Innergrabenhof in Ulten gelebt haben, mitgeholfen. Heute wird zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder gebacken.
Meine Vorfahren waren Selbstversorger. Es gibt nicht viel, was meine Großeltern, meine Onkel und Tanten und mein Vater nicht selbst angebaut, aufgezogen oder produziert haben: Lebensmittel wurden im über zwei Hektar großen Acker von Hand angebaut. Es gab eigenen Speck, Eier, Milch und sogar Kleidung wurde aus Leinen und Hanf selbst hergestellt. Im Winter gab es eingemachte Früchte, Sauerkraut und Kartoffeln sowie Karotten aus dem Sandbottich im Keller. Und zweimal im Jahr wurde eben auf dem Hof selbst Brot gebacken.
Als das letzte Mal die Teigrührmaschine angeworfen und der Ofen angeheizt wurde, war ich acht Jahre alt. Nur wage kann ich mich noch an die Nacht erinnern. Ich glaube sogar, dass ich damals die Schule schwänzen durfte, um die ganze Nacht aufbleiben und beim Backen zuschauen zu können. Was für ein Erlebnis!
Heute bin ich 28 Jahre alt und habe in diesem Jahr durch einen Schicksalsschlag den Hof meines Vaters übernommen. Gemeinsam mit meiner Schwester und meiner Mutter bewirtschafte ich den Erbhof, der bereits seit mehreren hundert Jahren im Familienbesitz ist. Wir wollen langsam alles wieder in Schwung bringen und die alten Traditionen des Innergrabenhofs wieder aufleben lassen.
Sechs Uhr, zurück in der Backstube. Es ist schwül, 32 Grad misst das Thermometer im Raum. Die dünnen Fenster sind beschlagen. Die Teigrührmaschine, die mein Opa von der Bäckerei im Dorf abgekauft hat – was für ein Segen – rattert auf Hochtouren. Der Teig muss eine Stunde lang gerührt werden, dann kommt er in den „Zuber“ – einen großen Holztrog, um den sich die ersten Helfer scharen. Jeder hat seine Aufgabe. Drei rollen kleine Teigkugeln, zwei richten die Bretter her, auf denen die Brote aufgehen können. Auf diesen langen Holzbrettern werden Leinentücher ausgerollt und mit Kleie bestreut, damit die Teigkugeln nicht kleben bleiben. Sie werden paarweise nebeneinander auf die Tücher gelegt und die Bretter zum Gehen auf die „Schragen“ gelegt. Eine schweißtreibende Arbeit. Aber es muss mindestens 30 Grad im Raum haben, sonst geht der Sauerteig nicht richtig auf.
Wenn man zwischen den Schragen steht, hört man ein leises Knacken – der Teig geht auf. Wenn er „Wegeler“ bildet, also das typische Linienmuster aufzeigt, das auch nach dem Backen noch auf den Broten zu sehen ist, dann sind sie bereit für den Ofen. Durch eine Luke in der Wand werden die Bretter durchgereicht, um im Raum nebenan in den Ofen „geschossen“ zu werden. Hier werden sonst Speckhammen geräuchert, deswegen zieht der beißende Rauch nicht gleich durch den Kamin ab, sondern sammelt sich erst mal an der Decke.
Nicht lange, dann kommen die ersten Brote aus dem Ofen. Heiß, duftend und knusprig-weich. Zwei Helfer haben die Aufgabe, das überschüssige Mehl und die Kleie von den Broten zu fegen. Zum Abkühlen werden sie dann einzeln ausgelegt – auch dafür ist jemand zuständig.
Das Brotbacken hat nicht nur am Innergrabenhof eine lange Tradition, sondern auf allen Höfen Südtirols. Kaum einen gibt es ohne Backofen. Das „Vinschgerle“ ist sogar über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Zur Zeit, als noch ohne Strom gebacken wurde, hat man nur zweimal im Jahr gebacken und die Brotlaibe dann im noch heißen Ofen einen Tag nach dem Backen ofengetrocknet. Anschließend wurden sie luftig und kühl in frei hängenden Brotrahmen aufbewahrt. Dort waren sie vor den gierigen Mäusen sicher und sehr lange haltbar. Mit der „Brotgramml“ wurden die harten Laibe schließlich zerteilt und zur Marende mit Speck oder eingeweicht in Milch, Fleischsuppe oder Malzkaffee gegessen.
Alte Zeiten beeindrucken mich. Ich bewundere die Kraft der Menschen früher, die Ausdauer und ihre Zufriedenheit. Genau deswegen fasziniert mich auch die Arbeit wie in vergangenen Zeiten – obwohl es heute natürlich einfacher geht, mit Strom und der Tatsache, dass man Mehl nicht mehr unbedingt selbst mahlen und Sauerteig nicht selbst herstellen muss, sondern auch kaufen kann.
Insgesamt 1.700 Stück Brote haben wir heute gebacken. Bis elf Uhr abends stehen wir in der Backstube. Die Beine sind müde, der Rücken schmerzt, aber wir sind uns alle einig: das hat sich gelohnt. Morgen werden die Brote unter allen Helfern aufgeteilt.
Als ich müde ins Bett falle und den Tag Revue passieren lasse, weiß ich: Brotbacken ist mehr als nur die Herstellung eines Nahrungsmittels. Brotbacken bedeutet Zusammenkommen. Es ist ein Tag, an dem das alte Bauernhaus wieder mit Leben gefüllt ist. Eine Arbeit, die zusammenschweißt.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support