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Ich liege auf dem Rücken und schnappe nach Luft. Meine Arme und Beine habe ich ausgestreckt, sie schweben wenige Zentimeter über dem Boden. Meine Muskeln sind angespannt. Schweißperlen bilden sich trotz eisiger Novemberkälte auf meiner Stirn. Ich gebe mir einen Ruck und rolle mich mühsam auf den Bauch. Ich hab's geschafft, denke ich und lasse Arme und Beine erschöpft auf den Boden sacken. „Und wieder zurück! Komm schon. Muskelspannung halten“, ruft David. Er ist ein großer schlanker Mann, der mich zu Höchstleistungen treiben will.
Vom der Army zum Fitnesstrend
Ich bin heute eine seiner sechs Bootys. So nennt der Fitnesstrainer, David Abankwa, die sportwilligen Menschen, die in seinem Bootcamp trainieren. Ich möchte wissen, ob es besser ist als Fitnessstudio oder Joggen und habe mich bei einem Besuch in Hamburg zu einer Probestunde in einem der unzähligen Bootcamps angemeldet. Der Trend kommt aus den USA und bezeichnet eigentlich ein Trainingslager für Rekruten; „boot“ kommt von den schweren, harten Stiefeln, die in solchen Camps getragen werden. Mittlerweile werden auch Besserungsanstalten für straffällig gewordene Jugendliche als Bootcamps bezeichnet. Davon hat sich die Fitnessindustrie inspirieren lassen. Um's Durchhalten, Kämpfen und Beißen geht es auch in Fitness-Bootcamps.
Noch zehn Sekunden, vier, drei, zwei, eins. Geschafft! Für lange Pausen ist keine Zeit. Auspowern bis es weh tut, lautet die Devise. Ich gehe bis an meine Grenzen, sechs Mal eine Minute lang. Dazwischen jeweils 30 Sekunden Pause. Bootcamp-Atmosphäre gibt es nur unter freiem Himmel, das bei jedem Wetter und immer mit anderen gemeinsam.
Dunkel, kalt und feucht
Eine halbe Stunde zuvor, es ist Freitagmorgen, 6.30 Uhr. Die Luft ist kalt und feucht, beim Ausatmen bilden sich kleine Rauchwolken. Die Alster liegt noch im Dunkeln, genauso wie der Park gleich nebenan im Norden Hamburgs. Die erfahrenen sechs Bootys warten schon, richtig durchtrainiert sieht auf den ersten Blick kaum einer aus. Das beruhigt mich. Immerhin treffen sie sich bereits seit zwei Monaten zwei Mal pro Woche. Zum warm werden laufen wir zehn Minuten an der Alster entlang. Etwas zu schnell. Aber ich will mir nicht gleich zu Beginn die Blöße geben und halte das Tempo. Der Himmel auf der anderen Uferseite färbt sich allmählich dunkelrot. Dennoch ist es immer noch dunkel genug, um die Pfützen vom gestrigen Regen zu übersehen. Ich tappe mit der Schuhspitze hinein, meine Zehen werden feucht.
Zurück am Treffpunkt, unter einem großen Baum auf einer kleinen Wiese, hat David alles für das harte Training vorbereitet. Sechs leuchtend orange Hütchen markieren die einzelnen Stationen des Zirkeltrainings. Erinnerungen an den Schulsportunterricht werden wach, und diese Art des Konditionstrainings war für mich schon immer pure Quälerei. „Heute machen wir was für unsere Arme“, sagt David. Die Hanteln und Liegestützgriffe am Boden jagen mir Angst ein. Meine Leidensgenossen rollen mit den Augen und fangen an zu murren. Sie wissen bereits, was sie erwartet.
Lassen Frauen sich lieber drillen?
Vier von ihnen sind Frauen, nur zwei Männer sind dabei. Das sei normal, sagt David, mehr als 80 Prozent der Bootys seien Frauen. Warum genau, kann er auch nicht erklären. Lassen Frauen sich vielleicht lieber drillen als Männer? Ob Mann oder Frau, auf jeden Fall sollten sich viel mehr Menschen viel mehr bewegen. Die Hälfte der EU-Bürger sind übergewichtig oder fettleibig, besagt eine aktuelle Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Ungarn führt die europäische Statistik an. Gleich dahinter liegen Großbritannien, Irland und Malta. Italien liegt mit Deutschland und Österreich zwar unter dem EU-Durchschnitt, doch auch hier steigt die Anzahl der stark Übergewichtigen. Vor allem Kinder werden immer dicker.
Ich beuge mich über eines der Hütchen und stütze mich mit beiden Händen auf den Griffen am Boden ab. Ich soll Liegestütze machen und gleichzeitig die Knie zum Ellbogen ziehen, einmal links einmal rechts. Das hört sich mühsam an, und ist es auch. Nach drei ganzen und zwei angedeuteten Liegestützen kann ich nicht mehr. Auf dem feuchten, mit Laub bedeckten Boden, rutschen meine Füße ständig weg. Ich will aufgeben. David bemerkt das, beugt sich zu mir runter und treibt mich an: „Los, nur noch zehn Sekunden! Das schaffst du!“ So müssen sich wohl Marathonläufer fühlen, wenn Sie kurz vor dem Ziel von Menschenmassen angefeuert werden, denke ich. Allerdings bin ich nach den zehn Sekunden nicht am Ziel, sondern stehe keuchend vor der nächsten Übung.
Den Schweinehund überwinden
Ich blicke zu meinen Kollegen, sie schnaufen angestrengt und kämpfen gegen die Schwerkraft. Aber sie machen weiter, ich auch. Ich gehe in die Hocke und springe über Holzstäbe, die am Boden liegen. Ich rolle vom Bauch auf den Rücken. Ich mache Liegestütze, Froschsprünge, schwinge das Seil und die Hantelkugeln. Sobald ich langsamer werde taucht David neben mir auf und drängt mich weiterzumachen. Nach einer guten halben Stunde stütze ich keuchend die Hände auf meine Beine, schwitze und schnaufe angestrengt. Ich hab's geschafft!
Im Fitness-Bootcamp sind Durchhaltevermögen und Teamgeist gefragt. Es herrscht zwar kein rauer Militärton, aber ein erbarmungsloser Trainer ist durchaus hilfreich, um den inneren Schweinehund zu überwinden. Ob ich weitermachen werde? Vielleicht – im Sommer, wenn es hell ist und wärmer. Jetzt freue ich mich auf eine heiße Dusche.
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