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Natürlich bedarf es Mut, mit rumorendem Magen und einem Bärenhunger ausgerechnet ins Haus der Solidarität zum Interkulturellen Abendessen – Thema Ghana – zu kommen. Wer kann von sich behaupten, er wüsste, was man in Ghana so isst? Afrika. Da denkt man an aufgeblähte Kinderbäuche und Hungersnöte. An Kolonialismus, nicht an Kulinarisches. „Ich werde später einfach noch eine Pizza essen“, schießt es mir durch den Kopf, als ich mir vor Ort die Speisekarte ansehe.
Großer Andrang
Zum Glück habe ich mich neben Moussa gesetzt. Er sieht mir sofort an, dass ich neu hier bin. „Viele Leute hier“, beginne ich das Gespräch. Er zuckt mit den Schultern. „Eigentlich nicht!“ Bis zu 100 Personen seien normal, heute seien es nur so an die 70. Na, finde ich, das ist doch eine ganze Menge! Und erfahre später, dass die Anmeldungen zum Abendessen mittlerweile rigoros kontrolliert werden. „Wir mussten schon Leute nach Hause schicken, weil es hier so voll war. Nachdem ein älterer Herr auf der Bühne sitzend, mit dem Teller auf dem Schoß, gegessen hat, haben wir beschlossen, dass das so nicht weitergeht“, sagt der Leiter des Hauses, Karl Leiter. An Interesse fehlt es hier also nicht. Aber wie ist das Essen?
Moussa – er stammt aus Niger – zeigt sich hilfsbereit: „Komm, wir holen uns jetzt was!“ Als gebürtiger Westafrikaner kennt er sich natürlich aus und ich komme in den Genuss einer kulinarischen Einweisung. Ich nehme von allem etwas und kehre mit vollem Teller zurück. Naja, nicht ganz voll. Die Pizza, ich gebe es zu, hatte ich noch im Hinterkopf. Aber nachdem Moussa genüsslich zulangt und nach dem ersten vorsichtigen Bissen, läuft auch mir das Wasser im Mund zusammen. Lecker! Ich esse Yam und Nuhuun, Reis mit Fleisch, Rosinen, Nüsse, süßen Sesam und dann bin ich satt. Satt und zufrieden. Und die anderen? Die auch. Alle haben bereits aufgegessen. Hat also nicht nur mir gemundet.
Aus dem Alltag
„Kommt da noch was?“, frage ich Moussa. Er nickt und deutet Richtung Bühne. Nun soll noch ein Sketch aufgeführt werden. Die Köche, zwei junge Männer aus Ghana, werden auf die Bühne gebeten. Mohammed, einer der beiden, ist schüchtern und will zunächst nicht. „Er war schon wegen des Essens so aufgeregt“, sagt Karl Leiter und seufzt. „Für so viele Leute zu kochen, ist schon eine Herausforderung.“ Deshalb ist man wegen des Sketches zu einem Kompromiss gekommen: Er wird hinter den verschlossenen Vorhängen der Bühne aufgeführt. Zweimal sogar, weil es zunächst viel zu leise ist. Das Publikum hat nichts dagegen. Im Gegenteil.
Die beiden spielen ein Telefongespräch nach, das Mohammed neulich mit seinem Vorgesetzten hatte. Nachdem er auf der Alm gearbeitet hatte, drückte man ihm 500 Euro Lohn für drei Monate Arbeit in die Hand. Wo der Rest des Geldes geblieben war, stellt sich im Laufe des Gespräches heraus – nämlich in den Taschen einiger Mitarbeiter. Auch wenn man nicht alles hören kann, das wichtigste versteht wohl jeder. Die leise Stimme des einen, die vorwurfsvolle des anderen: „Alle wollen mein Geld“, so der Tenor des Vorgesetzten.
Dabei will Mohammed nur eines: Gabelstaplerfahrer werden. Das ist sein Traum. „Er hat schon den Kurs gemacht, aber noch keine praktische Erfahrung“, sagt Leiter nach der Aufführung. Niemand habe ihm dazu die Möglichkeit gegeben. Bis jetzt zumindest.
Gelebte Integration
Szenenwechsel: Eine Pressekonferenz zum Thema Integration der Cusanus Akademie in Brixen. Es geht um die Vorstellung der Broschüre „Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen/Grundlagen für einen kompetenten Umgang mit kultureller Vielfalt“. Drei Männer sitzen an einem Tisch, davor drei aufmerksame Frauen auf ihren Stühlen. Ich bin eine davon, habe Stift und Papier parat und schreibe mit: „Kultur ist die Legitimation aller existierenden Werte und Normen einer Gruppe.“ Richtig. Das stimmt wohl so. Genau so wie dieser Satz hier: „Wenn rassistische Einstellungen, Vorurteile und Übergriffe in einer Gesellschaft toleriert werden, dann erhält dieser Rassismus eine systematische und politische Funktion. Er dient dann zur Absicherung der Privilegien einer herrschenden Elite gegenüber benachteiligten Bevölkerungsgruppen“. Er stammt aus genannter Broschüre. Als ich die Pressekonferenz verlasse, weiß ich einiges mehr über Diskriminierung, Rassismus und Integration. Ich weiß es, ich verstehe es – zumindest das meiste davon – aber es berührt mich nicht.
Mohammeds Telefongespräch dagegen, sein Traum Gabelstaplerfahrer zu werden, werde ich so schnell nicht vergessen. Dass sich ein jeder an seinem Lohn bereichert hat: Das ist Diskriminierung. Dass er berechtigte Angst hat, niemals Gabelstaplerfahrer zu werden: Das ist Rassismus. Und Integration? Das ist, wenn eine Besucherin des Interkulturellen Abendessens sagt, der Zusammenhalt beeindrucke sie. Und eine zweite: „Wenn es hier im Kleinen funktioniert, warum dann nicht auch im Großen?“. Es geht nämlich um Gesichter und nicht um Begriffe. Um Schicksale und nicht um Zahlen. Weil ich es in Erinnerung behalte, wenn jemand für mich kocht. Und dann auch noch so lecker.
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