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Es ist halb zwei. Gianna steht in der Küche von Bad Oberhaus vor einer alten Blechpfanne. Die Zwiebelwürfel brutzeln im Fett. Elektro-Ofen oder Induktionsherd gibt es hier keinen. Die junge Frau kocht das Mittagessen noch auf einem alten Holzherd für 100 Euro – eines der wenigen Dinge, die in dieser Küche etwas gekostet haben. Der Fußboden ist so ursprünglich, wie er einmal war, und besteht nur aus gestampfter Erde. Die Küchenzeile war ein Geschenk und alles andere ist billig selbst gemacht, erfüllt aber seinen Zweck.
Gianna Preuß und Ewald Thaler leben hier wie zu Großmutters Zeiten. Fast. Sie haben Strom, einen Gefrierkühlschrank und Geschirrspüler – und auf einen Laptop verzichten sie auch nicht. Es ist trotzdem ein einfaches Leben, für das sich der 48-jährige Naturnser und die 29-jährige Brandenburgerin aus Deutschland entschieden haben.
Die eiskalte Vorratskammer hinter der Küche ist prall gefüllt. Tomaten, Sellerie, Pilze, Karotten. Das muss sie auch. Mal eben schnell einkaufen gehen, ist hier oben nicht möglich. Der 1.163 Meter hohe Hof liegt abgeschieden, fast abgeschottet von der Welt. Keine Zufahrt, nur ein schmaler teilweise verwachsener Steig führt von der Fraktion Vertigen bei Partschins 20 Minuten und 180 Höhenmeter bergauf.
Zwei Hektar Wiesen und dichter Wald umgeben das von der Zeit gezeichnete Haus. Im Sommer leben Gianna und Ewald hauptsächlich vom eigenen Obst und Gemüse. Im Winter davon, was die Kühltruhe hergibt. Den Rest kaufen sie zu. Aus dem Bioladen. Außer sie haben wieder mal viele Helfer. „Dann kaufe ich auch mal im Supermarkt ein“, gesteht Gianna. „Beim Fleisch achte ich aber immer darauf, wo es herkommt.“
Das ganze Jahr über beherbergt das Paar Gäste aus Europa, Japan und Australien. Leute aus der ganzen Welt melden sich auf Helferportalen im Internet. Sie wollen preiswert reisen und Land und Leute kennenlernen. Gegen Kost und Logie helfen sie hier oben mit. Im Sommer bei der Heuarbeit, beim Holzschlagen oder im Garten – eben bei allem was ansteht.
Zurzeit ist es ruhiger. Dennoch sind gerade drei Helfer hier. Naomi und Ben aus Neuseeland – sie haben sich über ein Internetportal gemeldet und sind seit drei Wochen hier. Fabian aus Deutschland ist vor einer Woche angekommen und lehrt Gianna und Ewald gerade das Filzen.
„Das Leben nach dem Wetter ist unglaublich beruhigend.”
GiannaDraußen laufen die braunen und schwarzen Schafe, die die Wolle fürs Filzen liefern, frei herum. Mitten unter ihnen steht Esel Nicky. Und zwischen den Johannisbeersträuchern gackern die Hühner Rosalinde und Klementine und Walter, der Hahn.
Ein kleines Bächlein, das der hauseigenen Heilquelle entspringt, fließt neben dem Haus talwärts. Es ist ruhig hier oben. Ewald und Gianna leben mit den Jahreszeiten. Im Sommer sind die Tage lang und anstrengend. Helfende Hände können sie deshalb immer gebrauchen. Größtenteils von Hand müssen sie das Heu einbringen, dafür machen sie in der heißen Mittagszeit Siesta.
Bei schlechtem Wetter bleiben alle länger im Bett. Da könne man draußen eh nicht viel tun. „Wir haben deswegen nicht weniger Arbeit, aber wir können sie uns einteilen“, stellt Gianna klar. Im Winter, wenn draußen viel Schnee liegt und sie deshalb drinnen bleiben, geht es gemütlicher zu. „Dann sitzen wir bei einer Kerze und machen eben mehr im Haus. Das Leben nach dem Wetter ist unglaublich beruhigend.“, beteuert sie und schält Karotten über einem schwarzen Eimer auf dem Boden.
Ewald träumte schon immer von einem Leben als Aussteiger.
In Deutschland hatte Gianna vor zwei Jahren noch einen festen Job als Sozialpädagogin mit geregelten Arbeitszeiten. Anfangs hatte sie auf Bad Oberhaus noch Schwierigkeiten, sie musste sich erst an den neuen Rhythmus gewöhnen. Kennengelernt hat sie Ewald über ein Portal, das freiwillige Helfer vermittelt. „Ich habe zwei Wochen hier mitgeholfen und nicht geplant mich zu verlieben“, gesteht Gianna und lacht. Es war im August vor zweieinhalb Jahren, als es auf der Veranda gefunkt hat. Auf dem breiten Ostbalkon, wo die Katzen gerne in der Hängematte liegen und die freiwilligen Helfer an die Wand malen.
Vor einem Jahr, auch im August, hat Gianna dann ihre Sachen in Deutschland gepackt und ist hergezogen. Ihre Mutter war anfangs skeptisch. „Sie machte sich einfach Sorgen, dass es nicht klappt“, erklärt Gianna. Das stickige Büro hatte sie aber satt. Und das System, das wie ein Hamsterrad sei. „Es geht zu viel um Geld und Konsum. Es ist zu schnell und zu hektisch“, findet Gianna. So ganz aussteigen möchte sie aber doch nicht. Als Sicherheit und zur Altersvorsorge sucht sie zurzeit nach einem Teilzeitjob. Ewald hingegen träumte schon immer von einem Leben als Aussteiger. Die normale Arbeit sei nichts für ihn, sagt er. „Ich habe als LKW-Fahrer gesehen, wie die Wirtschaft funktioniert, und dachte, es ist besser, selbst einen Acker anzulegen und so zu leben wie die Eltern früher, auf einem Bergbauernhof.“
„Ich habe zwei Wochen hier mitgeholfen und nicht geplant mich zu verlieben.“
GiannaGianna ist glücklich, jetzt ein einfaches Leben zu leben.
Bis zu einem Erdrutsch 1917 war Bad Oberhaus noch ein Heilbad, bestehend aus zwei einfachen Holzhäuschen. Dazu gehörte eine große Kapelle oberhalb des Hauses, von der nur noch einige vermooste Steine zeugen, und eine kleinere Kapelle daneben.
2002 ersteigerte Ewald den verwahrlosten Oberhaushof. 2003 ist er heraufgezogen und begann mit der Renovierung. Das Haus war nicht bewohnbar, die Küche voller Mist. Dutzende Zäune und Mauern mussten erneuert werden. Ewald baute eigenhändig eine Transportseilbahn zum Hof, damit er nicht alles von Hand hochschleppen musste.
Das ehemalige Bad Oberhaus und der Neubau.
„Der Gemeinde war anfangs nicht recht, dass jemand den Hof kauft, wegen der Heilquellen“, lamentiert Ewald. Dabei halte er sie seitdem gut instand, obwohl er offiziell nicht mal Rechte am Wasser hat. Das wurde damals versäumt einzutragen, „weil ja immer klar war, dass der Hof hier das Wasser nutzen kann.“ Ewald lacht.
Während Gianna kocht, verkriecht er sich im hintersten Raum des Hauses. Kochen sei nichts für ihn, sagt er. Das überlasse er gerne seiner Freundin. Er bastelt und tüftelt lieber in seiner überschaubaren Werkstatt. Oft den ganzen Tag lang. Vor allem wenn es nieselt, wie heute. Gerade werkelt er mit einem Stemmeisen an einem Stück Holz. Seine Hände sind grob und schwarz und wie sein Gesicht von der Arbeit gezeichnet. Er stemmt ein Ersatzteil für seine große Säge zurecht, die er schon lange in Gang bringen will. Sie wäre ihm eine große Hilfe. Dann könnte er die vielen Baumstämme, die hinter dem Haus auf einem Haufen liegen, für den neuen Stall zu Balken schneiden. Der alte Stall ist 2006 abgebrannt. Neben der neuen Unterkunft für die Schafe soll hier auch ein Keller entstehen, damit Ewald dort seine Schaffelle gerben kann. Die Grundmauern stehen schon seit Jahren. Für alles weitere fehle aber die Zeit.
Ewald ist ein Macher. Er arbeitet mit seinen Händen.
„Ich bin fest entschlossen, den Hof zu retten.”
Ewald„Morgen muss ich wieder in die Schweiz, dann fehlt mir auch wieder ein Arbeitstag“, sagt Ewald. Seit November fährt er jede Woche für einige Tage in die Schweiz zum Arbeiten. Die Arbeit dort, das lange Fahren, die Arbeit am Wochenende auf dem Hof und die kurze Zeit für seine Beziehung und seine Kinder aus vergangenen Beziehungen machen ihm sichtlich zu schaffen. Dazu kommt, dass er noch einige Kredite begleichen muss.
Ewald möchte endlich den Bergbauernhof bewirtschaften, so wie es die Vorfahren gemacht haben. Doch es wird noch einige Zeit dauern, bis alle Schulden getilgt sind. „Dennoch bin ich fest entschlossen, den Hof zu retten“, betont Ewald und bastelt weiter an dem Ersatzteil für die Säge.
Traditionell und altehrwürdig. Vieles in der Küche lässt an längst vergangene Zeiten denken.
Zurück in der Küche. Gianna hat inzwischen fertig gekocht. Viel Gemüse und eine riesige Schüssel Salat. So viel, dass nicht mal alles auf dem Tisch Platz hat. Das macht sie immer so, damit sie am Abend nicht nochmal kochen muss. Dann ist genug für alle da, auch für die drei Helfer, die dann wieder aus dem Dorf zurückkommen. Für die gibt es Couscous, für Gianna Buchweizen – sie verträgt kein Gluten. Auch Zucker gibts für sie keinen. Nur Stevia. Und mit dem Salz wird gespart, weil Ewald es so mag. Dafür nimmt sie viel Muskat. Das mag Ewald.
Beim Essen blickt er immer wieder aus dem Fenster. Er sieht nachdenklich aus. „Irgendwann möchten wir hier eine Wohngemeinschaft schaffen“, sagt Gianna. Sie suchen ein gleichgesinntes Paar oder auch eine Familie, die gemeinsam mit ihnen den Hof auf Vordermann bringen und sich ein gemeinsames Leben hier oben aufbauen. „Wir suchen Aussteiger zum Einsteigen. Es braucht eben einige Leute auf einem Hof“, findet Ewald. „Dann ginge auch mal was vorwärts.“ Und dann könnte er das langjährige Stallprojekt zu Ende bringen und vielleicht eine kleine Blockhütte für Gäste bauen. Zu tun gibt es hier reichlich, „an diesem feinen Platz.“
Fotos
Petra Schwienbacher, Gianna Preuß
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