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Dass man alles erreichen kann, wenn man es nur versucht, gilt heute als eine überholte Waschküchenweisheit aus alten amerikanischen Filmen. Auch berühmte Investmentgurus wie Warren Buffett werden nicht müde, die Rolle von Glück für wirtschaftlichen Erfolg zu betonen – dazu gehört nicht zuletzt der günstige Zeitpunkt des Markteintritts.
Hannes Lösch hätte sich keinen schlechteren aussuchen können. Mit seiner digitalen Speisekarte „Limendo Menu“ war er im Januar 2020 bereit, zuerst den Südtiroler und dann den internationalen Gastronomiemarkt zu erobern. Es war ein durchdachtes Produkt – ein Herzensprojekt, wie Lösch sagt – mit dem die Digitalisierung in die Restaurants des Landes Einzug hätte halten sollen. Limendo Menu als digitales Bestellsystem versprach den Gästen verkürzte Wartezeiten und den Gastwirten geringere Personalkosten.
Doch es kam anders. Mit dem 8. März 2020 wurde der erste landesweite Lockdown ausgerufen, auf den zahlreiche weitere folgen sollten. Restaurants waren über viele Monate hinweg per Dekret geschlossen, die Branche litt unter der Pandemie wie kaum eine andere. Das schlug sich prompt auf die Zahlungsbereitschaft der Gastwirte nieder, aber auch auf ihre Offenheit für Neues. Die enorme Unsicherheit über die unmittelbare Zukunft beförderte einen geschäftlichen Konservativismus, eine Haltung des Abwartens, in der innovative Vorschläge keinen leichten Stand hatten.
„Wenn die digitale Speisekarte unser einziges Standbein gewesen wäre, wären wir längst pleitegegangen“, sagt Lösch im Rückblick. Doch Limendo hat heute sechs Mitarbeiter und die Umsätze sind während der Pandemie sogar gestiegen. Das lag daran, dass Limendo nicht nur Produktanbieter, sondern vor allem Dienstleister ist – in den Bereichen Softwareentwicklung und Unternehmensberatung bei Digitalisierungsfragen. Besonders die Südtiroler Wirtschaft, die von vielen kleinstrukturierten und familiengeführten Betrieben geprägt ist, hinkt hier angeblich noch hinterher. „Südtirol steckt in Sachen Digitalisierung noch in den Kinderschuhen“, sagt Lösch. Genau darin erkannte der Softwareentwickler und Unternehmensberater, der früher für die Beratungsfirma Kearney tätig war, seine Chance.
Ist der Innovation ein ganzes Jahr verloren gegangen?
Doch nicht alle Gründer konnten während der Pandemie ihr Geschäft so flexibel auf ein zweites Standbein versetzen. Im Krisenjahr 2020 brach das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Südtirol um schätzungsweise 11,3 Prozent ein. Dadurch würde die Wirtschaftsleistung auf das Niveau von 2011 zurückgeworfen. Aufgrund des stark ausgeprägten Tourismussektors fällt der Gesamtverlust sogar noch höher als im italienweiten Durchschnitt von minus 8,9 Prozent aus.
Hinter diesen Zahlen stehen unzählige Betriebe und Freiberufler, die durch weggebrochene Aufträge die laufenden Kosten nicht mehr stemmen konnten oder nur durch staatliche Hilfen überlebten. Obwohl eine regelrechte Pleitewelle bisher ausgeblieben ist, litten vor allem Firmengründer unter dem Stillstand. Ausgerechnet die Gründer und Gründerinnen, die aufgrund der hohen Fixkosten zu Beginn der Tätigkeit am verwundbarsten sind, fielen bei der Verteilung von Corona-Hilfen durch viele Raster, beispielsweise weil sie noch keine Umsätze vorzuweisen hatten. Ist der Innovation nun ein ganzes Jahr verloren gegangen?
Petra Gratl, Leiterin des Start-up-Inkubators am NOI-Techpark, antwortet auf solche Fragen differenziert. „Die Start-ups haben sehr unterschiedlich auf die Corona-Krise reagiert“, sagt die Expertin. Es stimmt zwar, dass sich bei einigen die Entwicklung verzögert hat. Andere aber haben nach neuen Chancen gesucht und sind in jene Nischen vorgestoßen, die aufgrund der Pandemie zu den großen Profitbereichen wurden.
Ein Beispiel dafür ist die Firma “SANAI”, die aus der Fusion der beiden Start-ups “Chap SDK” und “Devcom Pro” hervorgegangen ist. Chap SDK ist eine Geo-Marketingsoftware für den Einzelhandel, die in existierende Applikationen integriert werden muss. Damit können schon vorhandene App-Nutzer und -Nutzerinnen mit personalisierten Geo-Werbungen erreicht werden, um sie durch Promotionen oder Informationen in ein Geschäft zu locken. Das Prinzip dahinter: „Convert Pedestrians into Clients“.
DevcomPro ist hingegen ein Softwareentwicklungs-Unternehmen, das als Hauptprodukt “flamingoHR” vertreibt. flamingoHR ist ein Personalverwaltungsprogramm mit dem Ziel, sogenannte „pain points“, also Schwachstellen in Zeiterfassung, Turnusmanagement und Kommunikation in Unternehmen, zu lösen.
Die Weiterentwicklung der beiden Start-ups wurde durch die Corona-Krise allerdings stark verlangsamt. Als Reaktion darauf entwickelten die gewieften Gründer mit vereinten Kräften einen Thermoscanner, der anschließend unter dem Namen SANAI den Südtiroler Markt eroberte. Heute wird er überall dort angewendet, wo Menschen erst nach Erfassung ihrer Körpertemperatur Einlass gewährt werden kann: Kulturveranstaltungen, Grenzübertritte, Meetings.
Das Sanai System besteht aus folgenden Elementen: einem Thermoscanner, einer App, die zur Identifikation dient, und einem Dashboard, wo alle Thermoscans aufgezeichnet sind, und das dem jeweiligen Betrieb als Kontrollinstrument dient. Liegt die Temperatur eines Besuchers oder einer Besucherin oberhalb von 37,5 Grad Celsius, werden die Daten an das zuständige Amt gesendet und entsprechende Schritte eingeleitet.
Homeoffice, Distance Learning und die Umstellung von Vertriebskanälen haben der Digitalisierung einen nachhaltigen Schub versetzt.
Das Start-up SANAI zeigt, dass die Pandemie nicht nur Hürden und Probleme, sondern auch Chancen mit sich gebracht hat. Und das nicht nur im Gesundheitsbereich. Homeoffice, Distance Learning und die Umstellung von Vertriebskanälen haben der Digitalisierung einen nachhaltigen Schub versetzt. Das kommt vor allem jungen Start-ups zugute, die High-Tech-Innovationen aus der Welt von Machine Learning, Robotik und Internet der Dinge für sich zu nutzen wissen.
Auch Hannes Lösch implementiert in seinen Produkten Machine Learning und K.I.-Systeme. Die Software-Lösungen, die Limendo zur Sammlung von Daten entwickelt, tragen dazu bei, die Arbeitsprozesse von Unternehmen effizienter zu gestalten, Limendos Kunden sparen dadurch bares Geld.
Das Potential, das in der Digitalisierung liegt, wird nichtsdestotrotz weiterhin unterschätzt, meint Lösch, und nennt als Beispiel dafür Amazon. Das Unternehmen ist als Gigant des Online-Handels bekannt und macht damit auch den größten Teil der Umsätze. Gewinn fährt Amazon aber vor allem mit seinem Cloud-Dienst Amazon Web Services ein. Mit nur 11 Prozent Umsatzanteil war dieser Geschäftszweig im Jahr 2018 für ganze 59 Prozent des Firmengewinns verantwortlich.
Die Rationalisierung von Arbeitsprozessen: Das hatte Lösch ursprünglich auch mit der digitalen Speisekarte vor. Keine langen Wartezeiten mehr, kein Magenknurren, keine Kellner oder Kellnerinnen, die eine Bestellung vergessen. Nun, wo die Gastronomiebetriebe des Landes nach dem langen Lockdown-Winter wieder aufgesperrt haben, erhofft sich Lösch auch wieder frischen Wind für sein Herzensprojekt. Einen Anstieg der Nachfragen hat er bereits verzeichnet. Ob Rationalisierung in allen Lebensbereichen tatsächlich erwünscht ist, muss sich indes erst noch zeigen.
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