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Wer kennt es nicht – den Gedanken, dass alles besser wäre, hätte man nur mehr Geld. Plötzlich müsste man nicht mehr 40 Stunden arbeiten, könnte mehr Zeit mit Familie und Freunden verbringen, in den Urlaub fahren, wohin man nur möchte und womöglich sogar endlich das alte klapprige Auto austauschen. Genau mit diesem Traum wirbt in Südtirol zurzeit eine „Bewegung“, wie sie sich selbst nennt: True Peak Revolution, hauptsächlich bekannt unter dem Kürzel TPR, verspricht über ihre Mitglieder auf Facebook, Instagram und YouTube schnellen Reichtum mit wenig Aufwand. Hinter dem Kürzel verbirgt sich eine Internetplattform, auf der Laien lernen können, an der Börse zu spekulieren. Und eine Strategie, neue Mitglieder zu rekrutieren, die auf Netzwerk-Marketing setzt.
Mitte Januar fläzen sich eine Handvoll Jungs in ihre Stühle in einem Raum des Kassianeums Brixen. Die Jugendlichen sind zwischen 18 und 24 Jahre alt und haben eines gemeinsam: ebendiesen Traum, mit TPR viel Geld zu verdienen. Etwas entfernt sitzen einige Eltern und Interessierte, und weiter vorne steht Alen Velagic. Hinter ihm leuchtet eine Power-Point-Präsentation an der Leinwand. Der Niederösterreicher ist Kommunikationswissenschaftler, arbeitet für die Initiative saferinternet.at und will an diesem Abend vor TPR warnen. „Gibt es hier jemanden, der seit über einem Jahr professionell am Kapitalmarkt arbeitet?“, fragt er in die Runde. Kopfschütteln. „Und jemanden, der im vergangenen Jahr über zehn Geschäfte am Finanzmarkt mit einem Umfang von mindestens 25.000 Euro pro Quartal gemacht hat?“ Wieder Kopfschütteln. „Und wer von euch hat mindestens 500.000 Euro auf seinem Bankkonto?“ fragt er zuletzt. Die Jungs lachen und einer ruft: „Wos geatn di hel un? “
Velagic hat mit Widerstand gerechnet. Das ist typisch bei Verkaufsstrategien, die hinter Geschäftsideen wie TPR stehen. Kurz zusammengefasst funktioniert die Strategie hinter TPR zweigleisig: Auf der Homepage iMarketsLive können Interessierte gegen eine Aufnahmegebühr von 217,19 Euro und weiteren monatlichen Gebühren von 161,50 Euro in Videos erlernen, wie man an der Börse handelt. Getradet wird dabei mit „Contracts for Difference “ oder Differenzkontrakten, kurz CFD, also hochspekulative Derivaten. Das bedeutet konkret, dass Wetten auf Börsenkurse von Aktien oder Währungen abgeschlossen werden. Wie genau das funktioniert, erlernen die User aus den Videos und von den Personen, die sie angeworben haben. Die zweite Seite des Geschäftsmodells umfasst nämlich TPR, die „True Peak Revolution“, welche alle Personen vereint, die auf iMarketLive tätig sind. Werben TPRler nämlich neue Kunden an, erhalten sie eine Gutschrift – ab drei weiteren Teilnehmern entfallen die monatlichen Kosten für die Teilnahme an den Online-Kursen. Und werben die angeworbenen Teilnehmer wiederum neue Personen an, erhält die erste Person wiederum eine Geldprämie. Je mehr Leute sich in die Kette einreihen, desto mehr Geld verdienen die ersten in der Nahrungskette: ein klassisches Schneeballsystem. Durch das zweigleisige Geschäftsmodell wird den neu angeworbenen Mitgliedern vermittelt, dass sie sehr schnell Geld verdienen können, wenn sie ihr Netzwerk mit in die Community bringen. Deshalb suchen die meist jungen TPRler eifrig nach neuen Kunden: über ihren Freundes- und Verwandtenkreis, über Facebook, Instagram und YouTube. Das Versprechen, das sie weitergeben, lautet: Mit diesem System kannst du schnell viel Geld verdienen.
Patrick Faller, pädagogischer Mitarbeiter am Kassianeum in Brixen, hat selbst bereits ein Dutzend solcher Anfragen bekommen: „Erst schreiben sie dir: Hey, wie geht’s, lass uns doch mal etwas trinken gehen. Und dann kommt bald die Frage: Bist du mit deinem Gehalt zufrieden? Möchtest du dir nicht noch etwas dazuverdienen? Einige von diesen Jugendlichen haben sogar ihre Ausbildung oder ihren Beruf für TPR gekündigt.“ Er hat die Anfragen anfangs einfach ignoriert, doch dann wollte eine Gruppe von TPRlern aus Brixen einen Raum im Kassianeum mieten, um ein Seminar dort halten zu können. Das Jugendzentrum hat sich informiert, die Warnungen vor TPR von mehreren staatlichen Finanzbehörden und Verbraucherschutzinformationen ernst genommen, der Gruppe keinen Raum zur Verfügung gestellt. Stattdessen steht jetzt Experte Alen Velagic hier.
„Was würden Sie jemanden wie mir, der schnell Geld verdienen möchte, denn dann raten?“
Er beantwortet im Vortrag dann auch gleich die Gegenfrage, warum ihn der Kontostand der Jugendlichen interessiert: Um zu klären, ob die jungen TPRler legal handeln. Er erklärt, unter welchen Bedingungen in der Europäischen Union mit CFD gehandelt werden darf: Händler bzw. Trader müssen Erfahrung am Finanzmarkt und ein Kapital von 500.000 Euro, das beim Handeln als Reserve nicht angerührt werden darf, vorweisen. Erfüllt der Trader diese Bedingungen nicht, untersagt die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA das CFD-Traden – um die Kleinanleger vor dem hochspekulativen Handel, bei dem zwischen 74 und 89 Prozent der Privatanleger (teilweise sehr viel) Geld verlieren, zu schützen. Die Jungs, die mittlerweile etwas aufrechter auf ihren Stühlen sitzen, um die Power-Point-Präsentation besser zu sehen, wollen das erst gar nicht glauben. Niemand aus ihrer Community hat ihnen das zu Beginn erklärt – und Strafen haben sie bisher auch noch keine bekommen. Denn dafür müssten sie erst einmal angezeigt werden. Doch da TPR und iMarketsLive meist nur Insidern bekannt ist, gibt es bisher wenig Anzeigen. Das kann sich aber schnell ändern, da die Akquirierung neuer Mitglieder meist in den sozialen Medien geschieht – und damit sehr sichtbar und gut dokumentiert ist. Mittlerweile haben einige der Brixner TPRler ihre Posts in den sozialen Medien gelöscht. Am Ende des Vortrages fragt einer von ihnen aber noch: „Was würden Sie jemandem wie mir, der schnell Geld verdienen möchte, denn dann raten?“ Velagic sagt erst nichts und dann: „Ich kann dir nicht sagen, was du machen sollst, sondern nur, was du nicht machen sollst.”
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