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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 09.01.2020
Leben

Auf gefährlichen Brettern

Veröffentlicht
am 09.01.2020
Jedes Jahr kommt es zu schweren, manchmal tödlichen Skiunfällen. Dabei ließen sich viele Stürze leicht vermeiden.
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Skiunfälle mit insgesamt 9.301 Personen wurden im Winter 2018/19 erfasst

Die höchste Anzahl der in Unfällen verwickelten Personen gehören, mit einem Anteil von 23,5 %, der Altersgruppe zwischen 11 und 20 Jahren an.

Der erste Skitag sollte für Jonas* in diesem Jahr nur der erste von vielen werden. Doch dann, nach der dritten Abfahrt, der Sturz. Die Bindung geht nicht auf. Diagnose im Krankenhaus: Schienbeinbruch. Es folgt ein nervenaufreibender langer Tag in der Ersten Hilfe, dann ein Gips von den Zehen bis zum Oberschenkelhals. Für den 7-Jährigen endet die Skisaison, noch bevor sie richtig angefangen hat.

Ein Schock. Vor allem auch für seine Mutter Renate*. Sie hatte die Skier erst vor kurzem gekauft. Ein Weihnachtsgeschenk. Dass die Skibindung schuld am gebrochenen Bein ihres Sohnes sein könnte, daran denkt Renate nicht. Noch nicht.

So wie Jonas geht es jährlich vielen Skifahrern. Im Winter sind die Notaufnahmen der Krankenhäuser voll von Skifahrern mit großen und kleinen Verletzungen. Die meisten Luxationen oder Brüche betreffen die Knie und Unterschenkel: Kreuzbandrisse, Meniskusverletzungen, Schienbein- oder Wadenbeinfrakturen.

Laut einer Studie des Landesinstituts für Statistik (ASTAT) betreffen ein Drittel (33,3 Prozent) der Verletzungen Knie. Die häufigste Unfallursache ist ein eigenverschuldeter Sturz (74,4 Prozent), gefolgt von Zusammenstößen mit anderen Personen (13,0 Prozent). Das Ergebnis dieser Studie, die 2019 veröffentlicht wurde, bestätigt auch Alexander Gardetto, Chirurg an einer Privatklinik in Brixen.

Seit 2018 behandeln die Ärzte der Klinik auch Traumapatienten. Seit 2019 nicht nur fünf, sondern erstmals sieben Tage in der Woche – weil der Bedarf da ist. Bis zu 20 Traumen behandelt Gardettos Klinik pro Woche. Tendenz steigend.


Ausschnitt eines Röntgenbilds – Unterschenkelfraktur nach einem Skiunfall

Vorbeugen durch Vordehnen

Vor allem Verletzungen im unteren Bewegungsapparat lassen sich häufig auf falsch eingestellte Bindungen zurückführen. „Von den Carabinieri oder den Pistenrettern hören wir häufig, dass die Bindungen falsch eingestellt sind“, sagt Gardetto. „Hier müsste sich unbedingt etwas tun.“

Der Chirurg will zur Aufklärung der Endverbraucher beitragen und ist daher Teil der Sensibilisierungskampagne „Ich habe Spaß ganz sicher“. Ziel solcher Kampagnen ist es, zum sicheren und verantwortungsbewussten Verhalten auf Skipisten, Rodelbahnen und im freien Schneegelände beizutragen. Gardetto plädiert bei den Infotagen auf den Skipisten dieses Landes vor allem darauf, sich vor der ersten Fahrt aufzuwärmen.


Alexander Gardetto ist Chirurg und weiß aus Erfahrung wie wichtig der Materialcheck vor dem Skifahren wirklich ist.

Schwungübungen mit den Beinen, wie sie Weltcupfahrer vor der Abfahrt machen, sieht man auf den Pisten heutzutage wenige. Dabei könnten sie laut Gardetto das Risiko einer Verletzung im Knie- und Unterschenkelbereich deutlich minimieren. „Es muss nicht weiß Gott was sein, aber indem man den Fuß vor- und zurückschwingen lässt, wird die Durchblutung im Knie- und Hüftgelenkt gesteigert und die Stoßdämpferwirkung vom Gelenk, ist besser als wenn man ganz kalt zum Skifahren hingeht“, erklärt Gardetto. Vor allem die Oberschenkelmuskulatur und die Knie werden beim Skifahren ganz stark beeinflusst. Jeder Stoß und jede Welle gehen übers Kniegelenk. Aufwärmen alleine reicht allerdings nicht aus. Das weiß auch Gardetto.

Die Gefahr falsch eingestellter Bindungen

„Das Material muss einfach stimmen. Man kann mit jedem Ski Skifahren, aber wenn die Bindung falsch eingestellt oder der Ski nicht richtig präpariert wurde, dann ist die Verletzungsgefahr einfach sehr hoch. Und das können wir Ärzte aus Erfahrung sagen.“ Die Skibindung professionell einstellen lassen – das wollte auch Renate für ihren Sohn.

Jonas freute sich schon seit Wochen auf seine neuen Skier, die ihm Renate in einem Südtiroler Sportgeschäft kaufte. Als unwissende Mutter vertraute sie beim Kauf dem Fachmann, welcher ihr ein schönes Paar Skier in der richtigen Länge für ihren Sohn anbot.

Zu dieser Zeit weiß Renate noch nicht, dass der Einstellwert auf der Bindung keinesfalls das Körpergewicht ist, sondern ein errechneter Zahlenwert (Z-Wert) aus Skischuhsohlenlänge, Körpergröße, Körpergewicht, Fahrkönnen und Alter. Dieser Zahlenwert ist der Auslösewert, damit sich die Bindungen nicht während der Fahrt öffnen und es dadurch zu einem Sturz kommt oder sie sich im schlimmsten Fall beim Sturz nicht zum richtigen Zeitpunkt öffnen.

Renate weiß auch nicht, dass der Einstellwert (Z-Wert) von Jonas 2,4 wäre. Und so kauft sie nichtsahnend Skier mit einer Bindung deren Z-Wert überhaupt erst bei 4 startet.

„Man kann mit jedem Ski Skifahren, aber wenn die Bindung falsch eingestellt oder der Ski nicht richtig präpariert wurde, dann ist die Verletzungsgefahr sehr hoch.”

Alexander Gardetto, Chirurg

Die Pistenretter sind bei einem Skiunfall die ersten, die die Verletzten betreuen. Häufig sind falsch eingestellte Bindungen oder schlecht gewartete Skier Schuld an Zerrungen und Brüchen.

Dass die montierte Skibindung für den 7-Jährigen zu stark ist, müssten Fachkräfte in einem Sportgeschäft eigentlich wissen. Trotzdem wurden genau diese Skier verkauft. „Ich frage mich, wie das in Südtirol sein kann, in einem Land in dem es so viele Skigebiete gibt. Da müssten die Fachleute doch besser geschult werden“, sagt Renate. Auch in dem Skiverleih, in dem sie die Bindung vor dem ersten Skitag noch richtig einstellen lassen wollte, weist sie niemand darauf hin, dass die Bindung des Jungen eigentlich zu stark ist und der errechnete Wert gar nicht erst eingestellt werden kann.

„Wir mussten auch keine Daten angeben, sondern wurden nur nach dem Gewicht unseres Sohnes gefragt.“ Dass eine Skibindung nicht nur richtig nach Zahlenwert eingestellt, sondern auch mit einem elektronischen Bindungsprüfgerät seit 1993 nach ISO-Norm 11088 geprüft werden sollte, sagt der Mutter auch niemand.

Der richtige Schliff entscheidet

Regelmäßig, mindestens alle ein bis zwei Jahre oder aber wenn Ski oder Schuhe gewechselt werden, sollte die Bindung elektronisch geprüft werden, da der eingestellte Wert häufig auch vom Auslösewert der Bindung abweicht. Nur durch einen Zufall kommt Renate einige Tage nach dem Skiunfall von Jonas mit Ernst Messner ins Gespräch und erfährt das alles.

Messner ist beauftragter Experte der Berufsgemeinschaft für Sportgerätetechniker im LVH und Ausbildungsleiter bei den Ausbildungs-Lehrgängen für Skiservicetechnik im Berufsbildungszentrum Bruneck. Dort lernen Mitarbeiter eines Skiverleihs oder Sportgeschäfts, welche Sportgeräte für welchen Kunden geeignet sind, wie man Skier richtig einstellt, die notwendigen Reparaturarbeiten an Skiern, sowie die richtige Schleiftechnik. Ein großes Sicherheitsrisiko ist nämlich auch der mitunter schlechte Zustand von Skiern, weil sie zu selten oder in unseriösen Servicewerkstätten nicht richtig geschliffen werden.

Dass eine Skibindung nach Zahlenwert eingestellt und elektronisch geprüft werden muss, sagt der Mutter niemand.

Seit Jahren ist Messner in seiner Funktion als Sportgerätetechniker regelmäßig in Skigebieten unterwegs. Dort überprüft er die Skier der Skifahrer und deren Bindungseinstellung mit einem elektronischen Bindungsprüfgerät im Rahmen verschiedener Kampagnen kostenlos auf ihren Zustand und klärt über die richtige Bindungseinstellung sowie Skipräparation auf. Bei einem dieser Events trifft er Renate, die Mutter des 7-jährigen Jonas.

„Wenn mich Ernst Messner nicht aufgeklärt hätte, wäre Jonas nächste Saison mit denselben Skiern skigefahren und hätte sich vielleicht wieder etwas gebrochen. Ich frage mich, wie das sein kann.“ Messner rät der aufgebrachten Mutter, die Skier in einem zertifizierten Skiverleih mit dem Qualitätssiegel „Leading Skiservice“ professionell checken zu lassen.

Das Ergebnis bekommt Renate schwarz auf weiß. „Die Skischuh-Bindungskombination liegt außerhalb der Toleranz“ steht auf dem kleinen Ausdruck der Bindungsprüfmaschine. Renate filmt die Prüfung, dokumentiert und fotografiert. Da sie selbst über keine Rechtsschutzversicherung verfügt, möchte sie nun über die Verbraucherzentrale eine Schadensersatzklage machen. „Noch nicht mal dort wusste man, wie es in einem Skiverleih richtig laufen sollte. Dass ich mich als Elternteil besser auskennen muss, als die Mitarbeiter eines Sportgeschäfts oder Skiverleihs, das ist doch traurig“, findet Renate. 

Fehlende Professionalität

Messner weiß aus Erfahrung, dass es viele Skiverleihe und Sportgeschäfte nicht so genau mit ihrer Arbeit nehmen und zu wenig Wert auf Sicherheit und Qualität legen. Häufig hat er von Inhabern Aussagen wie diese gehört: Für solche Blödsinne wie Bindungsprüfungen haben wir keine Zeit.

„Es ist höchste Zeit, dass sich etwas ändert“, sagt der Experte. „Skifahren ist als eine sehr sichere Sportart einzustufen. Allerdings nur, wenn die Ausrüstung auch richtig eingestellt und gewartet wird.“

Skiverleihe und Sportgeschäfte stehen in der Verantwortung


Die Pistenrettung des Weißen Kreuzes bei einer Übung

Das mit der richtigen Bindungseinstellung und Wartung der Ausrüstung ist vielfach leider nicht der Fall. So hat die Berufsgemeinschaft der Sportgerätetechniker 2018/2019 im Rahmen des Projektes „SICHERHEIT hat PRIORITÄT“ eine Erhebung durchgeführt und erhebliche Mängel festgestellt.

Von rund 600 getesteten Ski-Paaren wiesen ganze 492 Paare Mängel auf. Größtenteils war der Z-Wert nicht in Ordnung. „Es herrscht einfach eine massive Unwissenheit der Endverbraucher“, sagt Messner. Und häufig auch eine fehlende Einsicht bei den Betreibern von Sportgeschäften und Skiverleihen.

Oskar Zorzi, Flugretter, Bergretter und Ausbilder der Pistenrettung des Weißen Kreuzes findet: „Im Skiverleih und in den Sportgeschäften müsste man sich mehr Zeit nehmen und die Sache ernster nehmen, um die Bindungen genau einzustellen.“ Zeit, die sich Skifahrer häufig aber nicht nehmen möchten. Heute muss eben alles schnell gehen. Auch das ist ein großes Problem, mit dem vor allem die Skiverleihe konfrontiert sind.

„Es herrscht eine massive Unwissenheit der Endverbraucher“

Ernst Messner, Sportgerätetechniker

Oskar Zorzi, Flugretter, Bergretter und Ausbilder der Pistenrettung des Weißen Kreuzes sieht die Verantwortung bei den Betreibern von Skiverleihen und Sportgeschäften

Viele Gäste reservieren das Equipment online und würden ihre geliehene Ausrüstung dann am liebsten einfach vor Ort abholen. „Das geht aber nicht“, sagt Zorzi. Ein Teil der Ersten Hilfe sei es, Unfälle zu vermeiden. Und das fange bei einem funktionstüchtigen Material an. Bei den Skiern und Schuhen, sowie beim Helm. „Jeder Ski muss individuell angepasst und eingestellt werden. Die meisten denken leider erst darüber nach, wenn es bereits zu spät ist. Wir von der Sensibilisierungskampagne appellieren immer wieder, dass man sich Zeit nimmt und den kleinen Kostenpunkt investiert, die Bindung prüfen zu lassen und einen Helm auszuleihen oder zu kaufen, um eine Verletzung zu vermeiden.“

Wäre Renate vor dem ersten Skitag ihres Sohnes bereits über die Sicherheitsmängel aufgeklärt worden, hätte der Beinbruch von Jonas vielleicht verhindert werden können. Und damit auch eine Odyssee für seine Mutter, die nicht nur von Arzt zu Arzt laufen musste, sondern jetzt auch noch mit ihrem Anwalt für ihr Recht kämpft. „Ganz zu schweigen davon, dass ich mir Urlaub nehmen musste, damit ich meinen Sohn zuhause betreuen konnte.” Für Jonas ist die Skisaison erstmal gelaufen. Sechs Wochen muss der Gips dranbleiben. Und danach beginnt erst die Zeit der Rehabilitation.

  Ein dem Fahrkönnen und der Körpermasse entsprechend ausgewähltes, richtig eingestelltes und regelmäßig korrekt gewartetes Equipment vermindert die Verletzungsgefahr und erhöht den Spaßfaktor bei der Ausübung des Skisports. Zudem wird empfohlen: Regelmäßig (alle 10 bis 15 Skitage) einen guten und kompletten Skiservice (nur Kanten schleifen und wachsen bringt meistens nichts) sowie eine jährliche Bindungseinstellung und elektronische Funktionsprüfung durchführen zu lassen. Hier gibt es weitere Infos und Tipps für Skifahrer.  

Im Sportgeschäft oder Skiverleih sollte darauf geachtet werden, dass die Bindungen nach ISO-Normen geprüft werden. Ein seriöses Geschäft macht eine Fußmessung (Fußlänge und Fußbreite) mit Messlehre sowie eine Datenerhebung (Körpergröße, Fahrkönnen, Gewicht, Alter und Skischuhsohlenlänge) zur korrekten Ermittlung des Bindung-Einstellwertes. Hier gibt es weitere Infos und Tipps für Skifahrer.

Skischuhe mit stark abgenutzten Sohlen beeinträchtigen die korrekte Funktion der Bindung und sollten ausgetauscht werden. Beim Einsteigen in die Bindung unbedingt Eis und Schnee von den Skischuhsohlen abklopfen, denn auch eine dünne Schicht verhindert eine korrekte Funktion der Sicherheitsbindung. Hier gibt es weitere Infos und Tipps für Skifahrer.


Fotos
Oswald Breitenberger
Ernst Messner
Alexander Gardetto

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