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Rund 10.000 Anrufe wurden im Jahr 2019 von der Telefonseelsorge entgegengenommen. Monika Steger kennt die Sorgen, Probleme und Sehnsüchte der Jungen und Alten. Gemeinsam mit ihren Mitarbeiter*innen versucht die neue Leiterin der Telefonseelsorge über den Dienst der Caritas, Menschen zu begleiten und zu helfen.
Was genau ist die Telefonseelsorge?
Die Telefonseelsorge ist eine niederschwellige Beratung. Das bedeutet, dass wir den Anrufer*innen ohne therapeutischen Ansatz zuhören, begleiten und helfen. Der Dienst ist so aufgebaut, dass man sich unter der Nummer 0471 052052 bei uns melden kann, wenn man jemanden braucht, der zuhört. Bei ganz vielen Anrufer*innen ist es der Fall, dass die Probleme und Sorgen zunächst strukturiert und geordnet werden müssen. Viele wissen oft gar nicht, was sie haben, was sie brauchen und wo sie Hilfe bekommen. Wir sprechen mit den Menschen über ihre Sorgen, Ängste und Probleme. Wenn wir dabei merken, dass es noch zusätzliche Dienste benötigt, leiten wir die Person an Expert*innen, also Psycholog*innen, Therapeut*innen, Rechtsbeauftragte usw. weiter und ermöglichen die Kontaktaufnahme.
Mit welchen Problemen richten sich die meisten Anrufer*innen an die Telefonseelsorge?
Sie wenden sich eigentlich mit allem an uns. So leiden einige an mangelnder Selbstwahrnehmung, Gefühlschaos, Trauer, Einsamkeit, durchleben eine Trennung oder eine individuell schwierige Lebensphase oder werden mit Themen wie Suizid, Sterbebegleitung, Schicksalsschlägen usw. konfrontiert.
Wird das Angebot auch von Jugendlichen genutzt?
Durchaus. Die Telefonseelsorge richtet sich an alle. Jeder mit Problemen kann sich bei uns melden. Egal ob Jugendliche, Erwachsene oder alte Menschen. Seit einiger Zeit bieten wir neben der Telefonseelsorge denselben Dienst per Mail (telefonseelsorge-online.bz.it), welcher speziell von einer jüngeren Klientel genutzt wird. Allerdings ist das Angebot bei den jungen Menschen nicht so bekannt, weil es viele Angebote speziell für Jugendliche gibt, wie Forum Prävention und Young and Direct.
Jugendliche müssen heutzutage viel mehr schultern als früher.
Arbeiten Sie mit diesen zusammen?
Genau. Wenn sich Jugendliche bei uns melden, sprechen wir mit ihnen und sobald wir im Gespräch heraushören, dass es um Sucht, sexuellen Missbrauch oder andere gravierende Probleme geht, empfehlen wir Forum Prävention oder Young and Direct zu kontaktieren oder auch, sich dem Schulpsychologen anzuvertrauen. Unsere Aufgabe als erster Kontakt für die Person besteht darin, ihr erstmals den Raum zu geben, zu sprechen. Meiner persönlichen Erfahrung nach müssen Jugendliche heutzutage viel mehr schultern als früher.
Wieso glauben Sie das?
Jugendliche sind heutzutage oft überfordert von den vielen Angeboten: sei es in der digitalen Welt, in der Freizeit wie auch in der Schule. Sie sollen mit der Schnelligkeit und Hektik der Erwachsenen mithalten, Leistung erbringen und Verantwortung übernehmen, zu der sie oft noch nicht imstande sind. Speziell hochsensible Kinder und Jugendliche halten diesem Druck nicht mehr stand.
Wie kann die Telefonseelsorge hierbei helfen?
Jugendliche benötigen in erster Linie einen sicheren Halt von Erwachsenen. Indem sich Angebote wie die Telefonseelsorge speziell um die Probleme und Sorgen von Erwachsenen kümmern, werden Jugendliche indirekt mitunterstützt.
Was sind die häufigsten Probleme der Jugendlichen?
Ängste, Trennungen, Überforderungen, Orientierungslosigkeit und familiäre Probleme sind die größten Sorgen unserer jüngeren Anrufer*innen. Seit einiger Zeit spielt besonders Gender eine große Rolle bei den Anrufen und im Mailverkehr. Immer mehr Jugendliche melden sich bei uns mit der Frage: „Wo gehöre ich hin? Bin ich Mann, bin ich Frau?“
Wir geben keinen Rat. Wir helfen Betroffenen, ihre Gedanken zu sortieren und ermutigen sie, sich den Menschen, denen sie vertrauen, zu öffnen.
Was rät die Telefonseelsorge in solchen Fällen?
Wir geben keinen Rat. Wir helfen Betroffenen ihre Gedanken zu sortieren und ermutigen sie, sich den Menschen, denen sie vertrauen, zu öffnen. Zudem bestärken wir sie darin, dass sie – egal welchen dieser Wege sie weitergehen werden – wertvoll sind.
Haben sich die Sorgen der Anrufer*innen durch Corona verändert?
Ja, auf alle Fälle. Zurzeit und vor allem in der Phase des Lockdowns haben Anrufe zu Ängsten, Sorgen und der allgemeinen Unsicherheit stark zugenommen. Finanzielle Probleme, Einsamkeit, neue Wohn- und Familiensituationen sowie Trennungen sind die häufigsten Sorgen. Ein weiterer „Trend“ der aktuellen Sorgen ist vor allem durch die ungewisse Zukunft bestimmt. Jeder versucht, sich auf eigene Weise die Situation zu erklären.
Der Begriff der Seelsorge stammt aus dem Christentum. Ist das Angebot der Telefonseelsorge konfessionell gebunden?
Nein, überhaupt nicht. Die Mitarbeiter*innen der Telefonseelsorge sprechen sich für keinen Glauben aus. Jeder, egal mit oder ohne Konfession, kann bei uns arbeiten. Allerdings merken wird, dass einige Vorbehalte zur christlichen Auslegung des Angebots bestehen. Deshalb wird es vermutlich auch einige geben, die das Angebot nicht wahrnehmen, weil sie nicht gläubig sind oder einer anderen Religion angehören.
Wer arbeitet bei der Telefonseelsorge?
Derzeit arbeiten 88 freiwillige Mitarbeiter*innen bei der Telefonseelsorge. Viele davon sind bereits in Pension, alle bringen sehr viel Lebenserfahrung mit. Diese Lebenserfahrung ist unsere größte Ressource. Ich sage gerne zu unserem Team: Jede/r ist eine Schatztruhe voll mit Wissen und Erfahrungen.
Stellt der Altersunterschied zwischen Mitarbeiter*innen und den jüngeren Anrufer*innen ein Hindernis dar?
Nein, im Gegenteil. Ich sehe das als großen Vorteil. Wie bereits erwähnt, verfügen unsere Mitarbeiter*innen über viel Lebenserfahrung. Genau von dieser „Reife“ können vor allem jüngere Menschen profitieren. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass manche Jugendliche über den Altersunterschied zu ihren Ansprechpersonen sehr froh sind, weil sie nach einem Rat von jemand Erfahrenerem mit Distanz suchen.
Haben die Mitarbeiter*innen eine Ausbildung und werden sie psychologisch betreut?
Ja. Die Ausbildung zur Telefonseelsorge dauert sechs Monate. Dabei lernt man neben einer guten Gesprächsführung, ein gesundes Nähe-Distanz-Verhalten zu den Anrufer*innen und den Fällen. Die Mitarbeiter*innen besuchen einmal im Monat eine Supervision. Dabei reflektieren sie ihre Arbeit, sich selbst und konkrete Fälle. Das Ganze hilft, schwierige oder aufwühlende Fälle zu verarbeiten und eine Distanz zwischen sich und der Arbeit herzustellen.
Inwiefern kann diese Anonymität bei Suizidgedanken eingehalten werden oder besteht in solchen Fällen eine Meldepflicht?
Nein. Bei Suizidgedanken hören wir zunächst aufmerksam zu und besprechen die Situation und Gedanken der Betroffenen. Manchmal besteht bei den Anrufer*innen auch der konkrete Wunsch um Hilfe. Wenn uns also jemand anruft und von Suizidgedanken berichtet, hören wir zu und bieten Hilfe an. Dabei fragen wir nach dem Namen und der Anschrift und lassen der Person, sofern sie das genehmigt, professionelle Hilfe zukommen. Ansonsten bleiben unsere Anrufer*innen sowie Mitarbeiter*innen anonym. Schließlich ist es unsere Aufgabe, den Menschen zuzuhören und sie gegebenenfalls zu begleiten, aber nicht zu bedrängen.
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