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Maria Anna Schwarzberg erreicht täglich rund 22.000 Menschen auf Instagram. Die Autorin und Podcasterin erzählt dort über ihre Erfahrungen als hochsensible Person. Seit gut einem Jahr veröffentlicht sie auch Bilder, auf der sie mit ihrer Tochter Emma zu sehen ist. Was auffällt: Das Gesicht des Mädchens ist dabei nicht zu sehen. Mal hat Schwarzberg über das Gesicht einen weißen Klecks gemalt, mal hält sie ihr Kind liebevoll im Arm und dreht es so von der Kamera weg. Ästhetisch sind die Bilder trotzdem. „Wir haben uns schon vor der Geburt damit beschäftigt, wie wir unsere Tochter auf Social Media präsentieren, weil wir wussten, dass ich in der Öffentlichkeit stehe“, sagt Schwarzberg.
Sie und ihr Partner hätten sich für den Schutz von Emmas Persönlichkeit entschieden. Deshalb soll die kleine Emma auch nicht Mittelpunkt von Schwarzbergs Internetauftritt stehen: Sie teilt über ihre Tochter allenfalls Dinge auf Instagram, die sie etwa auch in einem Gespräch an der Supermarktkasse erzählen würde. Schwarzberg wünscht sich einen bewussteren Umgang mit Kinderfotos. Es ist ihr wichtig, dass Kinder wie auch Erwachsenen sich darüber im Klaren sind, was es bedeutet, ein Bild online zu teilen. Und dass sie nicht über den Kopf ihrer kleinen Tochter hinweg entscheidet, ob ihr Gesicht öffentlich erkennbar ist.
Bei weitem nicht alle Eltern machen sich dieselben Gedanken. Viele übersehen, dass es Risiken birgt, wenn Kinderfotos bedenkenlos mit den Followern im Netz geteilt werden: Sie können mitunter in kinderpornografische Kreise geraten, auch in Form von Fotomontage. Besonders dann, wenn aus den Fotos private Informationen wie Wohnort oder Schule erkennbar sind, kann das für die Kinder gefährlich werden. Und auch, wenn ein Account öffentlich, also für alle und nicht nur für die eigenen Follower einsehbar ist, können Fotos ungebremst verbreitet werden und bleiben für immer im Web.
Noch kein eigenständiges Gesetz
Ein eigenständiges Gesetz zu Kinderfotos in Sozialen Netzwerken gibt es laut der Bozner Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller noch nicht. Meistens entwickelt sich die Rechtslage bei solchen neuen Themen erst in Folge von einzelnen Gerichtsurteilen. In den vergangenen Jahren war das so mit Cybermobbing und Revengeporn, wo es mittlerweile Staatsgesetze und zusätzliche Klauseln gibt. Deshalb gibt es bis dato nur einen rechtlichen losen Rahmen, der sich aus verschiedenen italienischen und europäischen Bestimmungen zusammensetzt, so Höller: Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist eine davon. Wer demnach Kinderfotos von Kindern über 14 Jahren veröffentlicht, muss sie vorher um Einverständnis fragen.
Breiter auslegbar ist hingegen die Kinderrechtskonvention. „Grundprinzip ist, dass das Kindeswohl immer Vorrang hat“, so Höller. Einerseits ist darin das Recht der Kinder auf freie Meinungsäußerung formuliert, andererseits sind sie vor dem widerrechtlichen Eingriff ins Privatleben geschützt – besonders dann, wenn die Ehre des Kindes verletzt werden könnte. „Man muss sich immer selbst die Frage stellen, ob es im Interesse meines Kindes ist, breiverschmiert am Tisch sitzend fotografiert zu werden. Kinder sind vollwertige Menschen“, sagt Höller. Außerdem sind Fotos persönliche Daten: Dem Kind steht natürlich das Recht zu, dass diese nicht veröffentlicht werden.
Auf der anderen Seite sieht Höller derzeit das moralische Gewicht schwerer als das gesetzliche: Vor allem dann, wenn die Fotos, wie es etwa bei Influencerinnen der Fall ist, zu kommerziellen Zwecken geteilt werden. Bloggermamas und (seltener -papas) werben etwa für Kinderwagen, Windeln, kinderfreundliche Hotels mit süßen Babyfotos. „Auch wenn es nicht unmittelbar strafrechtlich belangbar sein sollte, ist es für mich nicht ethisch vertretbar. Ich bin der Auffassung, dass dies der Kinderrechtskonvention widerspricht und dementsprechend widerrechtlich ist“, so die Expertin.
Die meisten Eltern, die das Glück des Nachwuchses im Social Media teilen, wollten daraus natürlich nicht Profit schlagen. „Die meisten Menschen sind schlichtweg überglücklich, wenn sie Kinder bekommen. Und natürlich wollen sie das mit anderen teilen, das ist verständlich“, sagt die Anwältin. Viele seien sich nicht dessen bewusst, dass diese Bilder für immer im Netz bleiben. Auch dann, wenn die Bilder vom Profilinhaber gelöscht wurden. Denn: Das Internet vergisst nichts.
Alle Kinderfotos löschen?
Sollten deshalb die Netzbetreiber die Verantwortung übernehmen und alle Kinderfotos löschen? Nein, findet Höller: „Die Einstellungen müssten besser auf den Nutzer zugeschnitten werden. Dass man beispielsweise seine Fotos nur mit dem engen Freundeskreis teilen kann.“ Außerdem sollten Betreiber Bilder von halbnackten Kindern oder in Unterwäsche sofort löschen. Alles andere liege jedoch auch in der Verantwortung der Eltern.
„Es gibt noch viel Unsicherheit und viele sind sich der Gefahren einfach nicht bewusst.”
Bis es ein lückenloses Regelwerk zu Kindern und Social Media gibt, empfiehlt die Anwältin deshalb Eltern, die Gesichter der Kleinen unkenntlich zu gestalten. Kinder könnten nur von hinten fotografiert werden, die Gesichter verpixelt oder weggedreht werden. Beliebt seien aber auch Fotos von Händchen nach der Geburt. Außerdem könne man die Reichweite des eigenen Accounts einschränken und ihn auf privat stellen, damit nur Freunde die Fotos sehen. Und am allerwichtigsten: Die Kinder fragen, ob sie mit derartigen Veröffentlichungen einverstanden sind. Höller selbst ist viel in Schulen unterwegs, wo oft bereits Elf- oder Zwölfjährige Snapchat und TikTok-Accounts besäßen, auch wenn das verboten ist. „Man weiß, wenn man was verbietet, wird es interessanter für die jungen Menschen.“ In Schulen spricht Höller deshalb lieber mit Kindern und Jugendlichen über Cybermobbing und die Gefahren im Social Media. „Es gibt noch viel Unsicherheit und viele sind sich der Gefahren einfach nicht bewusst. Wir müssen also die gleiche Arbeit mit den Eltern machen, wie wir sie mit den Jugendlichen machen“, so ihr Fazit.
Maria Anna Schwarzberg hat einen solchen bewussten Umgang mit Tochter Emma und den Sozialen Medien gefunden. Eine striktere Trennung zwischen Privat- und Internetpersona falle ihr ohnehin nicht schwer. „Ich habe in den Sozialen Medien schon immer meine Arbeit in den Fokus gestellt und nicht mein Privatleben. Nach der Geburt hätte man sein Glück natürlich mit der ganzen Welt geteilt, aber dann durften eben nur Freunde und Familie meine ganzen Babygeschichten mitverfolgen“, lacht sie. Nur selten sieht man mittlerweile Fotos von Schwarzberg mit ihrer Tochter auf ihrem Instagramaccount. Der letzte Post mit Emma ist bereits einige Tage her: Schwarzberg hält sie auf dem Arm und beide schauen, der Kamera den Rücken zukehrend, aus dem Fenster. In der Bildbeschreibung geht es nicht um Emma: Maria Anna Schwarzberg schreibt über Burnout-Prävention.
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