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Selbst leichter Nieselregen und Nebelschwaden verleihen der Fojedöra-Hochalpe an diesem Herbsttag einen Zauber, der Aussteigerfantasien beflügelt. Die Alm gilt unter Wanderern als Geheimtipp. Trotz ihrer Nähe zu Tourismusdestinationen wie dem Kronplatz oder dem Pragser Wildsee liegt die kleine Alm einsam im Naturpark Fanes-Sennes-Prags. Gepachtet haben sie in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal die 23-jährige Anita aus St. Vigil und ihr Freund Simon aus Oberösterreich. Sarah und Jakob, ein befreundetes Paar aus dem Salzkammergut, unterstützen bei den Sennerarbeiten und beim Ausschank.
„Wenn es irgendwie ginge, würde ich mir in Wien sofort so einen Holzofenherd zulegen. Da schmeckt es einfach besser“, sagt Sarah. In der kleinen, funktionalen Küche bereitet sie Polenta und Bratkartoffeln in Eisenpfannen zu. Die gelernte Grafikerin hatte nach einigen Berufsjahren genug von der Werbebranche und ist froh um die Abwechslung auf der Alm. Sarah ist selbst auf einem kleinen Hof aufgewachsen. Auf Fojedöra ist sie zuständig für das Melken der sechs Ziegen, das sie per Hand erledigt.
Viel zu tun hatten Sarah und ihre Freunde anfangs mit den Hennen: „Die fanden nie den Weg zurück in den Stall und legten ihre Eier überall. Wir mussten sie suchen und einsammeln. Erst als der Hahn da war, kam Ordnung in die Bude“, lacht die Oberösterreicherin. Die Alm erinnert sie an ein Mädchen-Teenie-Lager: Kühe, Hennen und Ziegen – alles Damen. Bei allzu störrischen Kandidaten müssen die vier jungen Senner auch einmal durchgreifen. „Auf der Alm darf man nicht zimperlich sein. Das gilt übrigens auch fürs Duschen“, sagt Sarah augenzwinkernd. Internet oder Fernseher gibt es auf Fojedöra nicht – dafür bleibt am Tag auch keine Zeit. Und nach der körperlichen Anstrengung schlafen alle meist bald tief und fest.
Der Alltag in der Aussteigeridylle verlangt vollen Körpereinsatz. Auch auf einer kleinen Alm fallen viele Arbeiten an. Darum sind die Aufgaben auf Fojedöra klar verteilt. Für gewöhnlich stehen die Senner um halb sechs Uhr früh auf. Dann werden die Milchkühe gemolken und Kälber, Ziegen, Schweine und Hennen versorgt. Anita und Jakob sind hauptsächlich Hirten. Täglich begehen sie das 400 Hektar große Weidegebiet, um nach dem Vieh zu sehen, zu dem auch Schafe und Pferde gehören. Anita kennt alle 120 Kühe beim Namen, Jakob merkt sich ihre Nummern. Insgesamt erstreckt sich die Alm auf gut 900 Hektar, Gipfel inklusive. Während Anita und Jakob nach den Tieren sehen, verarbeiten Sarah und Simon die Milch und stehen in der Hüttenküche.
Um die Mittagszeit treffen sich alle in der Hütte und kümmern sich um den Ausschank. Eine kurze Verschnaufpause gönnen sie sich erst um vier Uhr nachmittags. Danach erledigen sie den Abwasch, versorgen die Tiere und verarbeiten die Milch. Abends hocken sie beisammen, plaudern, spielen Karten oder gehen früh ins Bett. Urlaubstage gibt es keine, nur abwechselnd Freizeit ab dem späten Nachmittag. Simon und Sarah nutzen die zum Wandern, Anita und Jakob zum Ausspannen.
„Unsere Arbeit ist etwas ganz Besonderes. Wir sind oft draußen und viel zu Fuß in der freien Natur unterwegs. Zeitweise kann es aber auch mühsam sein,“ sagt Anita. Richtig anstrengend war die Arbeit im Hochsommer, als die Kühe viel Milch gaben und viele Gäste die Hütte besuchten. Und wenn Gewitter aufziehen, kann die Idylle schnell kippen: „Da habe ich nicht nur Angst um uns, sondern sorge mich auch um die Tiere, die auf Wanderschaft sind. Die Unwetter machen sie unruhig. Sie könnten sich dabei verletzen,“ sagt Anita.
Für den Aufenthalt ihrer Tiere auf der Fojedöra-Hochalpe zahlen die Bauern pro Tier einen festgesetzten Betrag. Dass die vier jungen Senner auch Pächter der Hütte sind, ist fast eine kleine Ausnahme. So können sie die gewonnene Milch vor Ort verarbeiten und eigene Produkte herstellen. Anita beschäftigte sich schon früh mit dem Thema Käsern und der Herstellung von Zigher. Der galt einst als typisches Gericht für arme Leute. Heute ist er wie Graukas eine Delikatesse. Sein Aroma als stark zu bezeichnen, ist die reinste Untertreibung. Der Geschmack aber ist großartig: Zwiebeln und Essig dazu, fertig.
Anita kennt Fojedöra bereits aus ihrer Kindheit, als die Ziegen ihres Familienbetriebs auf die Alm gebracht wurden. Sie wollte immer schon auf der Alm leben. „Mit 11 wollte ich unbedingt für ein paar Tage hier bleiben. Daraus wurde dann ein Monat,“ erinnert sie sich. Als die Alm im vergangenen Jahr frei wurde, übernahm Anita sie gemeinsam mit ihrem Freund Simon. Die Beiden hatten sich beim Studium der Agrarwissenschaften in Wien kennengelernt. Hirten und Senner sind normalerweise um einiges älter als Anita und Simon. „Manche Bauern haben sicher gezögert, uns die Pacht zu überlassen. Letztendlich haben sie uns doch vertraut. Jetzt unterstützen sie uns, wo sie nur können. Dafür sind wir sehr dankbar,“ sagt Anita.
Das junge Paar will die Alm auch in Zukunft betreiben. Ob Jakob und Sarah sie dabei unterstützen, wollen die Grafikerin und der Bildhauer spontan entscheiden. Nach dem Almsommer kehren die vier zurück nach Wien. Anita studiert dort Musikwissenschaften und Rhythmik, Sarah Werkerziehung auf Lehramt. Jakob studiert transdisziplinäre Kunst, Simon Agrarwissenschaften und arbeitet als Bäcker. Die Abwechslung auf der Alm lieben sie alle – auch wenn die Arbeit anstrengend ist.
Trotz des unbeständigen Wetters sind heute alle Tische in der Stube mit Wandergruppen besetzt. Vorm Backofen im Eingangsbereich liegen frisch gebackene Laibe und Butterzöpfe zum Auskühlen. Ein Tourist lässt sich gleich drei davon einpacken. „Es ist ziemlich viel los heute, aber die Saison neigt sich dem Ende zu. Das merken auch die Tiere“, erklärt Anita. Die saftigen Almwiesen sind fast abgegrast, die Kühe geben weniger Milch als zum Sommerbeginn. Es wird Zeit, dass die jungen Senner ihre Zelte abbrechen und von der Alm zurück in die Wiener Großstadt ziehen.
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