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Die Beatles sagten einmal über Elvis Presley, dass er sich wohl deshalb so traurig verloren hatte in Medikamenten und Übergewicht, weil er immer nur Ja-Sager an seiner Seite hatte. Sie als Band hatten dagegen das Glück, Menschen mit gelegentlich gegenteiliger Meinung um sich zu haben – jemanden, der sie auch einmal auf Normalmaß zurechtstutzen konnte, wenn sie sich in ihren Parolen allzu sehr gefielen.
Vom Glück und Privileg gegenteiliger Meinungen halten die Wortführer der Flüchtlingsdebatte leider nicht viel. Die einen stehen links, die einen stehen rechts, und niemand hört dem anderen zu, der auf der jeweils anderen Seite steht. Das ist eine sehr gemütliche Art des politischen Diskurses, der diesen Namen so nicht verdient.
Es ist beliebte Praxis in letzter Zeit, andere Meinungen mit einem bestimmten Attribut zu versehen und sie mit diesem automatisch für nicht durchdacht zu deklarieren: „Putinversteher“ war ein Begriff, mit dem etwa pro-russische Argumente süffisant im Keim erstickt wurden, „besorgte Bürger“ nun der andere. Auch die sogenannte „Lügenpresse“ wird zum Totschlag-Argument. Begriffe ersetzen Inhalte, Diskussionen ohne Dialog.
Auch die sogenannte „Lügenpresse“ wird zum Totschlag-Argument. Begriffe ersetzen Inhalte, Diskussionen ohne Dialog.
In der letzten Ausgabe (vom 18. Oktober) des Polit-Talks von Günther Jauch diskutierten etwa vier Gäste zur Frage, ob der Hass gesellschaftsfähig wird angesichts der Flüchtlingskrise. Einen Tag zuvor war die Spitzenkandidatin für das Kölner Oberbürgermeisteramt bei einer Messerattacke schwer verletzt worden, allen Meldungen zufolge eine fremdenfeindlich motivierte Tat, und eine Woche vorher trugen Pegida-Demonstranten einen Galgen spazieren, der für Angela Merkel und Sigmar Gabriel reserviert war.
Die Sendung drehte sich also um eine rein rhetorische Frage, und weil alle Anwesenden die Antwort schon kannten (Ja, natürlich!), wurde aus der geplanten Diskussion eine moralische Inquisition des Rechten in der Runde. Dieser Mann war Björn Höcke von der AfD, jene Partei, die das Wort der Lügenpresse gern benutzt. Die Fronten waren klar verteilt. Den Zusehern wurde gleich zu Beginn gezeigt, dass Höcke bei Auftritten Vokabular und Stimmlage aus schlimmen Zeiten benutzt, um den Pöbel richtig scharf zu machen, und das natürlich gar nicht geht.
Wo liegt darin aber der Mehrwert, der journalistische Erkenntnisgewinn?
Der zeigte sich erst am Ende. Klaus Bouillon, Innenminister des Saarlandes, nannte einige Aspekte, die laut ihm problematisch bei der Integration werden könnten. Höcke pflichtete bei und wollte das Thema gleich vertiefen. Die anwesende NDR-Journalistin Anja Reschke aber stellte sich ihm tapfer entgegen und meinte, dass solche Aussagen für das gesellschaftliche Klima „doch nicht förderlich“ seien. Das war ihr Argument für das Ende der Diskussion: Dieser Teil sei nicht förderlich in seiner Wirkung. Kurz innezuhalten und die problematischen Aspekte inhaltlich zu betrachten, auch auf die Gefahr hin ein eventuelles Scheitern zumindest in Betracht zu ziehen (“Und wenn wir es nicht schaffen?”) – so weit ging der Dialog dann nicht. Optimismus wird verpflichtend: Wenn wir nur fest genug daran glauben, dass wir das schaffen, dann schaffen wir das auch. Optimismus ist förderlich für das gesellschaftliche Klima, und wird deshalb zum obligatorischen Leitmotiv der öffentlichen Berichterstattung
„Sagen, was ist.“ Nichts weiter. Nicht sagen, was förderlich ist. Der Unterschied ist himmelweit.
Das ist zwar ein löblicher, aber doch auch befremdlicher Berufsethos einer Journalistin. Rudolf Augstein hatte die Aufgabe eines Journalisten anders beschrieben: „Sagen, was ist.“ Nichts weiter. Nicht sagen, was förderlich ist. Der Unterschied ist himmelweit.
Das ist es, warum der Vorwurf der Lügenpresse nicht völlig von der Hand zu weisen ist – auch wenn der Begriff radikal formuliert, im rechten Spektrum angesiedelt und negativ behaftet ist: Er hat trotz allem ein Körnchen Wahrheit, weil eine selektiv ausgesuchte Wirklichkeit nicht die ganze Wahrheit ist, und eine halbe Wahrheit schon eine ganze Lüge.
Das Sprichwort – von der halben Wahrheit und der ganzen Lüge – wurde nicht erst jetzt von Pegida erfunden. Bislang hat sich niemand daran gestört. Wenn man diese Logik aber auf den konkreten Sachverhalt anwendet (darauf, dass eine Journalistin sagt, bestimmte Dinge sind „nicht förderlich“ für die Stimmung im Land) und dann zum Schluss kommt, dass das Ausblenden bestimmter Aspekte auch keine ehrliche Presse ist, ist das dann rechter Populismus?
Diese subjektiv-selektive Art der Information mag aus den besten Absichten geschehen. Die Sache, für die man kurz die kalte Objektivität sausen lässt, um mit Emotion und Inbrunst zu berichten, ist doch gut, oder? Und heiligt der Zweck nicht die Mittel?
Der Vorwurf der Lügenpresse ist nicht völlig von der Hand zu weisen, weil eine selektiv ausgesuchte Wirklichkeit nicht die ganze Wahrheit ist, und eine halbe Wahrheit schon eine ganze Lüge.
Der Journalist Ulrich Ladurner erinnerte vor nicht allzu langer Zeit in einem BARFUSS-Interview an ein anderes bekanntes Credo zur journalistischen Arbeitsweise: „Ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“
Das ist der (sehr menschliche) Makel der Presse momentan: Sie macht sich mit einer Sache gemein, und das allzu laut und allzu offensichtlich. Das zeigte der SPIEGEL mit seiner Ausgabe mit Doppel-Cover vor einigen Wochen, bei der der Leser wählen konnte zwischen den Titeln „Dunkles Deutschland“ oder „Helles Deutschland“ – als sei die einzige Alternative für jeden, der für Luftballons nicht enthusiastisch genug ist, der braune Sumpf vor brennenden Flüchtlingsheimen. Das zeigte die ff mit einer jüngeren Ausgabe, die „100 Stimmen gegen Fremdenhass“ titelte – und dabei eine Plattform für feine Phrasen und Idealismus bot, mit Inhalten aber nicht diente.
Natürlich gibt es Textformen, die subjektiver Natur sind (wie Kolumnen und Kommentare). Diese sind aber nur ein Teil der öffentlichen Berichterstattung. Der Rest muss objektiv bleiben und darf nicht gefiltert werden nach politischer Verträglichkeit. Denn damit setzt man nur die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel und spielt denen in die Hände, die man für politisch nicht verträglich hält.
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