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In jeder dritten Partnerschaft wird betrogen . Mehr oder weniger, je nach Statistik. Seitensprünge gehören also zur Realität vieler Paare. Warum? Ist Monogamie ein gesellschaftlich konstruiertes Auslaufmodell, die Polygamie hingegen evolutionsbiologisch in uns verankert?
Darüber streiten sich Psychologen, Philosophen und Biologen noch; aber nach aktuellem Forschungsstand sind wir wohl eine Mischform – und gerade das führt zu Konflikten in der Spezies Mensch. Schildkröten oder Paviane wissen von Anfang an, dass es bei der einen heißen Nacht bleiben wird – sie gehören, wie der Großteil des Tierreichs, zu den polygamen Arten. Umgekehrt können eine Schwertwal-Dame oder ein Schwanen-Herr, traditionell monogam lebende Spezies, davon ausgehen, dass ihre ausgewählte zweite Hälfte bis ans Lebensende an ihrer Seite bleiben wird.
Ob offen oder geschlossen – die richtige Beziehungsform soll jedes Paar für sich finden. Stattdessen wollen wir hier der – bewusst provokanten – Frage nachgehen, wer von einer kulanten Anzahl an aktuellen Sexualpartner*innen mehr hätte: die Frau oder der Mann?
Dem Klischee nach fiele die Antwort recht eindeutig aus: Der Mann profitiert und möchte auch lieber als die Frau mehrere Partnerinnen zeitgleich haben. Das liege in der Natur des Mannes, der seine Spermien so breit wie möglich „säen“ wolle, um so viele seiner Gene wie möglich zu reproduzieren. Die Frau hingegen suche evolutionsbiologisch nach einem Mann, der bei ihr bleibt, um ihre Säuglinge zu schützen. Und außerdem seien Frauen ja eh viel emotionaler und romantischer.
Das Stereotyp mag vielleicht auf frühere Jahrhunderte zutreffen, dem zugrunde jedoch ein gesellschaftliches Phänomen liegt, kein evolutionsbiologisches: So fanden Frauen zum Beispiel im 17. Und 18. Jahrhundert fast ausschließlich in einer monogamen Beziehung – sprich der Ehe – einen von der Gesellschaft anerkannten und finanziell abgesicherten Platz. War man also nicht gerade eine reiche Adelstochter oder gar Zarin – Katharina der Großen sagt man über 20 Liebhaber nach, die sie anschließend mit reichen Geschenken wieder abspeiste – so hielt frau den Ehemann klugerweise eng an sich.
Mehrere sexuelle Befreiungen später – finanzielle Unabhängigkeit der Frau, Möglichkeiten der Geburtenkontrolle und gesellschaftliche Anerkennung des ledigen Status– zeigen die Statistiken: Heute gibt eine wachsende Anzahl an Frauen an, ihren Partner mindestens einmal betrogen zu haben. Gleichberechtigung schenkt den Frauen also ein neues sexuelles Selbstbewusstsein, und dazu scheint auch das Fremdgehen zu gehören. Glaubt man dem Buch „Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben“, führt eine gleichberechtigte Gesellschaft auch im Bett zu mehr Freude für die Frau.
Freude im Bett ist für die Frau unwahrscheinlicher als für den Mann. Das belegen etliche Umfragen, darunter eine aus den USA von 2017, in der 95% der befragten heterosexuellen Männer angaben, regelmäßig beim Sex zum Orgasmus zu kommen, jedoch nur 65% der heterosexuellen Frauen.
Könnte ein gelegentlicher Ausflug in fremde Betten also nicht die Wahrscheinlichkeit für Frauen erhöhen, auch zu ihrem Höhepunkt zu kommen? Sexuelle Unzufriedenheit ist jedenfalls der meistgenannte Grund für einen Seitensprung.
Normalerweise, Julia, wäre es hier meine Aufgabe, deine feministische Brille mit einer typisch männlichen Sicht der Dinge herauszufordern – egal ob zum Thema Verhütung, Dating oder zur leidigen Frage, wer den Haushalt macht. In diesem Fall bleibt mir aber nichts übrig, als dir ausnahmsweise beizupflichten.
Ja, es stimmt, Frauen haben allen Klischees zum Trotz die offene Beziehung längst für sich entdeckt. Aber mal ganz ehrlich: Wen wundert das?
Männer, die in einer monogamen Beziehung leben und sich an lauwarm-kuscheligen Netflix-Abenden nach etwas mehr promiskem Abenteuer sehnen, wissen das schon lange. Bei den Verheißungen einer offenen Beziehung ist deshalb Vorsicht geboten, dazu mahnen samstagabends auch die gutmeinenden Warnungen in der Männerrunde: „Pass auf, am Ende ist nur noch sie unterwegs, klappert alle Betten der Stadt ab und du kramst zuhause höchstens ein paar Tinder-Matches zusammen.“
So grobschlächtig solche Sentenzen daherkommen, ist da schon etwas dran. Fällt es Frauen nicht um einiges leichter, einen Sexualpartner zu finden? Was unter anderem auch daran liegt, dass die Bringschuld, den ersten Schritt zu wagen, trotz aller Emanzipation noch immer hauptsächlich Männersache ist. Die Vorteile einer offenen Beziehung überwiegen also eindeutig auf der Frauenseite.
Aber das ist wieder mal reines Kategoriendenken. Und dass die Verteilung der Vorteile im Einzelfall ganz anders sein können, versteht sich hier von selbst. Die eigentliche Frage ist ja auch eine andere: Warum würde es viele Partner so stören, wenn sich der Andere aus der offenen Beziehung mehr herausholt als man selbst? Regt sich da doch wieder das Monogame in uns, die Verlustangst, der instinktiv verankerte Anspruch auf Exklusivität?
Offene Beziehungen bleiben deshalb ein emotionales Minenfeld. Was nicht automatisch heißt, dass ein wenig Lustwandeln auf diesem Feld nicht gelingen kann. Aber es gehört die Fähigkeit dazu, die eigene Verletzlichkeit vor dem Partner offenzulegen, restlos ehrlich zu sein, über unangenehme Gefühle und wunde Punkte zu sprechen, sich selbst und den Partner so anzunehmen, wie man ist – und nicht, wie man sich selbst oder den Partner gerne hätte. Wer all das kann, gehe aufs erste Date.
Autor (he): Teseo La Marca
Progressiv mit Vorbehalten. Glühender Verfechter der echten Gleichberechtigung. Ärgert sich aber insgeheim, wenn er im Haushalt mehr machen muss als seine Freundin.
Autorin (she:) Julia Tappeiner
Seit ihrer Zeit im patriarchalen Kasachstan eine überzeugte Feministin. Steht nichtsdestotrotz auf rasierte Achseln, hasst keine Männer und lässt sich von ihrem Freund auch mal einladen. Der nächste Aperitivo geht dann wieder auf sie.
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