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Erwachsen sind immer die anderen. Ich erinnere mich an die Grundschule. Ich, ein Erstklässler. Ich schaue den Fünftklässlern beim Fußballspielen zu. Frage, ob ich mitspielen darf. Darf ich natürlich nicht. Wenn ich mir heute diese Bilder von damals vor Augen rufe, dann trügen sie. Die Fünftklässler, die Fußball spielen, sehen auf den Bildern aus wie junge Erwachsene, dabei waren sie damals höchstens zehn Jahre alt.
Ich glaube, man ist so lange Kind, bis man von Zuhause weggezogen ist, so weit weg, dass man am Wochenende die Wäsche nicht mehr heimbringen kann. Keine Eltern mehr um sich herum, die einem sofort Rat geben können, wenn man nicht mehr weiterweiß. Ich glaube, man ist so lange Kind, so lange man den Rat der Eltern für bare Münze hält. Immer. Ausnahmslos. Ohne Zweifel. Ohne den Rat zu hinterfragen. Ich glaube, man merkt, dass man kein Kind mehr ist, wenn man mitbekommt, dass die eigenen Eltern auch an manchen Dingen verzweifeln. Dass sie, auch als man selbst noch jung war, an manchen Dingen verzweifelten, weil sie ja damals gerade mal so alt waren, wie man selbst jetzt. Nur für einen selbst waren sie immer schon groß, erwachsen, immer schon da, Eltern eben. Nun brauchen sie selbst von einem Rat bei manchen Dingen, zum Beispiel fragen sie, wie dieses Internet funktioniert, ob man mit dem Smartphone auch telefonieren kann, was denn dieses Spotify ist.
Früher habe ich immer gedacht: Was haben die denn alle? Wenn es echt keinen Ausweg mehr gibt, dann steig in einen Zug, fahre ganz weit weg, irgendwohin, wo dich keiner kennt! Fang ein neues Leben an! Heute weiß ich: dass das irgendwann auch keine Option mehr ist. Früher dachte ich: Irgendwann bist du erwachsen, dann hast du für alles eine Lösung, so wie deine Eltern immer eine Lösung für deine Probleme hatten. Heute weiß ich: So war das gar nicht. So wird das nie sein. Alles bloß Schein. Früher dachte ich: Nach der Matura, da fängt das echte Leben an. Später dachte ich, nach dem Studium, da fängt es an. So ging das in einem fort. Ich bin jetzt Anfang 30, langsam dämmert mir, dass ich längst mittendrin bin in dem, was sich Leben nennt. Es zerrinnt mir zwischen den Fingern, wenn ich nicht aufpasse. Ich darf nicht zu sehr von der Zukunft träumen, nicht zu sehr in den Erinnerungen an die Vergangenheit schwelgen, ich muss das Jetzt leben. Wenn das so einfach wäre!
Manchmal denkt man, dass alles scheiße ist, man denkt, hoffentlich ist man bald alt. Kann seine Rente genießen, hat alles hinter sich. Alte Menschen ruhen in sich, denen kann alles mal am Arsch vorbeigehen, denen kann niemand mehr was. Manchmal denkt man, alle anderen haben es leichter. Was dann hilft? Nachdenken, mit wem man tauschen würde. Ganz konkret. Von einer Sekunde auf die andere. Aber nicht nur für einen Tag, eine Woche. Für immer. Für einen Tag, für eine Woche, da wüsste ich viele. Da würde ich Alexander der Große sein wollen, wie er nach Babylon kommt. Marc Aurel, wie er durch das Forum Romanum spaziert. Mick Jagger, wie er bei „Sympathy for the devil“ über die Bühne tänzelt. Ryan Gosling, wenn er mit Eva Mendes …
Für einen Tag, für eine Woche, ja. Für immer tauschen? Mit keinem von denen. Mit keinem einzigen. Das tut gut. So schlecht kann das eigene Leben nicht sein. Auch nicht als Erwachsener. Auch nicht ohne Eva Mendes.
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