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Stellt euch vor: Ihr seid ein Kleinkind, fast noch ein Baby. Ihr macht im Kreise der Familie eure ersten tapsigen Schritte hinaus in die Welt. Mama ist immer da, und auch eure Geschwister geben euch Geborgenheit. Das Leben ist aufregend, immer gibt es neue Entdeckungen zu machen, aber zum Glück kann man am Ende immer zusammengekuschelt und in Sicherheit einschlafen.
Aber eines Tages passiert es: Riesige, unbekannte Wesen entführen euch. Mama und der Rest der Familie sind verschwunden. Eure Entführer packen euch in eine ruckelnde Kiste, die euch kilometerweit von eurer Familie wegbringt. Dabei machen sie die ganze Zeit komische Geräusche, die sie auf euch einprasseln lassen. Ihr habt Angst und seid ganz starr vor Schreck. Ihr landet an einem fremden Ort, wo alles ganz anders ist, als ihr es gewohnt seid. Und jetzt stecken euch die Entführer auch noch in einen dunklen Käfig, in dem ihr euch kaum bewegen könnt. Ihr spürt, wie ihr durchgeschüttelt werdet. Und als sich endlich der Deckel des Käfigs lüftet und wieder Licht zu euch hereinkommt, seid ihr umgeben von noch mehr unbekannten Wesen, die zu allem Überfluss auch noch gellende Schreie ausstoßen. Alles rings um euch herum ist grell und beengend, von allen Seiten werdet ihr begrapscht und herumgeschubst. Euer Herz klopft wie wild, ihr seid in Panik, ihr möchtet nur noch weg hier. Aber weil ihr noch so klein und ganz allein seid, könnt ihr euch nicht wehren.
Ein Albtraum, oder?
Und doch kann man solche Szenarien auf zahllosen „süßen“ YouTube-Videos sehen, wo Hundewelpen in Geschenkkartons unterm Weihnachtsbaum landen.
Der Übergang des Welpen von seiner Hundefamilie mit Mama und Geschwistern auf seine Menschenfamilie ist bereits traumatisch genug. Es gibt aber Möglichkeiten, ihn etwas sanfter und weniger verstörend zu gestalten. Das Hundebaby in einen Karton zu stecken und von kreischenden Kindern oder Omas „auspacken“ zu lassen, gehört nicht dazu.
Eigentlich sollte die Frage, ob Tiere als Weihnachtsgeschenke oder Geburtstagsüberraschungen geeignet sind, nicht mehr erörtert werden müssen. Diese zweifelhafte „Ehre“ sollte man nicht mal einem Goldfisch antun, geschweige denn einer Katze oder einem Hund. Und doch passiert es ständig wieder. Mit plausiblen Begründungen: Wir hatten ja schon lange darüber gesprochen, uns ein Tier anzuschaffen … Es ist ja ein Herzenswunsch … Jetzt ist der geeignete Zeitpunkt für uns …
Gewiss, viele Tiergeschenke sind keine „Spontankäufe“ gewesen, sondern erfolgen nach längeren Vorbereitungen. Wenn alles passt und die Fragen, wer sich in welchem Rahmen um das Tier kümmern wird, geklärt sind, spricht ja auch nichts dagegen, sich das Tier anzuschaffen. Aber man sollte sich schon gut überlegen, in welchem Rahmen man das Tier in seine neue Umgebung, seine neue Familie einführen will. Denn eines ist essentiell: Gewisse Dinge müssen vom ersten Moment an klar definiert sein.
Das beginnt beim Schlafplatz (ein Körbchen im Flur? Im Schlafzimmer? Oder darf der Hund gar mit ins Bett?), geht hin zum Standort des Wassernapfs (zu dem der Hund jederzeit Zugang haben sollte), bis zur Frage, welche Regeln ab sofort gelten (wann gibt es Essen für den Hund? Wo ist der Hund, während die Menschen essen? Gibt es Räume, die für den Hund tabu sind? usw.). Je unmissverständlicher dem Hund gezeigt wird, wie sein neues Zuhause funktioniert, desto leichter fällt es ihm, sich zurechtzufinden. Am besten bekommt der Welpe die Gelegenheit, alles in Ruhe anzuschauen, zu erschnüffeln und abzuschreiten – denn all die neuen Gerüche und Eindrücke sind für ihn eine große Herausforderung. Und ein ruhiges Plätzchen, in das er sich nach dieser Anstrengung und Aufregung zurückziehen kann, ist auch hilfreich.
Eine lustige und ausgelassene Familienfeier mit Gästen, Musik, Spielen, Lärm, Päckchen und Chaos ist daher ein denkbar ungeeigneter Moment, einen Welpen ins neue Heim einzuführen. Wenn alle Augen auf ihn gerichtet sind, wenn Papier, Schleifen, Spielzeug herumliegen, ein großer, glitzernder Weihnachtsbaum herumsteht, es überall nach verschiedensten köstlichen Speisen duftet und auch noch mehr Menschen da sind als sonst, weiß der kleine Kerl gar nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Aufregung und Nervosität äußern sich bei Hunden aber leider in einem Körpersignal, das viele Menschen völlig falsch deuten, nämlich im hektischen Schwanzwedeln. „Schau mal, wie er sich freut!“, wird dann in Verkennung der Tatsachen interpretiert. Dabei zeigt der wedelnde Schwanz nur an, dass der Hund gerade ganz außer sich ist – ob vor Freude oder vor Panik, ist damit noch nicht entschieden.
Manche Welpen zeigen ihre Überforderung auch, indem sie einfach gar nichts mehr machen, in eine Art Schockstarre verfallen und sich nicht mehr bewegen. Auch das wird gerne fälschlicherweise als Ruhe und Ausgeglichenheit interpretiert.
Wir sehen also: Welpen unterm Weihnachtsbaum sind weder außer sich vor Freude noch ruhig und ausgeglichen, sondern einfach nur fehl am Platz.
Wählt für die Anschaffung eures neuen Kumpels einen ruhigen und „ganz normalen“ Tag, gebt euch und ihm genügend Zeit. Gönnt euch einen möglichst stressfreien und unspektakulären Start. Es wird sowieso ein besonderer und aufregender Tag sein, auch ohne Weihnachtsklimbim und Menschenansammlung. Gewöhnt euch langsam aneinander, lernt euch in einer Alltagssituation kennen. Dann werden all die vielen Geburtstags- und Weihnachtsfeiern, die ihr in Zukunft gemeinsam verbringen werdet, umso schöner für euch. Versprochen.
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