Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Vor einigen Jahren gab es in der Instagram-Bubble von Umweltaktivist:innen einen Trend. Neben einer kurzen Profilbeschreibung stand in der Bio mancher User:innen so etwas wie „Born at 358 ppm“. Statt eines Jahrgangs wurde die CO2-Konzentration in der Atmosphäre im Geburtsjahr angegeben. Damit sollte darauf aufmerksam gemacht werden, wie schnell sich der CO2-Gehalt und somit das Klima im Laufe des eigenen Lebens bereits verändert haben. Heute liegt die Kohlenstoffdioxid-Konzentration in der Atmosphäre bei circa 420 parts per million (=ppm); vor Beginn der industriellen Revolution lag sie 800.000 Jahre lang nie über 300 ppm.
Als ich gebeten wurde, diesen Text zu schreiben, dachte ich zuerst an mein Geburtsjahr und an diese Zahlen. Ob junge Menschen vor 30 Jahren geahnt haben, was 2024 wichtig sein wird? Wahrscheinlich wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen, über den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu schreiben. Vielleicht hätten sie über Themen wie Roboter oder Überbevölkerung philosophiert. Aber über Klima und Biodiversität? Eher nicht.
Auch ich werde sicher nicht alles im Kopf haben, was 2050 wichtig sein wird. Daher werde ich über das schreiben, was ich aus meiner Deutsche-Medien-lesenden-und im-Westen-sozialisierten-Perspektive prognostizieren kann: Umweltthemen werden auch in der Zukunft eine große Rolle spielen.
Im optimistischen Fall leben wir in einer Welt, die für zukünftige Generationen tatsächlich nachhaltig gestaltet ist. Da sehe ich keine fliegenden E-Autos, sondern kaum noch Autos. Ich sehe ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz, wenig versiegelte Flächen, andere Bauweisen, Mischwälder, keine Massentierhaltung, transparente Lieferketten und eine reflektierte Gesellschaft, in der sich Menschen beim nächsten Extremwetterereignis gegenseitig unterstützen – egal, wen es auf der Welt trifft.
Da es hier aber nicht um Visionen, sondern um Prognosen geht, wird dieser Beitrag deutlich pessimistischer ausfallen. Wie unsere Welt im Jahr 2050 aussehen wird, hängt weitgehend davon ab, was heute entschieden wird. Und nach allem, was ich in den letzten Jahren an politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen erlebt habe, blicke ich eher pessimistisch in die Zukunft.
Die Wissenschaft warnt regelmäßig davor, dass wir nicht auf einem Kurs sind, der die Klimakrise aufhält. Deshalb stelle ich mir das Jahr 2050 deutlich heißer vor, als es heute ist. Nachrichten über Extremwetter-Events werden zum Alltag gehören. Staaten werden sich immer mehr verschulden, da die ständigen Umweltkatastrophen so viel Geld kosten. Landwirtschaft wird im Jahr 2050 nicht einfach sein, da durch Hitze, Stürme und sich ausbreitende Schädlinge Ernten häufiger vernichtet werden. Lebensmittel werden dadurch an manchen Orten auf der Welt noch knapper und ganze Regionen werden teils unbewohnbar sein. Migration wird ein großes Thema bleiben. Und Wasser wird ein immer kostbareres Gut werden, auch im globalen Norden.
Ich frage mich, wie wir als Gesellschaft mit den Problemen, die der Klimawandel mit sich bringt, umgehen werden. Vielleicht haben bis dahin alle verstanden, dass die Klimakrise real ist und wir sind dabei, einzelne Schuldige ausfindig zu machen. Kipppunkte könnten in der öffentlichen Debatte eine größere Rolle spielen, weil es Menschen geben wird, die gar nicht wussten, dass der Klimawandel unumkehrbar wird, wenn Kipppunkte überschritten werden. Ähnlich wie heute könnte es aber auch sein, dass sich Menschen nach wie vor einreden, dass „das schon immer so war“, oder „es eben seine Zeit dauert, die Klimakrise zu lösen“.
Bestimmte Teile in der Gesellschaft werden weiterhin versuchen, auf die Dringlichkeit der Lage aufmerksam zu machen. Diese Personengruppen werden noch sehr viel reflektierter, feministischer und antirassistischer sein als heute. Insgesamt kann ich mir aber auch vorstellen, dass die Spaltung in der Gesellschaft bis 2050 weiter zunimmt und einige Gruppen nicht mehr miteinander reden werden.
Ist das alles pessimistisch? Auf jeden Fall. Und vielleicht ist dieser Pessimismus auch gut – solange wir daraus nicht den Schluss ziehen, keine Veränderungen bewirken zu können. Der Optimismus à la Wirtschaftswunder hat uns schließlich an den Punkt gebracht, an dem wir heute sind. Pessimismus ist aufgrund aktueller Entwicklungen angebracht, wahrscheinlich ist Pessimismus auch realistisch. Pessimismus kann uns aber auch dazu bringen, zu hinterfragen. Vielleicht ist es gerade dieser Pessimismus, der die Gesellschaft dazu bringt, die Welt zu verändern. Vielleicht gibt es in ein paar Monaten einen gewaltigen Umschwung und meine Vision wird plötzlich zur Prognose. Wer weiß. Wenn ich etwas in meinem bisherigen Leben gelernt habe, dann das: Die Zukunft kommt oft anders als gedacht.
Lena Maurer, geboren 1994, Sand in Taufers
Weitere Beiträge aus dieser Reihe: https://www.barfuss.it/meinung/eine-umorientierung-wird-schmerzhaft/
Dieser Beitrag stammt aus der Serie „Was junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken“, herausgegeben von Roland Benedikter (Eurac Research)
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support