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Militärische Einheiten, die mit Stahlhelm und Sturmgewehr durch ein Dorf traben, kann man in den Fernsehbildern aus der Ostukraine sehen – und live in St. Georgen. Als mir dort eines Tages auf dem Weg zum Bäcker zum ersten Mal ein bewaffneter Alpini-Trupp entgegentrabte, dachte ich daran, mit der weißen Fahne zu wedeln, hatte aber keine dabei.
Freilaufendes Militär in Wohngegenden – das ist in vielen anderen zivilisierten Ländern undenkbar. In Deutschland sowieso: Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verwandelten sich die traditionell kriegerischen Deutschen schlagartig in ein Volk von Pazifisten. Das wilhelminische Deutschland war der reinste Militärstaat gewesen, das nationalsozialistische erst recht – nach dessen Zusammenbruch jedoch ist der Anblick tötender Waffen den Deutschen nicht mehr zuzumuten. Würden Bundeswehrsoldaten durch ein deutsches Dorf stürmen wie die Alpini durch St. Georgen, dann gäbe es sofort Sitzblockaden und Friedensketten um Schulen und Kindergärten.
Nicht wenige Deutsche würden die Bundeswehr am liebsten komplett ausmustern. Die evangelische Bischöfin Margot Käßmann sagte vor ein paar Wochen dem Wochenmagazin „Der Spiegel”, sie „fände es gut, wenn die Bundesrepublik auf eine Armee verzichten könnte wie etwa Costa Rica”. Mein Herz ist auf Käßmanns Seite. Mein Verstand findet allerdings, dass mein Herz in dieser Angelegenheit etwas naiv ist: Solange Idioten Waffen benutzen, werden es die Klügeren manchmal auch müssen. Meistens setzt mein Herz sich durch, und so habe ich aus Prinzip den (inzwischen auch in Deutschland abgeschafften) Wehrdienst verweigert und auch schon an Friedensketten teilgenommen.
Die Bundeswehr weiß, dass sie vielen Landsleuten eher peinlich ist, und vermeidet unnötiges Aufsehen. Sie führt keine Paraden durch, und inzwischen auch keine größeren Manöver mehr. Geübt wird fast nur in den bundeswehreigenen Reservaten in dünn besiedelten Gegenden, zum Beispiel in Ostbayern und in der Lüneburger Heide. Auf heimischem Boden rückt die Bundeswehr allenfalls bei Fluten und anderen Katastrophen aus, um Sandsäcke zu stapeln und Kekse zu verteilen.
Aber auch von den Georgener Alpini könnte die Bundeswehr etwas darüber lernen, wie eine Armee sich friedlich geben kann. Die italienischen Gebirgskrieger machen sich regelmäßig morgens im Unterhemd zu einem zügigen Dauerlauf durch die Straßen des Brunecker Kessels auf. Einer oder zwei von ihnen bestimmen leichtfüßig das Tempo, der Rest hechelt und stampft hinterher. Trotzdem haben sie immer noch Puste genug, um andere Jogger freundlich zu grüßen – mich zum Beispiel. Und dann denke ich mir jedes Mal, dass von diesen Männern und Frauen keine große Bedrohung für den Frieden ausgeht.
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