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Da stand er nun mit der Erkenntnis, dass die Radiokampagne wohl sehr keusch gehalten werden musste, aber trotzdem „Lust auf Südtirol“ machen sollte. Es war jetzt an der Zeit, dem Land übers Wochenende den Rücken zu kehren und mit den Agenturkollegen ein Brainstorming anzusetzen.
Als Harry Jungmayer in den Wagen stieg, entschied er sich, nicht die klassische Route über den Brenner zu nehmen, sondern sich etwas mehr von dem Land anzusehen. Per Umweg und Nebenstraßen. Schließlich fühlte er jetzt ja sowas wie Verantwortung Land und Leuten gegenüber.
Sein Navi zeigte ihm eine Alternative direkt in Richtung Norden an. Und los ging es. Als er in ein enges Tal einbog, war der Agenturchef zunächst schwer beeindruckt von der einheimischen Ingenieurskunst, welche die Fahrbahn vorerst um die Felsen herum und dann mittendurch als Tunnel führte. Solche Vorhaben hätten anderswo jeden Landeshaushalt gesprengt.
Hier war dem nicht so, und dem Fahrspaß tat es keinen Ablass. Die Einheimischen genossen es sogar, denn Jungmayer wunderte sich immer wieder, wie ein VW-Golf der 2er-Reihe im Tunnel so tief „fliegen“ konnte. Nach diesem Nervenkitzel öffnete sich das Tal und sorgte für Verzückung beim Agenturmenschen. Kurz darauf entdeckte er ein riesiges Festgelände mit angrenzendem Megaparkplatz. Es war jetzt der Moment, um mit dem Volk auf Tuchfühlung zu gehen. Vor allem interessierte Jungmayer, wie die Jungen hier so drauf waren.
Hinein in das junge Wählervolk
Bereits auf dem Parkplatz kam es zur ersten Begegnung. Er stieg wie immer locker und lässig aus seinem SUV und verzichtete darauf, sein Sakko überzustreifen. Hemdsärmelig glaubte er bei der Jugend besser anzukommen. Dass sein Schuhwerk mit dem aufgeweichten Boden Mühe hatte, war nun sein geringstes Problem. Denn vor ihm starteten gerade drei leicht angetrunkene Talbewohner ihr getuntes Gefährt. Es kam zwangsläufig zur Katastrophe: Die Sportreifen, die fast die halbe Wagenhälfte erreichten, spritzten Jungmayers Hemd und seine Designerhose im Nu mit Matsch voll. Die drei jungen Männer konnten kaum noch atmen vor lauter lachen. Jetzt auszuzucken brachte aber wenig, dachte Jungmayer, und empfand es als keinen Nachteil, derart verschmutzt sich unter das Fußvolk zu mischen.
Ein junger Mann, der sich mit einer Hand an der Stange eines Getränkestandes festhielt und mit der anderen einen Bierkrug, pfiff ihm entgegen: „Die Kuah geblahnt gwesen, ha?“ Das halbe Festzelt schien zu lachen. Jungmayer grinste zufrieden, da seine Tarnung zu funktionieren schien. Nun ließ man ihn sogar bis an den Tresen vortreten, denn irgendjemand in der Menge sagte: „Lost nen zann Pudel!“ Für einen kurzen Augenblick glaubte der Agenturchef auf einer Hundeausstellung zu sein. Aber rund um ihn herum stand eine ganze Reihe Mädchen in drallen Dirndln, und Burschen, allesamt in Lederhosen und T-Shirts mit auffälligen Schriftzügen. Ein Bursche mit einer Fahne auf der Brust und einer im Atem, hauchte ihm ein „Griaßti“ entgegen. Auf der rot-weißen Fahne am T-Shirt stand: „Südtirol ist nicht Italien“
„Euch geht es ja gut hier!"
„Griaßt eich!“ Jungmayer versuchte angepasst zu klingen, wurde aber sofort enttarnt. „Ein Freund aus dem Vaterland!“, rief ihm der vermeintliche Rudelführer entgegen. Auf seiner Brust prangte ein feuerroter Adler und der Spruch: „Dem Land Tirol die Treue“. Kurz darauf stand er auch schon mit zwei vollen Bierkrügen vor dem leicht deplatziert wirkenden Agenturchef. Einen Krug drückte er Jungmayer in die Hand, den zweiten streckte er ihm hin und stellte sich vor: „I bin der Lars!“
„Kling ja voll tirolerisch!“, bemerkte Jungmayer, was den strammen Volkstümler nicht aus der Ruhe brachte. „Es geht um die Gesinnung und dass man weiß, wo man hingehört“, entgegnete dieser prompt. Jungmayer nickte und machte einen großen Schluck aus dem Bierkrug. Das Bier schmeckte im Abgang etwas herb, aber in Summe war es vollmundig. Dabei wurde ihm bewusst, dass er eigentlich seit Jahren keinen Alkohol mehr trank.
„Und wir als deutsches Volk aus dem Süden Tirols gehören einfach nicht zu diesem Staat, sondern müssen heim ins Österreich“, dozierte der nicht mehr ganz nüchterne Rudelführer. „Warum? Es geht euch doch gut hier!“ Jungmayer fühlte sich auf einer Factfinding-Mission. „Uns geht es gut hier? Schau dich doch mal um“, entgegnete Lars.
Die Musik wurde lauter und Jungmayer ließ den Blick schweifen. Tatsächlich schien es einigen der Pubertierenden nicht mehr wirklich gut zu gehen. Einer stützte gerade seinen Kopf auf das Dekolleté einer etwas üppigen Freundin im Dirndl und schien im Stehen zu schlafen. Zwei der Kollegen aus der Patriotenfraktion lagen am Boden, hielten einander fest und sabberten sich gegenseitig voll. „Ich verstehe, was du meinst“, sagte der Agenturchef.
Diese Worte leiteten einen sehr feuchten Abend ein, der für den Werbeprofi erst am Morgen endete, als ihm eine Ziege, wiederum feucht, über seine Wange schleckte. Das Tier weckte ihn im Stall des nahen Bauernhofs. Jungmayer hatte keine Ahnung, wie er dahingekommen war.
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