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Laura steht vor dem Spiegel. Mit kritischen Blicken beäugt sie ihr Gesicht: ihre Augenbrauen, die nicht symmetrisch sind, ihre nicht ganz so vollen Lippen, die Pickel auf ihrer Nase. Ihre Aufmerksamkeit wandert zu ihren Hüften, die ihr viel zu breit erscheinen, und zu ihrem Bauch, wo keine definierten Muskeln erkennbar sind. Unzufrieden wendet sie sich ab.
Das Beispiel von Laura mag erfunden sein, aber es steht sinnbildlich für das Schicksal vieler junger Frauen. Sie vergleichen sich mit den vermeintlich „perfekten“ Gesichtern und Körpern auf Social Media Plattformen wie Instagram oder TikTok und streben danach, eine schlanke Figur oder makellos reine Haut zu haben. Sie verfallen in einen regelrechten Beauty-Wahn und gehen sogar so weit, Unsummen in teure Schönheitsoperationen zu investieren. Dabei gelten auch prominente Personen als Vorbilder. Viele sind der Ansicht, gewisse, genau festgelegte Merkmale besitzen zu müssen, um als „schön“ wahrgenommen zu werden. Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Schönheitsideale gab es bereits in der Antike. Und was als „schön“ empfunden wird, wechselte von Zeit zu Zeit.
So wie sich die Mode ständig weiterentwickelte, so veränderten sich auch Vorstellungen von Schönheit – zumindest weiblicher. Bei den alten Griechen galt ebenmäßige, weiße Haut als ansprechend. So schrieb schon der Dichter Homer von „Haut weißer als Elfenbein“ und beschrieb damit das ideale Aussehen einer damaligen Frau. Im Mittelalter hielt sich diese Vorstellung; „frau“ sollte zudem eine zarte, schmale Figur haben. Im 17. Jahrhundert, zur Zeit des Barocks, gab es einen Wandel im bis dahin gängigen Schönheitsbild: Es war die Geburtsstunde des „Curvy-Models“, wie das Phänomen wohl mit heutigen Worten beschrieben werden könnte. Peter Paul Rubens malte füllige, wohlgenährte Damen – damals ein Zeichen für Reichtum und Wohlstand. Zeitgleich kam auch das Korsett in Mode, womit Frauen nun nicht mehr nur durch gesellschaftliche Konventionen, sondern auch physisch eingeengt wurden. Dass das ständige Tragen eines solchen Kleidungsstücks innere Organe schädigen kann, wusste man damals noch nicht. Aber wer schön sein will, muss schließlich leiden. Anfang des 20. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen des Films, wurden Schauspielerinnen zum Maß der Dinge. Eine schlanke Figur galt als modern und wurde von vielen Frauen angestrebt – allerdings ohne Korsett, weshalb die wohl erste Diätwelle der Menschheitsgeschichte ins Rollen kam.
Seit den 80ern gelten die noch oftmals in der Modewelt gebrauchten Idealmaße „90-60-90“ und sie setzten somit den Trend für die nächsten Jahre. Eine solche „Sanduhr-Figur“ wird auch heute von vielen jungen Mädchen und Frauen angestrebt. Besonders auf sozialen Medien ist der Drang nach Perfektion bezüglich des eigenen Aussehens präsent: In Videos werden spezielle Fitness-Übungen gezeigt, welche dazu verhelfen sollen, die idealen Maße zu erreichen, und mit Stolz werden sogenannte „Glow-ups“ gepostet, Beiträge, in denen es einzig und allein darum geht, Bilder von einem jüngeren Ich zu zeigen, welches nicht den Schönheitsidealen entsprach, und sie mit jenen zu vergleichen, die das jetzige „perfekte“ Aussehen demonstrieren. Auch bekannte Persönlichkeiten, Sängerinnen, Models oder It-Girls – darunter sind Frauen zu verstehen, die laut Definition „durch ständige Medienpräsenz auffallen und es zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gebracht haben, ohne dafür besondere Leistungen zu erbringen“1 – zeigen strahlend ihre vermeintlich makellosen Körper. Oftmals wird hierbei vergessen, dass auch sie tricksen können: Es gibt unzählige Möglichkeiten, Bilder zu bearbeiten, etwa durch Filter, die genau den Hautton herbeizaubern, den man selbst nach einem dreiwöchigen Strand-Urlaub nicht erhält., oder Programme wie „Photoshop“.
Zunehmend greifen Frauen aber auch zu drastischeren Maßnahmen und legen sich freiwillig unters Messer, um Falten zu reduzieren, Botox zu spritzen oder Fett abzusaugen. Dass ein solcher Wahn nach Schönheit nicht nur dem Geldbeutel und unserem Körper, sondern auch der mentalen Gesundheit schaden kann, zeigen diverse Studien. Laut einem Bericht der „Royal Society für Public Health“ aus dem Jahr 2017, für den junge Menschen bezüglich der Auswirkungen von Social Media befragt wurden, verspüren mehr als die Hälfte der Probanden einen Druck hinsichtlich ihres Aussehens durch Instagram.2
Allerdings gibt es auch, aufgrund der schier endlosen Anzahl von Inhalten im Internet kaum verwunderlich, Strömungen, die sich gegen Schönheitsideale auflehnen. Dabei ist oftmals von „Body-Positivity“ die Rede, einer Bewegung, bei der es darum geht, dass jeder seinen Körper so annimmt und wertschätzt, wie er ist. Den Verfechter:innen geht es vor allem darum, unrealistischen Vorbildern ein Ende zu setzen und sich „authentischer“ zu zeigen, als es bisher auf den sozialen Medien der Fall ist. In der Modewelt hingegen macht sich der Begriff „Diversity“ breit. So lautet nun auch das Schlagwort der bekannten Model-Casting-Show „Germany’s Next Topmodel“ von Heidi Klum, unter dessen Deckmantel die Sendung nun Kandidat:innen jeden Alters und jeder Größe zulässt. Im letzten Jahr schafften es so mehrere Teilnehmer:innen über 50 in die Sendezeit und in dieser Staffel setzte sich ein Curvy-Model im Finale gegen ihre Konkurrent:innen durch. Obgleich es eine bloße Marketingstrategie zu sein scheint, um gerade ein junges Publikum mit linearem Fernsehen anzusprechen, steckt eine wichtige Botschaft dahinter, die immer mehr in den Köpfen der Menschen hängen bleibt: Schönheit hat kein Alter, keine Maße, keine Hautfarbe, keine Richtlinien. Schönheit liegt im Auge des Betrachters.
Schönheitsideale werden wohl noch lange ein Thema sein, das die Menschheit beschäftigt, sie werden nicht über Nacht verschwinden. Die Vergangenheit zeigt jedoch zur Genüge, dass Ideale sich ständig veränderten. Ich denke es ist deshalb durchaus an der Zeit, dass wir uns von Normen und Richtlinien bezüglich unseres Aussehens lösen und jeder von uns seine eigene Art von Schönheit entdeckt, sich frei entfalten und zeigen kann, wie er ist. So wie wir alle verschiedene Fähigkeiten, Interessen und Stärken haben, so hat eben auch jeder ein individuelles Aussehen. Unsere Körper einzig und allein auf ihr Aussehen zu beschränken, ist zudem eine falsche Sichtweise: Beine erfüllen immer ihren Zweck – ob sie nun länger oder kürzer, schlanker oder stämmiger sind – nämlich, uns von einem Ort zum anderen zu bringen.
1
https://de.wiktionary.org/wiki/It-Girl (15.03.23)
(It-Girl, Wiktionary – Das freie Wörterbuch, 23.12.2022)
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