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Günther Mair aus Tisens, 38 Jahre alt, ist Unternehmer in der Informatikbranche und betreibt unter anderem ein Tauschportal. Er war 2012 erster Vorsitzender der Piratenpartei Südtirol. Aber sowohl seiner Rolle als Vorsitzendem als auch der gesamten Partei war kein langes Leben beschieden. Heute blickt er auf die turbulente Zeit zurück und weiß, was schiefgelaufen ist.
Herr Mair, vor vier Jahren betraten die Piraten mit viel Getöse die politische Bühne Südtirols. So schnell wie sie kamen, waren sie aber auch wieder verschwunden. Wie wurden Sie zum ersten Vorsitzenden?
Zu jener Zeit, das war 2012, waren die Piraten „in“ und erhielten in Deutschland und in vielen anderen Ländern Europas große Aufmerksamkeit. Ich war mit einer Gruppe von Freunden auf einer Hütte in Ratschings. Wir haben über die Piraten diskutiert und fanden eine andere Gruppe, die über Facebook zu einem Piratentreffen eingeladen hat. Wir sind hin, ich habe mich gemeinsam mit einem anderen um den Livestream gekümmert, und so bin ich da hineingerutscht.
Wie waren die Mitstreiter?
Ich hatte mich im Vorfeld genauer über die Piraten informiert, über Geschichte, Ziele, Methoden. Und war dann überrascht bis schockiert, dass ich das offenbar als einziger getan hatte.
Dass damals nicht nur Profis am Werk waren, sah man am Gründungsparteitag. Es ging chaotisch zu, man predigte Transparenz, wollte aber keine Journalisten dabei haben. Ein Programm oder eine vorbereitete Presseerklärung gab es nicht.
Bis kurz vor der Gründung lief es eigentlich nicht schlecht. Wir waren 15 bis 20 Leute. Aber im letzten Moment hatten wir erfahren, dass in Mailand ein Verfahren der italienischen Piratenpartei gegen einen Dritten um die Namensrechte lief. Wir mussten also unsere Partei als Unterorganisation des Partito Pirata Italiano gründen, und die nationale Partei machte einige Vorgaben. Das hat nicht allen gepasst, und damit gingen die Schwierigkeiten los. Einige sind abgesprungen, einige haben danach nur mehr dagegen gearbeitet.
Ihr habt euch ohne Programm der Öffentlichkeit gestellt.
Die Piraten sind dezidiert basisdemokratisch, wir wollten das Programm gemeinsam mit der Basis erarbeiten. Ein schönes Ziel, aber schwierig umzusetzen. Jeder will etwas anderes.
Das Presseecho war groß, aber teils vernichtend. Eine Kollegin des ORF hat euch vorgeführt. Dazu genügte es, einige Interviewpassagen aneinanderzureihen. Habt ihr euch schlecht behandelt gefühlt?
Die Medien machen ihren Job in ihrem Interesse. So wie jeder. Wir wurden so behandelt, wie wir uns aufgeführt haben. Wenn wir wie geplant gut gestartet wären, hätten wir Interesse geweckt und Anhänger gewonnen. Dann wäre es weitergegangen. So wie es in Folge des Zerwürfnisses über den Partito Pirata Italiano gelaufen ist, haben wir eher abgeschreckt. In dem Moment war die Sache gelaufen.
Wenige Wochen danach gab es einen weiteren Paukenschlag. Sie und weitere Mitglieder traten aus der Partei aus.
Ich habe mich mit den aktivsten Mitgliedern getroffen, ich glaube wir waren sechs Personen. Wir haben gesehen, dass es mit dem internen Streit so nicht mehr weitergehen kann und haben uns überlegt, ob wir überhaupt noch weitermachen wollen. Kurz danach tauchte ein Mitschnitt unseres Treffens auf, der uns als Beispiel für Hinterzimmerpolitik hinstellte. Egal ob zu Recht oder zu Unrecht, das hat dann wohl gereicht.
Was passierte dann?
Wir haben beim Parteitag beantragt, die Partei aufzulösen. Für die dafür nötige Änderung des Statuts brauchten wir eine Zweidrittelmehrheit. Wir sind nur knapp gescheitert, eine einzige Stimme fehlte. In dem Moment haben wir die vorbereiteten Austrittserklärungen abgegeben und sind gegangen.
Gibt es die Piraten noch?
Meines Wissens haben sie sich aufgelöst, es gibt sie noch als losen Verbund.
Und in Italien?
Ich denke schon, aber die waren nie sehr aktiv. Ihr Potenzial floss wohl in den Movimento 5 Stelle.
In Island kamen die Piraten bei den Parlamentswahlen im Oktober mit knapp 15 Prozent der Stimmen auf Platz drei, im Rest Europas, auch in Deutschland und Schweden, sind sie hingegen fast verschwunden. Warum konnten sich die Piraten nicht halten?
Protest allein ist zu wenig. Wenn ich unzufrieden bin, muss ich etwas ändern. Ich wollte eine wählbare Alternative. Mir war die Sammelpartei zu wenig und die extremen Parteien links und rechts sind keine wirkliche Alternative. Einer von uns hat ganz am Anfang gesagt: Wir müssen erst mal definieren, wer wir sind. Und er hat Recht behalten. Es wollten alle in andere Richtungen, das hat uns zerrissen, in Südtirol wie in Europa.
Was fehlt Ihnen in der politischen Landschaft Südtirols?
Die Politik reagiert nur und agiert nicht.
Was sollte man anders machen?
Zum Beispiel im Bereich Landwirtschaft weiter in die Zukunft schauen. Heute haben wir mehr Industrie als Landwirtschaft. Da sollte man in eine andere Richtung gehen: Mehr Regionales und begründet bessere Preise für den Produzenten im Einklang mit Tourismus und Menschen. Mit den Äpfeln in unserer Zone kann es sicher nicht ewig so weitergehen. Auch in Tisens sind die Obstwiesen unter Hagelnetzen verschwunden und bis an die Hauswände herangepflanzt. Aber die Touristen kommen nicht, um zwischen dunklen Hagelnetztunneln zu flanieren oder von irgendwelchen Richtlinien gerade mal pro Fläche mengenbegrenzte, aber letztendlich in der Luft sublimierte Wirkstoffe zu inhalieren. Damit arbeiten wir gegen das, was Christoph Engl in seinem „Destination Branding“ beschreibt: ein Ort, an dem jeder gerne wohnen möchte. Mehr Klasse als Masse sollte das Ziel sein. Es fehlt uns an Weitsicht und am Miteinander, davon hatten wir in Südtirol schon mal mehr.
Was können die Südtiroler Parteien von den Piraten lernen?
Darauf wüsste ich heute ganz ehrlich keine Antwort. Die Technologie und die modernen Medien, die ja ein Aushängeschild der Piraten waren, haben auch andere recht gut im Griff und inhaltlich sind wir leider nicht sehr weit gekommen. Man muss nicht immer die allerneueste Technologie nutzen, um eine Telefonkonferenz zu machen. Die Technologie darf nicht zu wichtig werden und über allem anderen stehen.
Woran scheiterten die Piraten? An der Basisdemokratie? An der mangelnden Professionalität? Am Zwischenmenschlichen?
An einer Mischung aus all dem. Wir hatten Leute in der Gruppe, die nur mehr destruktiv waren. Du versuchst wochenlang, jemanden zu motivieren, und ein anderer macht in einer Stunde alles zunichte. Manche haben Basisdemokratie mit Anarchie verwechselt, und wenn sie nicht Recht hatten, hatte keiner Recht.
Sind Sie noch politisch aktiv?
Ich gehe wählen, mehr aber nicht.
Würden Sie noch einmal ein politisches Engagement wagen?
Ja. Ich habe mir ein wenig die Finger verbrannt, aber daraus lernt man. Unser Beitrag war ja vielleicht nicht umsonst, danach gab es den Generationenwechsel in der SVP. Ich behaupte, wir haben ein paar zumindest aufgeschreckt. Aber die Grundvoraussetzungen müssten andere sein. Ein klares Projekt, mit dem man sich identifizieren kann. Aber nicht starten, und sich dann erst überlegen, was wollen wir eigentlich.
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