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Mehr als 17.000 Youtube-Aufrufe in wenigen Monaten, eine Landtagsanfrage von Sigmar Stocker von den Südtiroler Freiheitlichen und eine Flut von Kommentaren in den sozialen Netzwerken. Das Aufreger-Video „Ghetto Milland“ bewegt das Land.
Sigmar Stocker fürchtet sich vor Rapmusik. Das ist kein Wunder: Das Musikvideo, das er voll Entsetzen dem Südtiroler Landtag präsentiert, strotzt nur so vor Gewalt: „Aufrufe zur Zerstörung, Aufrufe zur Gewalt, Mittelfinger“ und vieles mehr fänden sich in dem grauenerregenden Video. Dabei hat Stocker die schockierendsten Textstellen noch nicht einmal erwähnt. Von derbsten Schimpfwörtern bis zur Ermutigung zu Jungfrauen-Vergewaltigungen enthält das „Werk“ mehr jugendgefährdende Inhalte als das oberste Regal im Bahnhofskiosk. Die Rede ist natürlich von MC Rotzbua, der mit Rap-Versen wie „I füll di un und nor steckt er // Jungfrau, dio cane, bluat wia a Hure“ seit mehr als einem Jahrzehnt durchs Land zieht und für Angst und Schrecken sorgt.
Ach, es geht gar nicht um MC Rotzbua? Nein?
Dann entschuldigen wir uns hiermit für die Verwechslung. MC Rotzbua möge uns den Fauxpas verzeihen, er ist schließlich Einheimischer beziehungsweise „Träger der angestammten Identität“, wie es die Freiheitliche Jugend so eloquent ausdrückt, und damit von Hassverbrechen jeder Art ausgenommen. Nicht so das wesentlich weniger weiße Team rund um „TJ Kings“, das mit dem Song „Ghetto Milland“ momentan auf Youtube um sich schlägt. Die jungen Rapper aus der Brixner Bronx wissen, wie man für Aufmerksamkeit sorgt. Die gewählte Thematik mag lächerlich wirken, aber am Versuch, amerikanischen Gangsta-Rap in die Südtiroler Heimatromantik zu übersetzen, sind deutlich erfahrenere Musiker schon auf wesentlich peinlichere Weise gescheitert.
TJ Kings und seine Freunde im zarten Durchschnittsalter von 15 Jahren haben immerhin genug Selbstbewusstsein, selbstgeschriebenen Hip-Hop vor ein potentielles Millionenpublikum zu stellen. Man muss „Ghetto Milland“ nicht gut finden, man kann aber, gerade wenn man es mit „Erstlingswerken“ von deutschsprachigen Rappern vergleicht, wenigstens den Mut zum Scheitern bewundern. Oder aber die baldige Abschiebung fordern und mit Suggestivfragen den Landtag ad absurdum führen. Das geht natürlich auch.
„Was hält die Landesregierung von diesem Video bzw. ist das Jugendamt darüber informiert?“, will Sigmar Stocker in einer Anfrage an die Landesregierung wissen und: „Sieht die Landesregierung nicht auch einen Zusammenhang zwischen derartigen Videos mit Gewaltaufrufen und der vorherrschenden Gewalt von ausländischen Jugendlichen in Südtirol?“
Was er damit impliziert, wird in Youtube-Kommentaren in die Allgemeinsprache übersetzt. „Solche Leute sollten wir nicht in unserem Land leben lassen“, meint ein User namens Schweini AmMic, User UltraGamePlays wird noch deutlicher: „Keine Ahnung aber solche Leute hätten einen Gulag verdient“.
Gesegnete Anonymität, die es in dieser Form auf Facebook nicht gibt. Dass sich dort dennoch Personen des öffentlichen Lebens zu Aussagen hinreißen lassen, die den minderjährigen Musikern mit nichts Geringerem als der Vergasung drohen, überrascht: Ein bekannter Unternehmer aus Brixen etwa stellt in einem Facebook-Post, in dem er sich über das Video beschwert, die simple Frage: „wer nimpp des in die Hond??“. Als einer seiner Facebook-Freunde vorschlägt, in Brixen stärker „mitzumischen“, wird der Brixner deutlicher: „aufmischen wohl eher!!!“ Andere scheuen sich nicht, ihre Sympathie zu Konfliktlösungsmethoden des Dritten Reichs auszudrücken. „i scholt die brause ein“, schreibt einer seiner Facebook-Freunde und will mit einem „sottl voll rotzngift“ nach Milland aufbrechen. Welche rechtlichen Schritte für derartige Äußerungen vorgesehen sind, hat die Freiheitliche Landtagsfraktion wohl aus Zeitgründen leider noch nicht erforschen können.
Interessant: Der Umgang mit den Sünden der Jugend hängt in der Praxis anscheinend auch von der Zugehörigkeit zum richtigen Lager ab. Während Liedtexte à la „Ich hasse diese ganze scheiß Gesellschaft, diese Neger und Yugos, werden sesshaft“, wie sie Philipp Burger von „Frei.Wild“ im 20. Lebensjahr gesungen hatte, als lächerliche Jugendsünde abgetan werden, scheint der sonst so gern verwendete Persilschein bei ausländischen Mitbürgern zu streiken. Dabei zeigen Textstellen aus „Ghetto Milland“ wie „Noi siamo zigi, marocchini, pachistani e un branco di negri, che si uccide per portare a casa un po' di beni. Fate voi la nostra vita e poi vedrete quanto è duro stare in linea“ deutlich mehr Reflexionswillen, als es die „Kaiserjäger“ mit ihrer plumpen Großdeutschland-Romantik je beweisen durften.
Dass die Freiheitliche Partei nun Hip-Hop von 15-Jährigen als relevantes Thema vor den EU-Wahlen entdeckt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ähnlich effektiv im Schüren von wahlkampftaktischem Rassismus ist sonst nur die eng befreundete Freiheitliche Partei Österreichs, die in den vergangenen Monaten beinahe im Sumpf der „Negerkonglomerate“ (O-Ton Ex-FPÖ-Spitzenkandidat Andreas Mölzer) versunken wäre. Wie sie das so geschickt macht? Ganz einfach: Rap-Videos von HC Strache vor jedereinzelnenWahl. Verletzung des guten Geschmacks ist übrigens auch ein Strafbestand, lieber Sigmar Stocker.
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