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Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 06.12.2023
MeinungKommentar über die Koalitionsverhandlungen

Liebesheirat der Loser

Veröffentlicht
am 06.12.2023
„A g’mahnte Wiesn!“ So bezeichnet unsere Autorin die umstrittene Koalitionsverhandlung der SVP und der Fratelli d’Italia. Barbara Plagg über die Annäherung der SVP an eine postfaschistische, rückwärtsgewandte, homophobe und frauenfeindliche Partei.
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Die nächste Südtiroler Regierungskoalition ist rechts-rechts und das ist ein klares win-win für die postfaschistische, rückwärtsgewandte, homophobe und frauenfeindliche Politik. Wer dabei verliert: die Wähler:innen. Und was trotz gegenteiliger Behauptungen der SVP-Leitung dennoch keine:r hat: Bauchschmerzen. Weil auch wenn sie uns zerknirscht das Gegenteil verklickern wollen, so ist es doch eine „Liebesheirat“ — geboren aus Fehleinschätzungen, Faulheit und Fehden. Möglich macht die peinliche Paarung eine antiquierte Parteistruktur, die vermeintlich basisdemokratisch ist, in der aber in Wirklichkeit einige wenige über ganz viele (uns!) entscheiden. Aber der Reihe nach. Und steigen Sie nicht hier schon aus, weil Sie denken, das ist alles so komplex, da blickt eh keine:r mehr durch. Das Ganze ist mehr banal als genial, versprochen. 

Zunächst kurz zur Faktenlage: Die SVP geht mit den Fratelli d’Italia, der Lega, den Freiheitlichen und der Civica nach rechts und damit eine Koalition mit Parteien ein, die wenige gewählt haben. Anna Scarafoni von Melonis Partei Fratelli d’Italia, hat beispielsweise 1.641 und ihr Kollege Marco Galateo 2.993 Stimmen bekommen. Das ist ungefähr so viel, wie ich damals bei der Schulsprecher:innenwahl in der Grundschule bekommen habe. Zum Vergleich: Maria Elisabeth Rieder vom Team K und Brigitte Foppa von den Grünen dürfen sich mit ihren 12.496 bzw. 11.772 Stimmen auf die Oppositionsbank hocken. Aber nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der SVP haben die Wähler:innen mit ihren Stimmen deutlich gemacht, dass sie den progressiven und nicht die konservativen, dass sie den linken und nicht den rechten Flügel wollen: Die konservative, Puschtra-Bauern-und-Bäuerinnen-Flanke ist abgestürzt, der Obmann wurde halbiert, die progressiven Kräfte wie Rosmarie Pamer und die politisch „sauberen“ wie Hubert Messner wurden gewählt. In absoluten Zahlen ist es also absoluter Quatsch, wenn sie mit der „Wähler:innenwillen“-Floskel daherkommen.

41 zu 17 ist das Gegenteil von Bauchweh, das ist die politische Definition einer Liebesheirat!

Nö, die Liebesheirat mit den Losern verdanken wir irgendwelchen Kommunalpolitiker:innen, die am 02. Dezember hinter verschlossenen Rollläden in der Bozner Parteizentrale in einer geheimen und irgendwie auch gar nicht so richtig angekündigten Wahl zur Urne schlichen, um die politische Schlagrichtung unseres ganzen Landes zu konstituieren. „Wahlen allein machen noch keine Demokratie“, wusste schon Obama und in der Tat verdanken wir den Rechts-Rechts-Reinfall genau 41 Typen und Tanten, von denen wir noch nicht mal die Namen wissen, weil die SVP innerparteiliche Politentscheidungen zu einer feigen Shitshow degradiert hat, in der für weitreichende politisch-inhaltliche Entscheidungen niemand Rechenschaft ablegen muss. Es reicht, wenn man geheim abstimmt und dann offen betroffen „aber Bauchweh“ sagt. Ey, echt jetzt, Bauchweh?! Bei 41 Rechts-Stimmen und 17 Links-Stimmen dann auch noch dreist ins Mikrophon mauscheln, es wäre „keine Liebesheirat“ und man habe schon „Bauchweh“?! Wissen Sie, wie politisches Bauchweh aussieht? Hitzige Debatten, lange Diskussionen und knappe Abstimmungsergebnisse, 29 zu 30, DAS sind Bauchwehentscheidungen. 41 zu 17 ist das Gegenteil von Bauchweh, das ist die politische Definition einer Liebesheirat! Da lag die Braut schon nackt im Bett, bevor der Ring überhaupt dran war. 

Und da half es auch nicht mehr, dass einzelne progressive Kräfte wie Katharina Zeller und Rosmarie Pamer nach links zogen, während der ganze Laden nach rechts rutschte und der Appell vom Landeshauptmann fürs Team K dann vor allem eins war: zu spät. Und zwar auch deswegen, weil viele, die hätten mitziehen und ihm den Rücken stärken können (wie z.B. Julia Unterberger) nicht anwesend waren. Und an dieser Stelle muss man sich nun auch unweigerlich die Frage stellen: Warum hat denn der Landeshauptmann, wenn er denn vom Mindset her wirklich progressiv-links ist, seinen linken Flügel nicht strategisch gebrieft, vorbereitet und in Stellung gebracht? Warum hat er nicht informiert, dass da abgestimmt wird und flammende Plädoyers gehalten, bevor Bauernbund-Direktor Rinner und Konsort:innen die unkritischen Kolleg:innen auf den billigen Plätzen nach rechts ziehen konnte? Warum hat er nicht zur Not auf Zeit gespielt? Oder ist, wenn er die Vertrauensfrage nicht stellen wollte, mit den 17 Linksstimmen einfach mal einen mutigen Glühwein trinken gegangen, um die Beschlussfähigkeit zu kippen? Gemessen an den Bergfeuern, den Parolen und dem Spaziergang auf Sigmundskron unserer Vorväter hätte es da jetzt eine vergleichsweise mittelmäßig revolutionäre Strategie gebraucht, um den Faschos zu entsagen. Aber nein. Irgendwie ist man da blöd aufgestellt gewesen – und irgendwie hat das Ganze ein Geschmäckle.

Beispielsweise dieses hier: Wäre die SVP mit den Grünen oder dem Team K oder dem PD in eine Koalition gegangen, hätten sie sich inhaltlich immer wieder mit den Kolleg:innen auseinandersetzen und verhandeln müssen. Weil das sind Leute, die durchaus mitdenken, die eine Vision fürs Land haben. Das wäre zwar der Politik unseres Landes dienlich, ist aber persönlich eher anstrengend, deswegen ist der Weg mit den Rechten paradoxerweise auch der Weg des geringsten Widerstandes, weil die SVP damit weiterwursteln kann wie bisher — zumindest ist das ihre offensichtliche Annahme: Bei einer 8er-Regierung (und darauf wird es hinauslaufen) halten sie Galateo mit ihrer Mehrheit in Schach, mit der Mair können sie sowieso Schlitten fahren, die Opposition lassen sie auf dem Hinterbänkchen toben. Alles wie gehabt, a g’mahnte Wiesn! Warum also den Weg der anspruchsvollen Politik gehen und warum über persönliche Fehden mit dem Team K oder den Grünen mal zum Wohle des Landes hinwegsehen, wenn’s auch einfach geht?

Und zwar nicht nur in Bozen, sondern auch mit Rom. Eines der häufigsten Argumente in diesem armseligen Bullshitbingo ist, dass man es ohne die Fratelli mit der rechten Sorella im obersten römischen Sessel sonst so schwer hätte und das wär halt nervig, weil man will doch unbedingt die Reform des Autonomiestatutes durchkriegen, um wieder die Zuständigkeiten zu kriegen, die man mit der Verfassungsreform 2001 verloren hat. Haha. Historisch gesehen ein aberwitziger Antiwitz, dass wir jetzt mit Postfaschist:innen fummeln müssen, um ausgerechnet unser Autonomiestatut auszubauen, das überhaupt nur wegen der Faschist:innen entstanden ist! Es ist ein politischer Judaskuss, dass ausgerechnet die SVP, die es gibt, weil es den Marsch auf Rom und den Faschismus gab, jetzt zum Arschkriechen auf Rom und den Postfaschismus bläst.

Es ist schlicht inakzeptabel, dass die SVP im stillen Kämmerchen aus politischer Bequemlichkeit, privaten Fehden und diplomatischen Fehleinschätzungen unserem Land eine Koalition mit Postfaschist:innen aufoktroyiert.

Es ist weder notwendig noch nobel, dass man sich auf Provinzebene die Regierungspartei ins Boot holt, damit man es dann national nicht so schwer hat. Mehr noch ist es sogar widersinnig, wenn sich diese Regierungspartei mit minderheitenfeindlicher, reaktionärer, homophober und frauenfeindlicher Politik hervortut. Auch wenn sich hierzulande die Athesia emsig drum bemüht, die Fratelli schönzureden: Meloni ist außenpolitisch uninteressant bis angepasst und innenpolitisch ultrakonservativ bis postfaschistisch. Und während sie Menschen im Mittelmeer absaufen lässt und so tut, als seien Flüchtende unser größtes Problem, hat es 45° in Rom, kein Wasser mehr im Podelta, kein Eis mehr auf unseren Gletschern und Italien weiterhin keinen Plan — dafür aber immerhin mit dem historischen Höchstwert von 2.772 Milliarden Euro die zweithöchste Verschuldung Europas. Aber Hauptsache man kriegt noch schnell unter, dass Kindern gleichgeschlechtlicher Paare auf dem Papier ein Elternteil weggenommen wird!

Jaja, schon klar, Politik bedeutet Kompromisse und Pragmatismus. Bis zu einem gewissen Grad. Ab fünf nach rechts, ist es kein Pragmatismus mehr, sondern nur noch obszöner Opportunismus. Es ist eigentlich schlicht inakzeptabel, dass die SVP im stillen Kämmerchen aus politischer Bequemlichkeit, privaten Fehden und diplomatischen Fehleinschätzungen unserem Land eine Koalition mit Postfaschist:innen aufoktroyiert. Vor allem aber ist es auch ein Armutszeugnis: Denn damit verlieren sie nicht nur aus den Augen, wofür sie selbst stehen, sondern auch, wofür ein zukunftsgewandtes und modernes Südtirol stehen könnte.

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