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Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 03.09.2024
MeinungKommentar zur Luftverschmutzung

Liebe Grüße aus Smogtirol

Veröffentlicht
am 03.09.2024
Da ist was in der Luft: Unsere Autorin über ein beunruhigendes Gutachten und erschreckende Werte in einem Land, das gute Luft verkauft, aber ganz schön viel Dreck unter den Teppich kehrt.
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Es ist der 9. Juni 2010, an dem das Gutachten von der Landesagentur für Umwelt veröffentlicht wird. Auftraggeber ist die Gemeinde Brixen und begutachtet wurden ein paar Grundparzellen, nämlich jene mit den Nummern 646/1, 662/1, 662/2, 662/3, 662/4, 662/5 und 661, die in eine Wohnbauzone umgewandelt werden sollen. Es ist ein kleines Fleckchen Land zwischen dem Krankenhaus und dem Schulzentrum und – wie so vieles in Brixen – neben der Autobahn und der Eisenbahntrasse. Das Gutachten zur Luftqualität wurde jedoch nicht wegen der Nähe zur A22 durchgeführt, schließlich wohnt das halbe Eisacktal neben der Brennerautobahn. Nein, die Studie zur Luftqualität wurde wegen des Abluftkamins des Westumfahrungstunnels in Auftrag gegeben mit der Frage: Ist die ausgewiesene Zone aus luft- und lärmhygienischen Gründen als Wohnbauzone geeignet?

Geht man heute dran vorbei, sieht man acht Häuser, terracottafarben, in vielen der sauberen, kleinen Gärten liegen Puky-Räder und Kinderspielzeug. Zahlreiche Familien sind hierhergezogen, die Häuser wurden 2017 fertiggestellt und ganz oben, fast schon auf der Höhe der Zugtrasse, ist ein Kinderspielplatz angelegt worden. Ich steige die Treppen zum Spielplatz hoch. Drehe ich mich nach rechts, sehe ich das Krankenhaus. Drehe ich mich nach links, schließen auf derselben Höhe und sogar noch näher an der Autobahn viele weitere Häuser an, die Zone neben der A22 ist im Eisacktal dicht besiedelt. Auf der Schaukel sitzt gerade ein kleiner Junge und lässt sein braunes Haar im Wind fliegen. Er schaukelt und weiß nicht, dass er ein erhöhtes Risiko für eine verkürzte Lebenserwartung hat. Denn der vorletzte Satz des am 9. Juni 2010 veröffentlichten Gutachtens lautet wörtlich: „Somit wird festgehalten, dass sich die geplante Zone aus lufthygienischer Sicht, aufgrund der vorliegenden Immissionsbelastungen und den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, derzeit nicht zu Bauzwecken eignet.“[1]

Neben der A22 ist unsere Luft sowieso schon so verschmutzt, dass das bisschen Zusatzfeinstaub durch den Abluftkamin auch nur mehr die Kirsche auf dem staubigen Sahnehäubchen ist.

Die Studie kommt zu einem weiteren Ergebnis: Die Verschmutzung aus dem Abluftkamin ist gar nicht das zentrale Problem. Diese zusätzliche Abgasquelle würde zwar, wie das Gutachten schreibt, dazu führen, dass der „in der geplanten Wohnbauzone geltende EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 μg/m³, noch deutlicher überschritten wird“, allerdings wird die „Überschreitung (…) fast gänzlich durch die Brennerautobahn verursacht, welche dort die weitaus größte Emissionsquelle darstellt.“ Sprich: Neben der A22 ist unsere Luft sowieso schon so verschmutzt, dass das bisschen Zusatzfeinstaub durch den Abluftkamin auch nur mehr die Kirsche auf dem staubigen Sahnehäubchen ist. Und das bedeutet auch: Das Ergebnis gilt für jedes einzelne Gebäude in der Nähe der Brennerautobahn.

Luftverschmutzung führt zu Krankheiten. Krankheiten führen zu vorzeitigem Tod. Zum Dreck in unserer Atemluft gehören unter anderem Stickstoffdioxid und Feinstaub (particulatematter, kurz PM). Je kleiner die Feinstaubpartikel sind, desto weiter kommen sie in unseren Körper. Besonders weit kommt der kleine PM 2.5, nämlich von der Nase in die Lunge und von den Lungenbläschen in den Blutkreislauf. Dort angelangt, kann er überallhin und durch oxidativen Stress und Entzündungsreaktionen ordentlich Chaos in unseren Organen stiften[2]. Feinstaub trägt deswegen nicht nur zu Atemwegserkrankungen wie chronisch obstruktiver Lungenkrankheit (COPD) und Lungenkrebs[3] bei, er erhöht beispielsweise auch das Risiko für Herzinsuffizienz[4]. Und schneidet man Gehirne von Menschen auf, die neben einer vielbefahrenen Straße wohnten oder arbeiteten und vergleicht sie mit Gehirnen von Menschen mit geringer Exposition, findet man degenerierte und entzündete Nervenzellen, eine löchrige Blut-Hirn-Schranke, Ablagerungen und Feinstaubpartikel in den Neuronen.[5] Klingt nicht gut und ist es auch nicht – sowas begünstigt nämlich beispielsweise Alzheimer und Parkinson. Stickstoffdioxid hingegen frittiert vor allem die Atemwege, kann Atemwegserkrankungen wie Asthma verschlimmern, die Lungenentwicklung bei Kindern beeinträchtigen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen und die allgemeine Sterblichkeitsrate in belasteten Gebieten steigern. Auch wenn die Gesundheitsbelastung durch Luftverschmutzung längst nicht so leidenschaftlich diskutiert wird wie Impfschäden: Sie ist und bleibt eine der führenden Todesursachen weltweit.

An der Brixner Messstation wurde seit dem 1. Januar bis heute nicht dreimal, nicht viermal, sondern bereits 40 Mal der Grenzwert überschritten.

Wie schlecht sind die Werte aber wirklich in Südtirol? Ich gehe vom Spielplatz, auf dem der kleine Junge noch immer schaukelt, die A22 Richtung Süden lang. Zunächst kommt man an zahlreichen weiteren Häusern vorbei – unter anderem an einem weiteren Neubau, wo man aktuell noch um läppische 1.400.000 Euro eine Vierzimmerwohnung mit Feinstaubgarantie erstehen kann. Läuft man weiter bis zur Kläranlage, findet man eine Messstation für Luftwerte. Die Daten dieser Messstation sind öffentlich einsehbar. Zwar werden nicht alle Werte veröffentlicht – die Überschreitungen von Stickstoffdioxid fehlen beispielsweise – aber die Werte vom PM-2.5-Feinstaub kann man einsehen. Weil er so schädlich ist, gibt es offizielle Tagesgrenzwerte (15 µg / m³), die nach Empfehlung der WHO maximal 3–4 mal pro Jahr überschritten werden dürfen.

An der Brixner Messstation wurde seit dem 1. Januar bis heute nicht dreimal, nicht viermal, sondern bereits 40 Mal der Grenzwert überschritten. In Neumarkt 56 Mal. In Leifers 51 Mal. In Meran 39 Mal. In Bozen 44 Mal. In Latsch 36 Mal. In Sterzing 18 Mal.[6] Am 22. März erzählt der zuständige Landesrat Brunner bei einer Pressekonferenz trotzdem, wie toll sich Südtirol luftmäßig entwickelt, weil nämlich die Stickstoffdioxid-Konzentrationen abgenommen haben. Zum Feinstaub sagen die Herren nur, er würde „stabil“ bleiben und nehmen für den Jahresmittelwert nicht die von der WHO empfohlenen 5 µg/m³, sondern den EU-Grenzwert von 25 µg/m³ her – der jetzt allerdings auch gesenkt wird, weil die EU inzwischen festgestellt hat, dass bereits sehr viel geringere Werte zu massiven Gesundheitsproblemen führen. Dass „stabil“ so viel wie „gleichbleibend beschissen mit viel zu vielen Überschreitungen des 24-Stunden-Grenzwertes“ bedeutet, bleibt in der offiziellen Pressemitteilung des Landes unerwähnt.

Es ist eine der größten Lügen unseres Landes, der verblüffend viele aufsitzen: dass wir hier gute Luft hätten. Haben wir nicht.

Es ist eine der größten Lügen unseres Landes, der verblüffend viele aufsitzen: dass wir hier gute Luft hätten. Haben wir nicht. Die gute Luft, die wir nicht haben, ist aber trotzdem unsere Cash Cow. Unser Vermarktungsfeature. Unser uriges Narrativ einer heilen Bergwelt. Weil der Feinstaub nicht in unser wirtschaftliches Konzept und Hoamatgefühl passt, kehren wir ihn fein unterm Teppich und kleben ein paar idyllische IDM-Panoramapickerlen drüber. Regen uns lieber über einen Pieks im Arm als über Partikel in der Lunge und im Hirn auf. Was die IDM dem Touri aber nicht sagt und der Tiroler verdrängt: Man sollte hier in Südtirol besser nicht mehr allzu tief einatmen. Und das gilt nicht nur entlang der A22 oder in Brixen, sondern für alle exponierten Wohngebiete, Schulen und Krankenhäuser, die im Dunstmantel des Durchfahrts-, LKW- und Touristenverkehrs im Eisacktal, Pustertal, Burggrafenamt, Vinschgau und in den Seitentälern stehen. Denn im bergigen Gebiet sind wir blöderweise alle exponiert: In unseren Tälern hängen die Schadstoffe nämlich durch Inversionswetterlagen[7], Windverhältnisse und eingeschränkter Luftzirkulation regelrecht fest, deswegen haben alle was davon – auch die, die von der anderen Talseite aus auf die verstopfte Autobahn, Mebo oder Staatsstraße schauen können.

Was also tun? Mit den Rechten, die in Rom und dank der SVP auch in den Bozner Regierungssesseln sitzen, ist die Feinstaubkatastrophe nicht in den Griff zu kriegen, weil sie Freiheit traditionell mit Rücksichtslosigkeit verwechseln und Verkehrsminister Salvini extra noch zum Brenner reist, um sich für „freie Fahrt“ und kranke Lungen stark zu machen. Außerdem bleibt neben dem Kampf gegen Gendersternchen und gleichgeschlechtliche Familien schlicht keine Zeit mehr übrig für Nebensächlichkeiten wie Luftverschmutzung. Angesichts der ungebremsten Verkehrslawine schlug das Brixner Gutachten schon vor 14 Jahren hilflos eine Lärmschutzwand vor. Die schützt nämlich nicht nur vor Lärm, sondern auch ein bisschen vor Feinstaub „indem sie durch eine begünstigte vertikale Vermischung die Verdünnung unterstützt“. Das Gutachten erklärt dann sogar noch idiotensicher, wie hoch die Mauer sein müsste („5 Meter“) und wo sie stehen sollte („nahe der Hauptemissionsquelle (Autobahn)“) und dass eine Mauer neben den Eisenbahnschienen hingegen rein gar nichts bringen würde.

Unsere Politiker:innen gehen vor der „wirtschaftlichen Bedeutung der wichtigsten Verkehrsachse“ widerstandslos in die Knie und opfern lieber unsere Lungen als ein bisschen was vom Waren- und Touristenverkehr.

Da, wo der kleine Bub jetzt inzwischen im Sandkasten spielt, steht auch 14 Jahre später nichts zum Schutz seiner Kinderlunge. Kein halber Meter Lärmschutzwall wurde aufgestellt, nichts. Nicht eine einzige Maßnahme wurde ergriffen, um die Gesundheit der Anwohner:innen zu schützen. Trotz der Empfehlung des Gutachtens. Etwas weiter südlich wiederum wurde ein Stück Mauer aufgestellt. Nach welcher Logik Lärmschutzwände wo verbaut werden und warum sie nicht überall zwingend stehen müssen, bleibt in Südtirol ein präventivmedizinisches Mysterium. Denn man hat die Messwerte. Man hat das Wissen. Und man hätte auch das Geld.

Unsere Politiker:innen gehen vor der „wirtschaftlichen Bedeutung der wichtigsten Verkehrsachse“ widerstandslos in die Knie und opfern lieber unsere Lungen als ein bisschen was vom Waren- und Touristenverkehr. Doch selbst, wenn man die Verkehrslawine an sich nicht eindämmen will oder kann, blieben neben Lärmschutzwände noch zahlreiche weitere Möglichkeiten, die Gesundheit der Südtiroler.innen zu schützen: Geschwindigkeitsbegrenzungen, schützende Grünstreifen und Bepflanzung, deutliche Mauterhöhung für Durchzugs- und Touristenverkehr, Einhausung der Autobahn (wie von der Grünen Bürgerliste in Brixen schon vor Jahren gefordert), temporäre Fahrverbote an Tagen mit hoher Luftverschmutzung, Anpflanzung von filternden Mooswänden, Implementierung von smarten Verkehrsleitsystemen, Luftfilteranlagen und Gebäudeisolierung in exponierten Gebäuden, Verkehrsberuhigung in Wohngebieten, Einführung von Umweltzonen, verbessertes und transparentes Monitoring der Luftqualität – wie man es eben aus anderen Regionen in Europa schon kennt. Für einige dieser Maßnahmen müsste die Brennerautobahn AG, die 2023 einen Gewinn von 80 Millionen Euro gemacht hat, noch nicht mal allzu tief in die Portokasse greifen. Warum sollten sie aber, wenn sie nicht müssen?

Wo die Politik untätig bleibt, müsste die Bevölkerung den Druck erhöhen.

Wo die Politik untätig bleibt, müsste die Bevölkerung den Druck erhöhen. Das geht ab nun sogar per Gesetz, denn mit den neuen EU-Grenzwerten wird auch eine neue Bestimmung eingeführt, dass Bürger:innen ab nun Anspruch auf Entschädigung bekommen, wenn sie wegen nicht eingehaltener Grenzwerte krank werden. Klagen kann man auch schon bevor man krank wird, wenn man einen Großteil seiner Zeit in belasteter Umgebung leben und arbeiten und dort ungünstigerweise auch atmen muss. So wie der kleine Junge. Ich drehe mich um und winke ihm zu. Er winkt freundlich zurück, sein „Pfiati!“ wird von einem vorbeidonnerndem LKW verschluckt. Er weiß nicht, dass er mit jedem Atemzug etwas einatmet, das seine Gesundheit gefährdet. Wir aber wissen es. Warum tun wir nur nichts?


[1] https://umwelt.provinz.bz.it/downloads/02_Gutachten_Brixen_Umfahrung.pdf

[2] Thangavel, P., Park, D., & Lee, Y. C. (2022). Recent insights into particulate matter (PM2. 5)-mediated toxicity in humans: an overview. International journal of environmental research and public health19(12), 7511.

[3] Raaschou-Nielsen, O., Andersen, Z. J., Beelen, R., Samoli, E., Stafoggia, M., Weinmayr, G., … & Hoek, G. (2013). Air pollution and lung cancer incidence in 17 European cohorts: prospective analyses from the European Study of Cohorts for Air Pollution Effects (ESCAPE). The lancet oncology14(9), 813-822

[4] Atkinson, R. W., Carey, I. M., Kent, A. J., van Staa, T. P., Anderson, H. R., & Cook, D. G. (2013). Long-term exposure to outdoor air pollution and incidence of cardiovascular diseases. Epidemiology24(1), 44-53.

[5] Calderón-Garcidueñas, L., Solt, A. C., Henríquez-Roldán, C., Torres-Jardón, R., Nuse, B., Herritt, L., … & Reed, W. (2008). Long-term air pollution exposure is associated with neuroinflammation, an altered innate immune response, disruption of the blood-brain barrier, ultrafine particulate deposition, and accumulation of amyloid β-42 and α-synuclein in children and young adults. Toxicologic pathology36(2), 289-310.

[6] https://umwelt.provinz.bz.it/luft/ueberschreitungen.asp

[7] Erklärung: In bergigen Regionen wie in Südtirol, sammeln sich Schadstoffe wie Feinstaub aufgrund der speziellen geografischen und klimatischen Bedingungen leichter an. Das liegt vor allem daran, dass die warme Luft wie eine Decke über der kälteren Luft in den Tälern liegt und verhindert, dass Schadstoffe entweichen. Weil in Tälern außerdem die Luftzirkulation eingeschränkt ist, ist der Abtransport von Schadstoffen.

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