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Wie Sie bestimmt mitgekriegt haben, ist ein junger Mann in Bozen elendig erfroren. Das ist blöd, also erstmal für den Buben und für die Trauerfamilie, aber auch für einen selbst, weil jetzt ist man eh schon so gestresst wegen Klimawandel und Weihnachtsgeschenke, da will man sich nicht auch noch den wohlverdienten Glühwein verderben. Weil a bissl schlägt’s einem schon auf den Magen, dass das Wohlstandsland Südtirol, wo allein in den Sommermonaten von Mai bis Oktober 22,7 Millionen Übernachtungen stattgefunden haben, man jetzt halt irgendwie nirgendwo mehr eine Pritsche für einen Neunzehnjährigen übrig hatte. Und zwar peinlicherweise ausgerechnet am St.-Ambrogio-Wochenende, als Südtirol einer perversen Konsumorgie frönte, dass der Rubel nur so rollte, bis der Verkehr komplett zum Stehen kam. Der junge Mann, der in ein paar Wochen 20 Jahre alt geworden wäre, hat in der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember — der Nacht, bevor er gestorben ist — bei Volontarius um Hilfe gebeten und ist dann auf die Warteliste mit 170 weiteren Personen gesetzt worden. Das sind fast 200 Menschen, die wir in der klirrenden Kälte ihrem Schicksal überlassen, während andere in Bussen angekarrt kommen, um sich ein paar Meter weiter literweise Glühwein hinter die Binde zu kippen.
Das ist einfach nur traurig, titelt auch die „Dolomiten“ und ja, das ist echt traurig, dass an Melonis paranoider Einwanderungspolitik Blut klebt, vor allem das von jungen Männern. Ach so, nein, das meinten die gar nicht mit dem Titel, sorry! Melonis Politik finden sie gut, aber das ist halt so traurig, dass der junge Mann sterben musste. Das hat man dann doch nicht wollen und das eine hat bestimmt nichts mit dem anderen zu tun. Mit dem Tod des Jungen hat auch die Gemeinde Bozen nichts zu tun, die sich mit der Provinz zofft, wer die 5.000 Euro Miete für die Nächtigungsstätte Ex-Alimarket in Bozen zahlen soll und auch die Landesrätin Deeg hat nichts damit oder mit den Schließungen der Flüchtlingseinrichtungen in Mals oder Schlanders zu tun und auch die Stadtpolizei Bozen, die Obdachlosenbehausungen räumt und Schlafsäcke und Decken wegwirft hat nichts damit zu tun und selbstverständlich haben auch all jene Südtiroler nichts damit zu tun, die „nur an Einheimische“ vermieten.
Tja. Jetzt würde man zwar meinen, dass fehlende Schlafplätze für Obdachlose ein Problem mit einer verhältnismäßig einfachen Lösung im Vergleich zu, sagen wir, Klimawandel oder Pflegenotstand ist, aber na ja. Immerhin wird jetzt zum dritten Advent aufgestockt! Gewiss, man hätte es vielleicht schon anhand der Werbung für den Christkindlmarkt im Spätsommer ahnen können, dass es auch heuer wieder Winter werden wird, aber na ja, besser zu spät als nie, nicht wahr?
Einerseits will man eine schöne, saubere Stadt, andererseits hält die Ordnung immer nur so kurz, weil wenn man heute die Schlafsäcke, Decken und Kartons wegräumt, liegen morgen die Leichen rum.
Es ist halt ein Gfrett! Einerseits will man eine schöne, saubere Stadt, andererseits hält die Ordnung immer nur so kurz, weil wenn man heute die Schlafsäcke, Decken und Kartons wegräumt, liegen morgen die Leichen rum. Auch kein schönes Bild und was sollen unsere Touristinnen und Touristen denken! Um dem vorzubeugen verfolgt die Politik — so sagen mir freiwillige Helferinnen und Helfer zwei Bozner Hilfsorganisationen — das Credo, dass man es Geflüchteten „mal nicht so schön“ hier machen soll, sonst kommen ja noch mehr. Das mit dem „nicht so schön machen“ ist uns auf jeden Fall gelungen! Kitschbeleuchtung für die einen, Kältetod für die anderen! But wait, irgendwie kommen deswegen gar nicht weniger Obdachlose und Geflüchtete hier bei uns an. Ob die möglicherweise gar nicht kommen, weil es hier so schön ist, sondern weil sie keine Wahl haben?
Das müsste man mal vertiefen und vielleicht eine der Organisationen fragen, die sich um die Obdachlosen kümmern. Davon gibt es ja Gottseidank auch einige, die Schutzhütte B1 rifugio, das Dormizil, Bozen Solidale, der Zeilerhof, das Haus der Solidarität in Brixen, um nur einige zu nennen. Und diese Organisationen zeigen vor allem auch immer wieder eines auf: Man kann mit wenig durchaus sehr viel bewirken. Und das ist wichtig, nicht nur aus Altruismus, sondern auch aus Egoismus: Wer nichts mehr zu verlieren hat, wird kein besserer Mensch. Deswegen macht es keinen Sinn, Einrichtungen zu schließen und zu hoffen, dass Menschen in Not dann nicht mehr kommen. Denn sie werden kommen, weil sie keine Wahl haben und je besser wir sie stützen, desto besser schützen wir sie — und damit uns alle. Eine wichtige Arbeit also, die zum allergrößten Teil auf Ehrenamt fußt. Dem Ehrenamt, das wissen wir spätestes wieder seit dem „Tag des Ehrenamts” am 05. Dezember, gilt der „ganze Respekt“ der Politikerinnen und Politiker, weil, wie der Parteiobmann der SVP schreibt „Hand aufs Herz: Was wäre unser Land ohne die tausenden Ehrenamtlichen?“
Ja, gute Frage, wieviele Kältetote mehr hätte unser Land, wenn nicht die Ehrenamtlichen und die paar schlecht bezahlten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter die Menschen vor der Kälte retten würden? Hand aufs Herz: Könnte man die vielleicht bitte mal ein bisschen besser bezahlen und Gedeih und Verderb der Obdachlosen und Geflüchteten nicht vorwiegend Ehrenamtlichen überlassen? Und könnte man bitte so wichtige Einrichtungen wie beispielsweise die Flüchtlingsunterkunft in Schlanders nicht nur durch Ehrenamtliche am Laufen halten und sich dann wundern, wenn es nicht ganz so klappt? Bei uns zuhause klappt noch nicht mal der Abwasch ehrenamtlich!
Erfrierende scheinen schläfrig, teilnahmslos und verwirrt. Sie können sich kaum noch bewegen und wirken vielleicht gar nicht in Not, weil sie nicht weinen, nicht schreien oder Sie um Hilfe fragen werden — das schaffen sie gar nicht mehr.
Jedenfalls, ich weiß, Sie wollen Adventszauber und Kaminfeuer, und das haben Sie sich auch verdient, aber kurz noch zur Biologie des Erfrierens: Das ist kein schöner Tod, auch wenn manche glauben, die Kälte wirke wie „eine Narkose“ und am Ende ist einem dann eh wieder warm wegen der sogenannte „Kälteidiotie“ und man merkt nix. Dem ist nicht so. Wenn Sie jetzt nicht gerade im Pragser Wildsee beim Selfiemachen einbrechen und schnell erfrieren, weil Sie keiner rauszieht, dann dauert der Kältetod qualvolle Stunden, in denen der Körper mit verengten Blutgefäßen alles versucht, um die Kerntemperatur von 37 Grad zu halten. Wenn er das nicht kann, killt die Kälte sukzessive die Zellen, zuerst an Zehen, Ohren und Nasenspitze und das tut höllisch weh. Danach arbeitet sie sich zu den lebenswichtigen Organen Herz, Lunge und Hirn vor. Ab 35 Grad ist der Körper unterkühlt und zittert, ab 32 Grad hört er mit dem Zittern auf, dazu ist er zu erschöpft. Ab 29,5 Grad schaltet das Großhirn aus und man wird bewusstlos, das Herz schlägt statt sechzigmal pro Minute nur noch ein- oder zweimal. Unter 27 Grad schlägt es gar nicht mehr.
Ich will Sie nicht mit Details quälen, aber was dabei wichtig ist: Erfrierende scheinen schläfrig, teilnahmslos und verwirrt. Sie können sich kaum noch bewegen und wirken vielleicht gar nicht in Not, weil sie nicht weinen, nicht schreien oder Sie um Hilfe fragen werden — das schaffen sie gar nicht mehr. Wenn Sie jemanden sehen und unsicher sind, ob er oder sie gefährdet ist, dann bitte sprechen Sie den Menschen an. Fragen Sie, ob er oder sie Hilfe braucht. Das ist weder unhöflich noch komisch, sondern menschlich und aufmerksam und kann Leben retten.
Wenn Sie unsicher sind, dann bitte Decke oder Jacke drüber und Notruf (112) absetzen. Und wenn Sie zuhause in Ihrer warmen Wohnung sitzen und auch etwas tun wollen, dann spenden Sie bitte für lokale Einrichtungen, die diesen Menschen ein Bett, ein warmes Essen, einen Schlafsack geben. Und wenn Sie hingegen eine Wohnung zu vermieten haben, dann bitte, bitte geben Sie auch „Nicht-Einheimischen“ eine Chance. Ich könnte Ihnen jetzt sagen, dass es das Richtige ist, dass es das Menschliche ist, dass jetzt bald Weihnachten ist und wir Südtirolerinnen und Südtiroler wohl mindestens ebenso gut wie Ochs und Esel vor 2022 Jahren sind und unsere Mitmenschen warm und am Leben halten können — aber das wissen Sie ja eigentlich schon.
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