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Letztens war ich auf einem Konzert von Haftbefehl. Ich wollte mir das mal anschauen. Die nervigsten Leute auf Konzerten sind die, die sich „das mal anschauen wollen“. Solche Leute gehören da nicht hin. Solche Leute sind noch schlimmer als Eltern, die ihre Kinder auf Konzerte begleiten. Diese Kinder tun mir immer leid. Bei Haftbefehl waren keine Eltern, die ihre Kinder begleitet haben. Aber auch keine echten Haftbefehl-Fans. Sondern fast nur Berlin-Mitte-Yuppies. Oder Neukölln-Hipster. Das sind Menschen, die, wie der Name schon sagt, in Berlin leben – das ist die Stadt, in der auch ich wohne – und alle so individuell aussehen möchten, dass sie alle schon wieder gleich aussehen. Sie studieren oder machen irgendetwas mit Medien oder würden gerne irgendetwas mit Medien machen, kellnern aber eigentlich. Und: Neuerdings finden die alle Haftbefehl gut. Ich auch. Ich mag die Texte. Ich finde, das ist großartige Lyrik:
Long Nights in Dubai, ich roll’ Maserati, Bitch
Helal Dinar, ich fick’ Illuminaten-TripHaftbefehl findet das anscheinend nicht so gut, dass wir ihn alle gut finden. Er ist total genervt. Er dachte wohl, im Publikum wären die Jungs, die ihn einst groß gemacht haben. Ghetto-Jungs mit Migrationshintergrund. Jungs, die ihn anhimmeln. Doch die sind nicht da. Wir sind da. Wir himmelten ihn nicht an. So etwas macht man mit Anfang 30 nicht mehr. Wir stehen alle nur da, mit unseren grünen Parka-Jacken und Heineken in den Händen. In Gedanken formulieren wir schon die Sätze, die wir nach dem Konzert über das Konzert sagen werden.
Die haben es nicht mehr leicht, die Popstars von heute. Früher hat man provoziert, damit Fans gewonnen und die ältere Generation in Angst und Schrecken versetzt. Das war bei Elvis so. Obwohl der nur ein bisschen mit den Hüften gewackelt hat. Das war bei den Rolling Stones so. Selbst bei der Kelly Family war das so. Die sangen zwar keine frauenverachtenden Texte wie die Stones, aber – diese langen Haare …
Zu Konzerten gehören Fans. Ich bin kein Haftbefehl-Fan. Dafür bin ich zu alt. Ich war mal Oasis-Fan. Da war ich noch jung. Jetzt bin ich in diesem Zwischenalter. Anfang 30. Zu alt, um Fan zu sein. Eigentlich auch zu alt, um in solche Konzerte zu gehen. Das nervt ja eigentlich alles nur: Die stickige Luft, zwei Stunden stehen, nach fünf Liedern hofft man, dass das jetzt nicht über zwei Stunden so geht. Links von einem zwei Besoffene, rechts einer, der jedes Lied falsch mitsingt, hinter einem zwei BWL-Studenten, die über den Theorie-Teil ihrer Masterarbeit reden, in der es um irgendwas mit Popkultur und Migration geht. Vor einem, wie immer, der größte Konzertbesucher überhaupt, der auch noch im Halbminutentakt seinen Körpermittelpunkt vom linken auf den rechten Fuß und umgekehrt verlagert.
Mit Anfang 30 ist man nicht mehr Fan. Aber auch noch nicht alt genug, um diesen Haftbefehl ganz, ganz schlimm zu finden. Und schon gar nicht alt genug, um dem Ganzen gelassene Gleichgültigkeit entgegenzubringen, wie es nur souveräne und beneidenswerte Rentner zustande kriegen. Ich wippe mit im Ghetto-Takt. Man hat sich ja schließlich aufgerafft, ist hingegangen, hat sich in die Schlange gestellt. Hat sich gesagt: Hey, das ist doch der Grund, warum man so gerne in einer großen Stadt lebt. Weil man in andere Kulturen eintauchen kann. In die Jugendkultur. Aber da sind keine Jugendlichen. Die zwei hinter einem sind immer noch in den Popkultur-Migrations-Diskurs vertieft. Vorne rappt Haftbefehl irgendetwas vom Ficken, Drogendeals und irgendwelchen Major-Deals.
Ich holte noch ein Heineken.
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