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Stell dir eine Pyramide vor, die auf dem Kopf steht. Sie würde wohl oder übel umfallen und zerbrechen. Kein schönes Bild, vor allem wenn ebendiese Pyramide unsere Gesellschaft darstellt. Noch sind wir nicht am Punkt angelangt, an dem wir kippen, doch wenn die Generation unserer Eltern, alias Babyboomer, in Rente geht, wird das System, wie wir es kennen, kopfstehen. Auf einen Arbeitenden werden zwei Rentner kommen – wie sollen wir deren Rente bezahlen, wie ihre Pflege? Dass das alles hinten und vorne nicht mehr zusammenpassen wird, wissen wir zwar heute schon, aber besser wir verschieben dieses Problemchen noch ein paar Jahre weiter nach hinten. Oder noch besser – ignorieren es einfach. Indem wir beispielsweise Geburtenabteilungen schließen.
Wir, die wir den ganzen Schlamassel zahlen werden, verstehen ja, dass wir sparen müssen. Doch wir können es nicht verstehen, wenn in Bereichen gespart wird, in die man eigentlich investieren müsste. Und zu diesen Bereichen gehört die Familie. Das Zusammenbrechen der Pyramide hängt mit den seit vierzig Jahren stagnierenden Geburten zusammen, wir sind knapp vor dem Wendepunkt, an dem mehr Menschen sterben als geboren werden. Wir sollten diesem Problem nicht Folge leisten, indem wir die Konsequenzen akzeptieren, sondern müssen die Auswirkungen aktiv bekämpfen. Das heißt für uns: Wir müssten alles tun, was in unserer Macht steht, damit sich junge Menschen wieder für Kinder entscheiden. Denn Kinder sind nicht Luxus für gelangweilte Mitte-Dreißiger, sondern, so abgedroschen das auch klingt, die Zukunft Südtirols. Immerhin möchten wir auch mal jemanden haben, der uns dann die Rente bezahlt.
Das alles ist der Landesregierung bewusst. Und dennoch hat sie ein Problem. Vor gut zehn Jahren hat sie beschlossen, dass Geburtenabteilungen mit weniger als 300 Geburten im Jahr schließen müssen. Diese Zahl 300 war dabei sehr milde gewählt, im restlichen Italien und Europa liegt sie bei 500, 600 oder gar 700 Geburten. Der Wohlstand ließ es zu, dass trotz der teilweise zu geringen Geburten beide Augen zugedrückt wurden, sodass die Geburtenabteilungen weiterbestehen konnten. Sterzing mit seinen gut 440 Geburten und Schlanders mit 360 Geburten waren im Landes-Soll, Innichen fehlten im Schnitt 30 Geburten pro Jahr. Seit nun aber ein römisches Gesetz die Latte auf 500 Geburten gelegt hat, hat die Nachsicht das Nachsehen. Und das ist auch gut so. Denn nur so kann eine vernünftige Lösung gefunden werden. Die reine Anzahl an Geburten sagt nämlich wenig darüber aus, wie notwendig eine Geburtenstation nun tatsächlich für ein Gebiet ist. Ob ein Krankenhaus in einer Großstadt oder im Vinschgau 360 Geburten hat, ist nämlich ein großer Unterschied. Dieser Unterschied ist im deutschen Gesetz vernünftig geregelt: Jeder Bürger soll nicht länger als 30 Kilometer bis zum nächsten Krankenhaus brauchen müssen. Alle drei Geburtenstationen müssten nach dieser Regelung erhalten bleiben: Von Sulden nach Schlanders sind es bereits jetzt 34 Kilometer, bis nach Meran wären es ganze 66 Kilometer.
Dass 66 Kilometer inklusive Wehen zu viele Kilometer sind, das weiß auch Elena Artioli. In einer Landtagsdiskussion zur Schließung der Geburtenabteilungen erzählte sie ihre Geschichte, die exemplarischer nicht sein könnte: Bei der Geburt ihres dritten Kindes schaffte es die Landtagsabgeordnete nur mehr bis zum Eingang des Krankenhauses, wo ihr Sohn dann auf die Welt kam. Bozen ist keine Großstadt, und in Bozen legt man keine 66 Kilometer zurück. Die 18-jährige Pia Tscholl aus Goldrain hat deshalb eine Petition gegen die Schließung der Geburtenstationen gestartet, die bereits 4.300 Unterschriften zählt: Auch sie will sich irgendwann für ein Kind entscheiden können, ohne in der Angst leben zu müssen, ihr Kind im Stau nach Meran zur Welt zu bringen. Dabei ist es bemerkenswert und alarmierend zugleich, dass fast alle Unterzeichner aus Ortschaften kommen, die von der Schließung der Geburtenabteilungen bedroht sind. Dabei geht es uns doch alle etwas an, ob die Pyramide kippt.
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