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Ich war dort, wo man mich hingepflanzt hat, wie ein Ziergewächs in einem Topf. Jetzt bin ich hier und wuchere.
S. 110Marie rennt einen Berg hinauf. Schnell. Panisch. Nur nicht stehenbleiben. Sie flieht, getrieben von Angst und Verzweiflung, durch die Dunkelheit der Nacht und des Waldes, auf eine entlegene Alm in Tirol. Dort sucht sie Zuflucht bei ihrer Cousine Johanna, die seit Jahren abgeschieden und im Einklang mit der Natur und ihren Tieren lebt. Während Marie, die wortgewandte Wienerin, aus einer Welt des Überflusses und der inneren Leere stammt, wirkt Johanna wie das pure Gegenteil: rau, wortkarg, fast archaisch. Doch hinter ihrer Wildheit verbirgt sich eine ungebändigte Stärke. Zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen entspinnt sich ein intensiver innerer und äußerer Kampf – um Nähe, Verständnis und die eigene Identität, aber auch um einen gemeinsamen Weg.
Da ist er jetzt, der Wald. Vor mir. Schwarz wie ein Loch in der Landschaft. Und wie ein Traum kommt mir das vor, dass ich da wirklich reingeh.
S. 12Katharina Köller verwebt in ihrem Roman „Wild wuchern“ Poesie, Gesellschaftskritik und Parabel zu einem kraftvollen literarischen Erlebnis. Sie erzählt nicht nur von zwei Frauen, sondern von zwei Welten – Zivilisation und Natur, Stadt und Berg, Lärm und Stille. Im Zentrum stehen Themen wie Selbstbestimmung, häusliche Gewalt und weibliche Solidarität. Köller entlarvt patriarchale Strukturen, zeigt aber ebenso, wie heilsam das Verstehen und die Verbundenheit zwischen Frauen sein können. Ihre Sprache ist sinnlich und ausdrucksstark, getragen vom Rhythmus der Berge und durchzogen vom Charme des österreichischen Dialekts, der der Erzählung eine besondere Authentizität verleiht.
Ich habe mich selbst aus meinem Blumentopf gerissen und begonnen, wild zu wuchern.
S. 161Die Charaktere erinnern an das Märchen „Frau Holle“: Marie ähnelt der Goldmarie, nicht nur optisch, sondern auch in ihrem Verhalten – sie ist brav, angepasst und darauf bedacht, es allen recht zu machen. Sie folgt den Regeln, ist gut erzogen und lässt andere über sie bestimmen. Johanna hingegen gleicht der Pechmarie, die früh aus der Norm fällt – wild, schweigsam, ungestüm. Doch während Pechmarie im Märchen bestraft wird, geht Johanna in „Wild wuchern“ ihren eigenen Weg, findet ihre ganz eigene Freiheit jenseits gesellschaftlicher Erwartungen. Diese Befreiung ist ihr Lohn. Diese subtile Umkehrung verleiht dem Roman eine besondere Tiefe. Ein fesselnder Roman über Empowerment, der mit einer besonderen Mischung aus Humor und Mystik besticht.
Meine Hände fühlen sich tot an, und gleichzeitig pulsiert das Blut wild durch sie hindurch und pocht in den Blasen.
S. 51„Wild wuchern“ ist ein tief bewegendes Buch, das lange nachhallt. Katharina Köller überzeugt mit ihrer feinsinnigen, abgründigen Erzählweise und einer Sprache, die so rau wie poetisch ist. Besonders das Spiel mit dem österreichischen Dialekt verleiht dem Roman eine einzigartige Klangfarbe. Inhaltlich wie stilistisch ist das Werk ein Meisterstück – atmosphärisch dicht, intensiv und aufwühlend. Vor der majestätischen Kulisse der Alpen entfaltet sich eine Geschichte voller Schmerz, Wildheit und Stärke. Ein Buch voll mit Weiblichkeit, Mut und österreichischem Flair. Auch das Cover, das in seiner Ästhetik die Kraft und Ungezähmtheit des Buches widerspiegelt, passt perfekt. Ein grandioses, eindringliches Leseerlebnis – roh, poetisch und unvergesslich. Ein Highlight!
„Wild wuchern“ von Katharina Köller ist im Penguin Verlag erschienen.
Mehr feministische Lesetipps unserer Buchbloggerin Carmen Waldthaler
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