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Es ging alles schneller und intensiver als befürchtet. Die Dinge rund um den Neuling am Ruder des Landes waren so unübersichtlich, chaotisch und „ätzend“ – wie es Anton das Murmeltier nannte. Ein „Mischkulium“ an alten Rechnungen und neuen, unerwarteten Feindseligkeiten. Langsam dämmerte es dem Neuen aber: Stück für Stück kamen die Mosaiksteinchen ans Licht und begannen einen Sinn zu ergeben. „Man muss nur an den Ursprung denken!“ Diesen Satz hatte Anton seinem Menschen wie ein tibetischer Mönch eine gefühlte Ewigkeit lang, unzählige Male wiederholt. In diesem Moment war der Landespapi total glücklich darüber, dass er sich diesen Abend tatsächlich frei nahm, um zu verstehen, was da wirklich geschah im Land der wütenden Blauschürzen. Zuerst war er ganz und gar nicht angetan vom Vorschlag seines Murmeltiers, wonach eine Schwitzhütte im Wald sein Bewusstsein für den Einblick in die Ursachen des Chaos empfänglich machen sollte.
Um eine Schwitzhütte nach Vorbild seiner nordamerikanischen Artgenossen ordentlich vorzubereiten, googelte das weiße Murmeltier schon mal einen halben Tag lang. Bald war klar, es musste bereits am Morgen des entscheidenden Tages vor Ort sein. Da der Landeschef just an dem Tag, wiedermal früh morgens im Radio das Volk beruhigen musste, kam er nicht umhin, seinen Chauffeur um einen Gefallen zu bitten. Der schaute natürlich sehr verwirrt drein, als ihn der Landeshauptmann bat, mit dem Dienstwagen vom Funkhaus direkt in den Wald oberhalb seines Wohnortes zu fahren und dort die Hintertür zu öffnen. „Damit frische Waldluft in den Wagen kann!“. Der stets loyale Fahrer tat wie ihm angetragen wurde und war ab dem Zeitpunkt verständnisvoll überzeugt: „Das ist wohl alles etwas viel in letzter Zeit, für den noch jungen Amtsinhaber“.
Dank dieser neuen Techniken am Computer seines Menschen hatte das gewiefte Murmeltier sogar einen Ritualleiter ausfindig gemacht und per Mail kontaktiert. Da für den ehemaligen Skirennfahrer-Volksmusiker Walter Vorlackner dieses geheimnisvoll klingende Mail mit klaren Anweisungen Spannung versprach und er einer Geheimhaltungsklausel problemlos zustimmen konnte, war er sogar pünktlich vor Ort. Anton setzte sich mit einer Tüte Pistazien unweit des Geschehens ins weiche Moos.
Walter hatte recht bald eine geeignete Feuerstelle auf der Lichtung ausgemacht. Da Walter selbst ohne Publikum ein begnadeter Selbstdarsteller war, kommentierte er all seine Handlungen so, als wäre er sein eigener Skirennreporter. „Die vier Himmelrichtungen sind wichtig! Der Osten steht für das Neue, das Keimen, den Frühling! Der Süden steht für die Lebenskraft, das Wachsen und Gedeihen! Der Westen steht für Verwirklichung, die Ernte! Der Norden steht für die Weisheit, innere Einkehr, Reinigung!“ Walter blickte abwechselnd in die entsprechende Himmelsrichtung und kratzte sich am Schritt. Im Geiste zog er eine Linie vom vorgesehenen Feuerplatz nach Westen und steckte nach etwa 30 Schritten einen Stock in die Erde. An diesen band er eine Schnur und zog einen Kreis mit einem Radius von etwa eineinhalb Metern. Dabei murmelte Walter etwas, dass selbst für ein Murmeltier unverständlich war. Plötzlich blickte Walter verstört auf und zog schließlich aus seiner zerfledderten Umhängetasche einen jener Ratgeber hervor, wie man sie in Bahnhofstrafiken kaufen kann.
Er begann laut darin zu lesen: „Der Stock wird nun aus der Erde gezogen und an seiner Stelle ein Loch ausgehoben, in das später die glühenden Steine kommen sollen. Der Aushub wird sodann entlang der Energielinie, die zur Feuerstelle führt, angehäufelt und etwa auf der Hälfte zwischen der Steingrube und der Feuerstelle ein Erdhaufen errichtet, der den Altar darstellt und auf welchen Kraftobjekte und Amulette zur energetischen Aufladung platziert werden können.“ Walter Vorlackner stoppte abrupt: „Scheiße … Amulette …“. Er begann wieder in seiner Tasche zu kramen und dabei fiel ihm ein, dass er noch dieses Dossier hatte, welches ihm sein Freund Harry, der Agenturfuzzy, mal überlassen hatte. Seit er das bei sich trug, war er irgendwie mit seinem Leben in einen guten Flow geraten. Das musste doch „amulettische“ Fähigkeiten haben. Nach dieser kurzen Irritation machte sich der Alt-Skistar daran, die Hütte zu bauen. Eine knappe Stunde später, in der das weiße Murmeltier wegen mangelnden Futters weggedöst war, war Walter mit der Kuppel aus Weiden und Blättern fertig und zollte sich selbst lautstarken Applaus.
Jetzt hatte sich der Baumeister eine Belohnung verdient: Es war so ein Mittelding zwischen Zigarette und Tüte. Und als er so dasaß und die Wirkung langsam einsetzte, kam dem Volksmusiker vor, als säße da ein weißes Murmeltier unweit von ihm. Es schien ihn zu beobachten. Als extrovertierter Mensch grüßte Walter das Tier und verbrannte sich beim letzten Stummel fasst die Lippen, weil es ihm automatisch den Mund vor Staunen aufriss, als das Murmeltier zurückgrüßte.
„Wie geht jetzt dess? Spinni?“, rief er durch den Wald, obwohl Anton nur einige Meter von ihm entfernt saß. „Ja glaubst du wirklich ich geb‘ dir so einen Spezialauftrag nur per Mail und schau dann nicht mal nach, wie du das vorbereitest?“, rief Anton dem verdutzten Vorlackner zurück. Der wiederum seinen Mund immer noch sperrangelweit offen hatte.
Nach einer ausführlichen Inspektion der Schwitzhütte, dem gemeinsamen Feuermachen und dem Ablaufbriefing genehmigten sich beide noch eine dieser Tüten und warteten dann ruhig und extrem entspannt auf die eigentliche Hauptperson der beginnenden Nacht. Walter wusste Bescheid, dass er sobald der Dienstwagen des Landeschefs unten am Waldrand sichtbar wurde in Deckung zu gehen hatte. Kurz nach dem ersten „Probeversteckaufsuchen“, das in schallendem Gelächter endete, kam der Landeschef an. Er war sofort auf demselben Glückslevel wie die zwei bereits anwesenden Kumpanen, weil er endlich jemanden traf, der Anton auch sehen konnte. Diese Euphorie nutzen der Ritualleiter und sein pelziger Feuermann, um den Landespapi zu überreden, sich nackt auszuziehen, in die Blätterkuppel zu kriechen und dort eine hockende Position einzunehmen, die er für die nächsten sechs Stunden beibehalten sollte. Nun wurde die Schwitzhütte mit Decken und Fellen abgedeckt. Wobei Anton ganz genau schaute, ob nicht der Pelz irgendwelcher Verwandten zum Einsatz kam. Walter vollzog derweil sein Räucherritual samt eigenartig klingendem Schamanengesang, der an die Kastelruther Spatzen vor dem Stimmbruch erinnerte.
Nach einiger Zeit rauchte und dampfte es gewaltig aus der Hütte und es trieb dem armen Insassen auch schon die ersten Schweißperlen ins Gesicht. Immer wieder legte der Ritualleiter heiße Steine nach, überstreute sie mit einem Pulver, das nach Pilzen roch, während das weiße Murmeltier seinen Satz vom Ursprung wiederholte. Dabei stand das Tier an der Nordseite der Hütte. Ihm gegenüber stand südseitig der Ritualleiter mit dem „Amulett“, wie er es nannte, und las im Sprechgesang daraus vor. Im Hintergrund lief aus einem uralt Disk-Recorder Trommelmusik.
Im Kopf des Landeschef drehte sich alles: Da waren zig tausende Hände zum Schütteln, egal in welche Richtung er blickte, und noch viele mehr, die ihm auf die Schulter klopften. Dann waren unzählige Gesichter da, die sich um ihn drehten. Alle unscharf. Hinzu kamen ganz viele Stimmen in seinen Kopf, nein an seinem Ohr. Alles drehte sich immer schneller. Alles Gesprochene überlagerte sich, bis dann ein Satz klarer wurde: „Nimm ihn zum Häuptling im Kriegszelt, der richtet alles, er war für uns alle der Geldsegen …“ In dem Moment drang plötzlich die Stimme von Walter zu ihm durch, wie er lauthals die Stelle im Dossier johlte, wo es um die Fallstricke für den „Neuen“ ging. Und plötzlich war da ein innerer Bergkristall in seiner Brust, der ihm sagte: Dreh den Spieß um, stell sie alle auf die Probe. Fordere den ultimativen Liebesbeweis. Giere nach dem Vertrauen …
Dann war alles still in seinem Kopf. Er schaute nach oben. Ein Lichtkegel durchflutete die Hütte. So als reiße der Himmel auf. Er stand auf, so als ob er dem Licht entgegen schwebte. Er war aber für die Blätterkuppel etwas zu groß gewachsen und ragte nun mit Kopf, Hals und Brust oben heraus. Der Landeschef blickte in den glasigen Blick des Walter Vorlackner und sprach: „Ein Komplott!“.
„Des is jetzt völlig normal, dass du Hunger hast nach all den Stunden. Nur Kompott hab’ i jetzt keines da. Tun’s a paar Kracker auch?“ antwortete der Ex-Skirennläufer und nunmehrige Volksmusiker mit der Hühnerfeder im Haar.
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