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Ökonomen lieben dieses Instrument des Klimaschutzes. CO2-Zertifikate sind auf dem freien Markt handelbar und ihr Preis wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Die Idee dahinter ist einfach: Für jede Tonne an CO2, die ein Unternehmen in der Produktion ausstoßen will, muss es ein Zertifikat erwerben. Die Menge verfügbarer Zertifikate hängt vom jeweiligen Klimaziel ab und wird politisch festgelegt. So müssen Unternehmen die von ihnen verursachten Umweltkosten in der Produktion mitberücksichtigen und haben einen monetären Anreiz, auf nachhaltige und emissionsarme Produktionsmethoden umzusatteln.
Die Idee funktioniert auch in der Praxis. In der EU sind die Treibhausgas-Emissionen von 1990 bis 2020 um 26 Prozent gesunken. Grund dafür sollen unter anderem die Emissionsrechte sein, die europäische Unternehmen – vor allem aus dem Energiesektor und der verarbeitenden Industrie – seit 2005 erwerben müssen, um schädliches CO2 in die Luft pusten zu dürfen.
Auch für private Investoren sind die Zertifikate eine attraktive Anlage. Indem sie auf Finanzprodukte setzen, die den Preis der Emissionsrechte nachbilden, können sie von den steigenden CO2-Preisen profitieren – und machen gleichzeitig den „Umweltsündern“ das Leben schwer.
Doch nicht alle sind Gewinner. Unter steigenden Emissionspreisen leiden nicht nur die Produzentinnen und Produzenten, sondern auch die Verbraucherinnen und Verbraucher, denen viele Unternehmen die Mehrkosten weitergeben. Allein seit 2018 hat sich der Preis der Zertifikate in der EU mehr als verzehnfacht. Gerät der Handel mit CO2-Preisen gerade außer Kontrolle? Und erklären die hohen CO2-Preise auch die zurzeit ausufernde Inflation?
Robert Engle, Nobelpreisträger für Wirtschaft und Experte für Klimarisiken, hat als Berater bei Climate Finance Partners einen der wichtigsten ETF-Indizes für den globalen Preis von CO2-Zertifikaten mitentwickelt. Im Interview verteidigt er die Zertifikate als wirksames Mittel im Kampf gegen die Klimaerwärmung, zeigt die Grenzen von Initiativen wie „Fridays for Future“ auf und begründet, warum vor allem Regionen und Bundesländer aktiver werden sollten.
Der Preis für CO2- Zertifikate bewegt sich knapp unter der 100-Euro-Marke. Was treibt den Preis der Zertifikate?
Die Nachfrage nach industrieller Produktion war nach der Covid-Schockstarre größer als erwartet. Wer mehr produzieren will, braucht mehr Zertifikate. Der Gasmangel wegen des Krieges in der Ukraine verschärft die Situation zusätzlich, weil Energie häufig wieder aus Braunkohle gewonnen werden muss. Es gibt aber auch Druck aus dem Finanzmarkt, da CO2-Zertifikate ein attraktives Mittel geworden sind, um nachhaltig und gegen den Klimawandel zu investieren. Je dringender es wird, den Klimawandel zu stoppen, desto geringer wird das Marktangebot der Zertifikate sein – und desto höher der Preis.
Bis 2018 war der Preis für die Zertifikate so tief, dass das Projekt kurzweilig als gescheitert galt. Dann stieg der Preis von 7 auf aktuell 90 Euro.
Es gab einen Wandel in der Handhabung der Zertifikate. Zu Beginn wurde der Markt mit Zertifikaten regelrecht überschwemmt. Es waren mehr Zertifikate da, als gebraucht wurden.
Es war also ein politischer Fehler?
Ja, aber ein verzeihlicher Fehler. Der Handel mit den Zertifikaten hatte auf diese Weise genügend Zeit, sich zu etablieren, auch wenn er nicht sofort sein Ziel erreicht hat. Jetzt aber kann davon ausgegangen werden, dass der Handel wirksam ist und zu geringeren CO2-Emissionen führt.
Die Kosten für die Umweltverschmutzung waren auch vorher schon da. Jetzt werden sie aber erstmals im System mitkalkuliert.
Welche Rolle spielt der hohe Preis für CO2-Zertifikate für die hohe Inflation? Werden da Mehrkosten einfach an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben?
Viele Unternehmen versuchen natürlich, die Ausgaben für Zertifikate an die Konsumentinnen und Konsumenten weiterzugeben. Manchmal sind diese bereit, diesen höheren Preis zu zahlen. Wenn nicht, gibt es aber auch andere Wege, die Kosten weiterzugeben: an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, indem man Löhne kürzt, oder an Investorinnen und Investoren, indem Gewinne reduziert werden und die Aktienpreise fallen. Und das ist genau so gewollt. Die Kosten für die Umweltverschmutzung waren auch vorher schon da. Jetzt werden sie aber erstmals im System mitkalkuliert und werden am Ende von denen getragen, die dazu am ehesten in der Lage sind.
Sie beraten ein Finanzunternehmen, das einen globalen ETF-Index für CO2-Preise entwickelt hat. Auch private Investoren können hier ihr Geld anlegen. Warum stehen Sie hinter diesem Projekt?
CO2-Zertifikate sind eine der wenigen Methoden, um die Emissionen direkt zu reduzieren. Wer auf einen steigenden Preis setzt, macht den Luftverschmutzern das Leben schwer. Es ist also ein zu 100 Prozent nachhaltiges Investment. Das macht die Sache auch für private Kleinanlegerinnen und Kleinanleger so interessant.
Lohnt sich das Investment aber auch?
Es sind mehrere Szenarien denkbar. Wenn die Inflation hochbleibt, werden die Zentralbanken mit höheren Leitzinsen reagieren, was wiederum die wirtschaftliche Produktion und die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten bremst. Die Preise würden dann fallen. Wenn es zu einem Friedensabkommen in der Ukraine kommen würde, wäre das für die Finanzmärkte ein Aufschwungfaktor und die CO2-Preise würden steigen. Langfristig gilt: Je dringender die Klimakrise wird, desto geringer wird das Angebot der Zertifikate und desto mehr müssen Konzerne zahlen, um CO2 ausstoßen zu dürfen. Erst wenn genügend Unternehmen emissionsarm produzieren und die Klimaziele erreicht werden, werden die Preise wieder fallen.
Kritiker der CO2-Zertifikate warnen vor Preisverzerrungen durch Spekulanten. Wäre es nicht besser gewesen, die Emissionen durch eine CO2-Steuer zu reduzieren?
In der Theorie sind CO2-Steuern genauso wirksam, wie frei handelbare Zertifikate. In der Praxis ist es für politische Entscheider aber schwer, die Höhe der Steuer genauso festzulegen, dass das gewünschte Klimaziel erreicht wird. Deswegen ist es in der Praxis zielführender, je nach Klimaziel eine maximale Menge an CO2-Emissionen festzulegen und es dem Markt zu überlassen, wieviel die Tonne CO2 kosten soll. Die Frage ist außerdem, ob das Investieren in Indizes, die den Preis für ein Gut lediglich nachbilden, auch den Preis des realen Guts – also der Zertifikate – maßgeblich beeinflussen können. Ich glaube nicht, dass der Handel mit Futures, die den Preis der Zertifikate lediglich abbilden, den Preis der realen Zertifikate nennenswert beeinflusst.
Bei der Art und Weise, wie man seiner Sorge Ausdruck verleiht, muss es Grenzen geben.
Es gäbe die Möglichkeit, das Konzept handelbarer Zertifikate auch auf andere Bereiche auszuweiten, etwa die Fleischproduktion. Nehmen wir an, für jede Tonne produziertes Fleisch müssen Unternehmen einen bestimmten Preis zahlen. Damit würden die realen Umweltkosten, die die Fleischproduktion verursacht, im System endlich mitberücksichtigt werden.
Wenn der Fleischkonsum an sich problematisch ist, kann das eine Idee sein. Aber wenn es uns in Wirklichkeit um den CO2-Ausstoß geht, der durch die Fleischproduktion entsteht, dann sollten wir Instrumente in die Hand nehmen, die die Emissionen direkt betreffen. Ansonsten kommt es zu Verzerrungen.
Was meinen Sie damit?
In den USA mussten Kraftstoffe einen bestimmten Anteil an Biokraftstoffen enthalten. Das war keine gute Idee. Der Preis für Mais stieg dramatisch. Die Bauern konnten die plötzliche Nachfrage nicht mehr decken und produzierten lieber für Kraftstoffproduzenten anstatt für den Lebensmittelmarkt. Der positive Effekt für die Luftverschmutzung war aber gering, auf jeden Fall kaum groß genug, um die massiven Marktverzerrungen der Maßnahme zu rechtfertigen.
In Europa haben Bewegungen aus der Zivilgesellschaft, wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion, das Problem Klimawandel auf die Straße gebracht. Unterstützen Sie ihr Anliegen?
Es ist richtig, dass Menschen ihrer Sorge Ausdruck verleihen, dass gewählte Entscheidungsträger nicht angemessen auf die Bedrohung des Klimawandels reagieren. Aber letztlich geht es in einer Demokratie darum, dass die Entscheidungsträger den Willen ihrer Wählerinnen und Wähler umsetzen. Auch bei der Art und Weise, wie man seiner Sorge Ausdruck verleiht, muss es Grenzen geben. Vandalische Aktionen, wie man sie bei den Protesten der Gelbwesten in Frankreich beobachtet hat, sind nicht zielführend, egal auf welcher Seite.
Es liegt im ureigenen Interesse ländlicher Wirtschaftssysteme, sich auch politisch für eine konsequente Dekarbonisierung einzusetzen.
Nehmen wir an, die Republikaner gehen in den nächsten Wahlen wieder als Sieger hervor. Was würde das für das Erreichen globaler Ziele bedeuten?
Die Republikaner zeigen keinerlei Interesse, den Klimawandel auch nur zu verlangsamen. Die Ironie dabei ist, dass viele Maßnahmen, die inzwischen von den Demokraten ins Programm aufgenommen wurden, ursprünglich aus den Reihen der Republikaner stammen. Aber schon jetzt sind die Demokraten zu schwach, um Maßnahmen gegen den Klimawandel durchzusetzen, ob es CO2-Zertifikate sind oder CO2-Steuern. Allenfalls haben sie es geschafft, einige Subventionen für saubere Energie einzuführen. Das ist zwar wichtig, aber noch weit entfernt von einem ambitionierten Programm bis hin zur CO2-Neutralität.
Würde es noch einen nennenswerten Unterschied machen, wenn statt Trump ein anderer Republikaner das Rennen macht?
Sollte Trump für die Republikaner kandidieren, wird sich der Wahlkampf wieder nur um ihn drehen, weil er die öffentliche Meinung derart polarisiert. Bei einem anderen Kandidaten oder einer anderen Kandidatin wäre die Frage, ob dieser mit Trump verbündet ist. Es gibt noch einen großen konservativen Wählerblock, der den Autoritären und den Klimawandelleugnern wie Trump nicht bedingungslos folgt. Wer der Kandidat oder die Kandidatin für die Republikaner wird, könnte also einen großen Unterschied machen.
Nationale Regierungen haben sich allgemein nur unzureichend als entschlossene und konsequente Akteure im Kampf gegen den Klimawandel bewiesen. Muss mehr auf regionaler Ebene passieren?
Ländliche Regionen sind viel stärker vom Klimawandel betroffen als urbanisierte Gegenden. In den Alpen etwa leiden der Wintertourismus und die Landwirtschaft stark unter den Folgen der Klimaerwärmung. Die Wirtschaft ist hier viel klimaabhängiger als in den Städten.
Was können einzelne Regionen oder Provinzen wie Südtirol unternehmen? Ihr Einfluss auf globale Entscheidungen ist doch beschränkt.
Einzelne Regionen und Bundesländer können freilich nicht bestimmen, was etwa die USA oder China in Sachen Klimaschutz unternehmen. Gemeinden können aber Druck auf regionale Regierungen ausüben und diese haben wiederum die Möglichkeit, Druck auf nationale Regierung auszuüben. Der Versuch, sich an ändernde Bedingungen anzupassen – was ländliche Regionen zwangsläufig tun müssen –, ist nicht genug. Es liegt im ureigenen Interesse ländlicher Wirtschaftssysteme, sich auch politisch für eine konsequente Dekarbonisierung einzusetzen.
Robert Engle ist Gastredner bei den Sustainability Days, die zwischen dem 6. und 9. September in Bozen und online stattfinden. Mehr Infos unter: www.sustainabilitydays.com.
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