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„Es tut zwar höllisch weh, aber du schaffst das. Wir Frauen sind ja schließlich dafür gemacht.“ Ein Satz, den wohl jede werdende Mutter schon mal gehört hat. Und auch ich bin mit diesem inneren Glaubenssatz und herrlicher Naivität in die Wehen gestartet. Nervös, ja, aber voller Vertrauen in meinen Körper. Die Schwangerschaft verlief super und die Vorfreude auf meinen Sohn war riesig. Endlich werden wir ihn kennenlernen. Im Krankenhaus angekommen ist der Muttermund zwar erst bescheidene drei Zentimeter geöffnet, aber wir dürfen trotzdem schon in unseren Kreißsaal. Ich fühle mich dort wohl und sicher.
Die Stunden vergehen, der Schmerz steigt kontinuierlich, aber alles läuft nach Plan. Die Hebamme ist nett und die beruhigende Musik im Kreißsaal lenkt mich etwas ab.
Schichtwechsel: Die nächste Hebamme kommt. Ich – bereits in meinem Trance-artigen Zustand – empfinde zwar nicht wahnsinnig viel Sympathie gegenüber der neuen Hebamme, denke mir aber nicht viel dabei.
Mühsam geht der Weg weiter bis zu den Presswehen. In mir macht sich langsam ein ungutes Gefühl breit. Soll das so lange dauern? Ich will weg hier, einfach nur raus aus diesem Kreißsaal. Vier Stunden Presswehen später flehe ich entkräftet nach einer PDA (Periduralanästhesie). „Dafür ist es zu spät‟, sagt die Hebamme. Das Kind sei bereits zu tief im Becken. Warum hat mir dann niemand vorher diesen Vorschlag gemacht? Was passiert jetzt? Langsam aber sicher werde ich panisch.
Lieblos wird die Plazenta rausgeholt und entsorgt. So wundervoll kommt sie mir gar nicht mehr vor.
Dann geht alles ganz schnell: Hektik kommt auf, eine Ärztin kommt hinzu. Der Kopf des Kleinen ist wohl etwas groß geraten. Mit Dammschnitt und Saugglocke holen sie mein Baby, es ist vollbracht: Mein Sohn hat das Licht der Welt erblickt. Es ist Punkt elf Uhr. Schnell wird er mir auf die Brust gelegt und genauso schnell ist er auch wieder weg. Von der Magie des Augenblicks, wie ich ihn mir vorgestellt habe, ist nichts zu spüren.
Patientin oder doch nur Zuschauerin?
Jetzt nur noch die Geburt der Plazenta, dieses wundervolle Organ, über das ich so viel gelesen habe. Es dauert fast 20 Minuten, bis sie da ist, immer wieder zieht die Hebamme an der Nabelschnur, um den Vorgang etwas zu beschleunigen. Ich merke ihre Nervosität, wieder macht sich dieses ungute Gefühl in mir breit. Normalerweise würde die Plazenta sich etwas schneller lösen, höre ich sie zur Kollegin sagen. Das macht mir Druck, wo bleibt sie denn bloß?
Endlich. Da ist sie. Lieblos wird die Plazenta rausgeholt und entsorgt. So wundervoll kommt sie mir gar nicht mehr vor.
„Es muss nur noch kurz genäht werden“, höre ich. Eine Mischung aus Erleichterung und Schwindel macht sich in mir breit. Ist es nach diesen Strapazen normal, das Gefühl zu haben, ohnmächtig zu werden? Irgendwie schaffe ich es noch zu sagen, wie es mir geht. Ein verwirrter Blick meiner Hebamme. Die Ärztin kommt wieder dazu, tastet meinen Bauch ab. Rechts in meinem Unterleib drückt sie auf eine Stelle und ihre Gesichtszüge werden finster. „Das könnt ihr ja nicht machen!‟, schreit sie. Was sie damit meint, weiß ich nicht. Ich liege ja ohnehin nur als Besucherin da. Plötzlich verliere ich viel Blut. Mein Blut. Unser Blut. Verblute ich? Was passiert hier gerade?
Inzwischen sind so viele Leute im Raum, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann. Mein Partner – der einzig sichere Hafen, den ich im Kreißsaal habe – ist immer noch beim Baby. Als er zurückkommt, ist er fassungslos. Man solle uns doch mal gefälligst sagen, was zum Teufel hier los ist, ruft er. Eine Not-OP. Das ist los.
Dann beginnt das endlose Warten. Der OP muss vorbereitet werden. Die Minuten ziehen sich wie Kaugummi. Ich sehe meinen Partner an, wie er unser Neugeborenes hält, und habe den Gedanken: „Die kommen schon ohne mich klar, er wird das gut machen.“ Ich habe Angst und fühle mich komplett ausgeliefert. Noch immer liege ich mit gespreizten Beinen da.
Not-OP
Dass Gewalt nicht immer physischer Natur sein muss, verstehe ich erst viel später. Hier findet gerade emotionale Gewalt statt. Verlust von Kontrolle über den eigenen Körper, über das eigene Handeln. Das Nicht-Wissen was passiert macht einen verrückt.
Die Ärztin ist wieder da, ich ergreife den Moment und frage sie, ob ich gerade sterbe. Das erste Mal während dieser ganzen Odyssee beruhigt mich jemand und schildert mir kurz die Lage. Das erste Mal fühle ich mich wie ein Mensch und kein Stück Fleisch.
Irgendwann werde ich abgeholt, um in den Operationssaal gebracht zu werden. Ich verabschiede mich von meinem Partner und meinem Baby, der Abschied fühlt sich endgültig an. Vor meinem inneren Auge sehe ich ein Bild eines Zeitungsartikels mit der Überschrift: „Junge Frau während der Geburt verstorben.“ Die Frau bin ich.
Lange Zeit hat es sich so angefühlt, als wäre ein Teil von mir in diesem Kreißsaal gestorben.
Im OP ist es grell und fremd, die Anästhesistin ist sehr freundlich. Sie beugt sich über mich, hält meine Hand und hilft mir sanft beim Einschlafen. Bis heute bin ich ihr sehr dankbar für ihre liebevolle und einfühlsame Art.
Um 15 Uhr wache ich wieder auf und zittere am ganzen Körper. Wie lange war ich weg? Wo sind alle hin? Eine Krankenschwester kommt und wärmt mich mit einer Art Wärmedecke auf, dann werde ich in ein Zimmer gebracht. Mein Baby liegt da, bereits süß eingepackt im Beistellbettchen. Ach, da war ja was. Ich hab ja ein Neugeborenes, um das ich mich kümmern muss. Bettlägerig, am Katheter und völlig schwach schaue ich verliebt meinen Sohn an. Er ist perfekt und wunderschön.
Alle sind sehr herzlich, helfen beim Stillen-Lernen, schauen nach uns, bieten emotionale erste Hilfe an. An meine erste Nacht als Mama erinnere ich mich bis heute kaum. Aber man sagte mir, dass ich mich sehr liebevoll um meinen Sohn gekümmert habe. Am nächsten Tag bekomme ich noch zwei Bluttransfusionen, weil die Blutwerte nach mehreren Tests immer noch alarmierend sind. Nach einigen Tagen können wir nach Hause. Endlich fühle ich mich in Sicherheit.
Nachwehen
Heute, mehr als zwei Jahre später, bin ich wieder sehr glücklich, vertraue mir und meinem Körper und liebe meinen Sohn über alles. Lange Zeit hat es sich so angefühlt, als wäre ein Teil von mir in diesem Kreißsaal gestorben.
Diese verlorenen Anteile von mir wiederzufinden, hat sehr lange gedauert. Da war viel Wut auf mich selbst, weil sich diese Geburt wie ein Versagen angefühlt hat. Dann Wut auf die Hebamme, aufs Krankenhaus. Irgendwann wurde die Wut zu Trauer. Trauer darüber, was mit mir passiert ist. Darüber, dass mir das Wunder einer komplikationslosen Geburt verwehrt blieb. Trauer darüber, dass ich im ersten Jahr starke Bindungsprobleme zu meinem Sohn hatte. Aber auch diese Trauer verging. Durch viele Gespräche und unzählige Sitzungen Traumatherapie mit meiner Psychologin habe ich Stück für Stück wieder zu mir gefunden. Hätte ich auf diese Erfahrung gerne verzichtet? Absolut. Aber wir haben entweder die Wahl so zu tun, als wäre es nie passiert und uns nicht mit dessen Folgen auseinanderzusetzen, oder wir versuchen es in unsere Lebensgeschichte zu integrieren. Und genau das hab ich gemacht. Es ist passiert, es war schrecklich, aber es ist vorbei.
Da war viel Wut auf mich selbst, weil sich diese Geburt wie ein Versagen angefühlt hat.
Ich wünsche mir nur für alle werdenden Mütter, dass eine essenzielle Sache im Kreißsaal niemals verloren geht: Menschlichkeit. Für das Personal mag es Routine sein, aber für uns ist es das erste Mal. Ein erstes Mal voller Ungewissheit, Aufregung, Angst, Schmerz. Wo wir jemanden brauchen, der uns das Gefühl gibt: Ich bin bei dir, wir schaffen das gemeinsam. Ich führe dich durch diese intensive Erfahrung und versuche dir, innerhalb dieses großen Kontrollverlustes, ein Maß an Selbstbestimmung zu lassen. Dabei ist völlig klar, dass niemand Schuld für gewisse Komplikationen oder Umstände während einer Geburt hat, aber für die Reaktion darauf schon.
Anmerkung der Redakteurin:
Ein Buch, das mir durch die schwere Zeit nach der traumatischen Geburt sehr geholfen hat: „Es ist vorbei – Ich weiß es nur noch nicht“ von der Autorin und Diplom-Psychologin Tanja Sahib.
Es bietet Ideen eines Heilungsprozesses vom Erleben der Geburtssituation über den Umgang mit möglichen Folgen traumatischer Erfahrungen hin zu deren Bewältigung.
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