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Die Schwester meiner Freundin räkelte sich neben mir auf ihrem Liegestuhl, weitere Gäste lagen faul über das ganze Schwimmbad-Gelände verstreut, während die blasse Septembersonne höher stieg. Gelangweilt angelte der Poolboy an jenem Vormittag die ersten Blätter aus dem Pool, als ich mir dachte: Was mache ich hier eigentlich?
Das Cinar-Hotel war seinerzeit das erste 5-Sterne-Hotel in Istanbul und es hatte bestimmt schon aufregendere Tage erlebt. Kaum ein europäischer Tourist wagte sich inzwischen noch in die Türkei, seit Erdogan mit seinem rüpelhaften Verhalten auf der internationalen Bühne immer mehr Furcht und Schrecken erregte. Zusammen mit einer abstürzenden Währung machte dieser Umstand es mir überhaupt erst möglich, zum ersten Mal in meinem Leben in so etwas wie einem 5-Sterne-Hotel zu übernachten. Zehn Tage lang. Die Preise in der Türkei hatten ein absolutes Minimum erreicht. Doch nachdem meine Freundin an jenem Morgen den Flug zu ihrem Studienort in Kanada erwischt hatte, war da nichts mehr, was mich davon abhielt, das Hotel so schnell wie möglich wieder zu verlassen.
Unerwartete Umstände, wie die bürokratischen, von Visa-Stempeln geprägten Wirren einer Beziehung im Kontext der Globalisierung, hatten dazu geführt, dass ich innerhalb des letzten Jahres bereits das dritte Mal in der Türkei gelandet war. Ich erinnerte mich an ein Hostel nahe der Hagia Sophia, in dem ich vor einem Jahr übernachtet hatte. Darauf steuerte ich schnurstracks zu. Das Heimatgefühl, das sich angesichts des mit Rucksäcken überfüllten Schlafsaals, der lärmenden Unterhaltungen in zehn verschiedenen Sprachen und der sparsam-gemütlich eingerichteten Dachterrasse mit Blick auf die Hagia Sophia sehr rasch einstellte, hatte etwas Leuchtendes, das alle Hotelsterne in den Schatten stellte.
Ein Hostel ist letztendlich gerade so viel wert wie die Bekanntschaften oder Freundschaften, die man dort macht und schließt.
Gleichzeitig wurde mir in Anbetracht der gut besuchten Dachterrasse, einer Einladung zu einer Party und verschiedenen neuen Bekanntschaften, die ich an jenem Nachmittag knüpfte, bewusst: Es handelt sich hier zweifellos um ein „soziales Hostel“. Ich hatte auf meinen Reisen inzwischen gelernt, hauptsächlich zwei Arten von Hostels zu unterscheiden.
Das „soziale Hostel“ dient vor allem als Treffpunkt von Reisenden, Backpackern und Abenteurern. Oft besitzt es eine Dachterrasse oder einen Gemeinschaftsraum, die nachts in Bars oder Tanzflächen verwandelt werden. Wenn man auf der Suche nach Ruhe und Alleinsein ist, sollte man sich von solchen Unterkünften möglichst fernhalten. Die andere Art von Herberge, das „funktionale Hostel“, ist in jenem Fall ein geeigneterer Ort: in der Regel sehr minimalistisch ausgestattet und ausschließlich dazu da, dem Reisenden einen temporären Unterschlupf, einen Schlafplatz zu bieten, der besser als die Straße ist.
Fakt ist aber: Ein Hostel ist letztendlich gerade so viel wert wie die Bekanntschaften oder Freundschaften, die man dort macht und schließt. Wenn ich heute in meine imaginäre Agenda sehe, habe ich noch mindestens zehn ausstehende, um den Globus verstreute Einladungen. Künftige Reisen müssten mich dementsprechend nach Dubai, in den Libanon, nach Georgien, Algerien oder Uruguay führen. Ginge es stattdessen darum, die Lebensgeschichten, auf die man getroffen ist, literarisch zu verarbeiten, gäbe es Stoff für mehrere Romane. Denn der europäische Rucksacktourist auf der Suche nach Persönlichkeitserweiterung gehört, vor allem abseits der üblichen Touristendestinationen, zu einer kleinen Minderheit. Stattdessen trifft man auf homosexuelle Buddhisten aus Arabien, leicht wahnsinnige Anthropologen, exzentrische Kriegsveteranen oder 70-jährige, trunksüchtige Künstler aus Russland, die einen adoptieren wollen. Nicht selten beherbergen Hostels mehr Verrückte als einfache Jugendliche – ungeachtet dessen, was die deutsche Bezeichnung „Jugendherberge“ suggerieren würde. Daran liegt schlussendlich auch der Reiz.
An die Freundschaften, die man in einem Hostel schließt, erinnert man sich zwar lebenslänglich, aber lebenslängliche Freundschaften sind es in der Regel nicht. Mein Reisegefährte Matthias hatte vermutlich recht, als er einmal konstatierte: Der Hostelmensch ist ein soziales, extrovertiertes, aber auch höchst eigensinniges und individualistisches Wesen. Am Ende des Tages verfolgt jeder seinen eigenen Plan, geht seiner eigenen Route nach. Selten ist jemand bereit, daran etwas zu ändern, um etwa mehr gemeinsame Zeit zu verbringen. Die Wege von Reisenden kreuzen sich oft, aber vereinen tun sie sich selten.
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